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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. in Berlin

Mitteln des ganzen deutschen Volkes errichteten Nationaldenkmal, die Zügel
deS kaiserlichen Rosses mit sanfter Hand zu führen, so wäre es Bismarck ge¬
wesen, nicht eine der allegorischen Frauen, mit denen sich Kaiser Wilhelm nur
dann huldvoll, bisweilen auch in ergebner Gelassenheit abfand, wenn sie ihm
in Gestalt von weißgekleideten Jungfrauen bei seinen Sicgeseinzügen oder bei
feierlichen Empfängen während seiner Reisen zu Trnppenbesichtigungen und
Manövern entgegenkamen.

Aus rein sachlichen wie aus ästhetischen Gründen wäre aber auch nicht
Bismarck als Rosseleuker wttuschenswert gewesen. Die sachlichen Gründe lassen
wir beiseite, weil wir uns bei ihrer Entwicklung leicht in Erörterungen ver¬
lieren könnten, die mit dem Denkmal, wie es nun einmal dasteht, nichts mehr
zu thun haben. Überdies fallen die ästhetischen Gründe auch viel schwerer
ins Gewicht. Denn der führende Genius trägt nur dazu bei, Oberkörper und
Antlitz des Reiters noch mehr zu verdecken, als es Hals und Kopf des Pferdes
schon thun. Trotz oder wegen der gewaltigen Dimensionen des Reiters (Pferd
und Reiter messen zusammen 9 Meter, der Genius 5^ Meter in der Höhe)
gewinnt man nämlich von keinem Punkte der Schloßfassade, auch wenn man
sich in die hinterste Ecke des nördlichen Portals hincindrückt, einen Standpunkt,
der eine volle Vorderansicht der Reitergestalt ermöglichte. Nur eine befriedigende
Seitenansicht, die auch einen schönen Umriß zeigt, erhält man, wenn man
sich von der Schloßbrücke nach Süden wendet. Das hat auch Begas beab¬
sichtigt, da er, freilich zum Schaden der Froutwirkung, das Denkmal über
die Portale der Hnllenarme um einige Meter vorgerückt hat. Der relativ beste
Anblick bietet sich nnr dem dar, der etwa von ersten Stockwerk des Schlosses
die ganze Anlage übersieht, und dieser Genuß kaun selbstverständlich nur wenigen
zu teil werden.

Bei der architektonischen Gestaltung der Halle, die den Dcukmalsplatz nach
Westen begrenzt, war ausdrücklich verlangt worden, daß die Säulenpaare so
angeordnet werden sollten, daß sie nach allen Seiten einen freien Ausblick auf
das Denkmal gewährten. Diese sehr wohlgemeinte Absicht hat aber die Gesamt¬
wirkung empfindlich geschädigt. Eine geschlossene Rückwand der Halle hätte
eine Art Kulisse geboten, die wenigstens den unangenehmen Durchblick auf
das schmutzige Ziegelrot der jenseits des hinter dem Denkmal vorübergehenden
Spreearms stehenden Bauakademie abgefangen hätte. Jetzt will man durch Besei¬
tigung der Bauakademie Abhilfe schaffen. Die ist aber ein Werk Schinkels, der
seinen festen Platz in der Kunstgeschichte hat, weil er vor sechzig Jahren den
ersten Anstoß zur Wiederbelebung des heute zu hoher Blüte gelangten märkischen
Vacksteinbaues gab. Ihr reiner Kunstwert ist nur gering -- das kaun nicht be¬
stritten werden! Aber selbst mit dem jetzt in aller Hast betriebnen Abbruch des
"alten Baukastens" -- wie der Berliner Volkswitz die Bauakademie benannt
hat ^ wird nicht viel gewonnen werden. Selbst wenn man den sreigewordnen


Das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. in Berlin

Mitteln des ganzen deutschen Volkes errichteten Nationaldenkmal, die Zügel
deS kaiserlichen Rosses mit sanfter Hand zu führen, so wäre es Bismarck ge¬
wesen, nicht eine der allegorischen Frauen, mit denen sich Kaiser Wilhelm nur
dann huldvoll, bisweilen auch in ergebner Gelassenheit abfand, wenn sie ihm
in Gestalt von weißgekleideten Jungfrauen bei seinen Sicgeseinzügen oder bei
feierlichen Empfängen während seiner Reisen zu Trnppenbesichtigungen und
Manövern entgegenkamen.

Aus rein sachlichen wie aus ästhetischen Gründen wäre aber auch nicht
Bismarck als Rosseleuker wttuschenswert gewesen. Die sachlichen Gründe lassen
wir beiseite, weil wir uns bei ihrer Entwicklung leicht in Erörterungen ver¬
lieren könnten, die mit dem Denkmal, wie es nun einmal dasteht, nichts mehr
zu thun haben. Überdies fallen die ästhetischen Gründe auch viel schwerer
ins Gewicht. Denn der führende Genius trägt nur dazu bei, Oberkörper und
Antlitz des Reiters noch mehr zu verdecken, als es Hals und Kopf des Pferdes
schon thun. Trotz oder wegen der gewaltigen Dimensionen des Reiters (Pferd
und Reiter messen zusammen 9 Meter, der Genius 5^ Meter in der Höhe)
gewinnt man nämlich von keinem Punkte der Schloßfassade, auch wenn man
sich in die hinterste Ecke des nördlichen Portals hincindrückt, einen Standpunkt,
der eine volle Vorderansicht der Reitergestalt ermöglichte. Nur eine befriedigende
Seitenansicht, die auch einen schönen Umriß zeigt, erhält man, wenn man
sich von der Schloßbrücke nach Süden wendet. Das hat auch Begas beab¬
sichtigt, da er, freilich zum Schaden der Froutwirkung, das Denkmal über
die Portale der Hnllenarme um einige Meter vorgerückt hat. Der relativ beste
Anblick bietet sich nnr dem dar, der etwa von ersten Stockwerk des Schlosses
die ganze Anlage übersieht, und dieser Genuß kaun selbstverständlich nur wenigen
zu teil werden.

Bei der architektonischen Gestaltung der Halle, die den Dcukmalsplatz nach
Westen begrenzt, war ausdrücklich verlangt worden, daß die Säulenpaare so
angeordnet werden sollten, daß sie nach allen Seiten einen freien Ausblick auf
das Denkmal gewährten. Diese sehr wohlgemeinte Absicht hat aber die Gesamt¬
wirkung empfindlich geschädigt. Eine geschlossene Rückwand der Halle hätte
eine Art Kulisse geboten, die wenigstens den unangenehmen Durchblick auf
das schmutzige Ziegelrot der jenseits des hinter dem Denkmal vorübergehenden
Spreearms stehenden Bauakademie abgefangen hätte. Jetzt will man durch Besei¬
tigung der Bauakademie Abhilfe schaffen. Die ist aber ein Werk Schinkels, der
seinen festen Platz in der Kunstgeschichte hat, weil er vor sechzig Jahren den
ersten Anstoß zur Wiederbelebung des heute zu hoher Blüte gelangten märkischen
Vacksteinbaues gab. Ihr reiner Kunstwert ist nur gering — das kaun nicht be¬
stritten werden! Aber selbst mit dem jetzt in aller Hast betriebnen Abbruch des
„alten Baukastens" — wie der Berliner Volkswitz die Bauakademie benannt
hat ^ wird nicht viel gewonnen werden. Selbst wenn man den sreigewordnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/95>, abgerufen am 23.07.2024.