Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst Doch will ich die Ersparnis nicht als den ersten Vorzug unsrer heutigen So "herrlich weit" wir es aber auch gebracht haben, so stehen wir doch Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst Doch will ich die Ersparnis nicht als den ersten Vorzug unsrer heutigen So „herrlich weit" wir es aber auch gebracht haben, so stehen wir doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225515"/> <fw type="header" place="top"> Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst</fw><lb/> <p xml:id="ID_1838"> Doch will ich die Ersparnis nicht als den ersten Vorzug unsrer heutigen<lb/> Technik hinstellen. Auch der eigentliche technische Fortschritt ist nur mit<lb/> Hilfe der Wissenschaft möglich gewesen, niemals würden ohne sie die großen<lb/> Bauten der Neuzeit, wie die Überbrückung der breitesten Ströme, der Suez¬<lb/> kanal, der Se. Gotthardtunnel, der Eiffelturm u. a. in. gelungen sein. Ja<lb/> ohne vollständige Beherrschung des Materials auf Grund der rechnenden<lb/> Wissenschaften ist heute kaum eine bedeutende Arbeit ausführbar. Erst durch<lb/> die Vereinigung der Technik mit der Wissenschaft wird des Dichters Wort zur<lb/> Wahrheit, daß dem Sterblichen „nichts zu hoch" sei. An Stelle des dunkeln<lb/> Triebes, der ehemals das Menschengeschlecht ungewiß des Erfolges zu titanen¬<lb/> haften Bestrebungen anspornte, ist jetzt die kühle Berechnung getreten. Wenn<lb/> sich nach dem Mythos der kindisch despotische Wille vermaß, den Göttern<lb/> gleich zu sein und Berge auf Berge turnte, so strafte Zeus den Unverstand<lb/> mit dem Sturz der Titanen; die auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden<lb/> Unternehmungen unsrer Zeit lohnt der schönste Erfolg. Der Sturz des<lb/> babylonischen Turms war wohl nichts andres, als das Mißlingen eines<lb/> Baues, der ohne Berechnung der Mittel unternommen war. Von sieben ent-<lb/> worfnen Stockwerken sind überhaupt nur drei fertig geworden. Wer jemals<lb/> einen Kampf mit dem Grundwasser bestanden hat, wird es begreiflich finden,<lb/> daß der Bau des Main-Donankanals unter Karl dem Großen bei dem<lb/> damaligen Stande der Wissenschaft nicht gelingen konnte. Es war eben<lb/> nur eine Idee des großen Kaisers, die wie so manche andre Idee projekten-<lb/> lustiger Laien ins Wasser fiel. Heute weist eine Berechnung die Möglichkeit<lb/> oder Unmöglichkeit einer Anlage nach, und die unmögliche wird nicht erst<lb/> unternommen. Was aber vermag das Menschengeschlecht größeres zu leisten,<lb/> als das Mögliche zur Wahrheit zu machen? Und was ist nicht alles gerade<lb/> in den letzten Jahrzehnten zur Wahrheit geworden, was wir früher für un¬<lb/> möglich hielten? Kein Strom, kein Gebirge setzt mehr dem Schienenwege ein<lb/> Hindernis entgegen. Noch vor vierzig Jahren fand die Legung eines Kabels<lb/> durch den Atlantischen Ozean ihre Zweifler, und heute überzieht ein Netz von<lb/> Drähten den Erdball. Und welche Unternehmungen werden noch geplant!<lb/> Ich erinnere nur an die Durchstechung der Landenge von Panama, an die<lb/> Uberbrückung des Lia-U Is, NiUiollö u. a. Unternehmungen, über deren technische<lb/> Ausführbarkeit zunächst die wissenschaftliche Berechnung zu entscheiden hat.<lb/> Wahrlich, ohne die Wissenschaft auf dem Wege der bloßen Erfahrung würden<lb/> wir noch weit zurück sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1839" next="#ID_1840"> So „herrlich weit" wir es aber auch gebracht haben, so stehen wir doch<lb/> auch heute noch in verschiednen Zweigen der Technik auf dem Standpunkte<lb/> des Altertums, d. h. wir folgen empirischen Grundsätzen. Viele Fragen des<lb/> Wasserbaus lassen sich trotz aller Wissenschaft auch heute uoch nicht anders<lb/> lösen, als auf dem Wege der Erfahrung. Die Stärke einer Hafenmole zu be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0587]
Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst
Doch will ich die Ersparnis nicht als den ersten Vorzug unsrer heutigen
Technik hinstellen. Auch der eigentliche technische Fortschritt ist nur mit
Hilfe der Wissenschaft möglich gewesen, niemals würden ohne sie die großen
Bauten der Neuzeit, wie die Überbrückung der breitesten Ströme, der Suez¬
kanal, der Se. Gotthardtunnel, der Eiffelturm u. a. in. gelungen sein. Ja
ohne vollständige Beherrschung des Materials auf Grund der rechnenden
Wissenschaften ist heute kaum eine bedeutende Arbeit ausführbar. Erst durch
die Vereinigung der Technik mit der Wissenschaft wird des Dichters Wort zur
Wahrheit, daß dem Sterblichen „nichts zu hoch" sei. An Stelle des dunkeln
Triebes, der ehemals das Menschengeschlecht ungewiß des Erfolges zu titanen¬
haften Bestrebungen anspornte, ist jetzt die kühle Berechnung getreten. Wenn
sich nach dem Mythos der kindisch despotische Wille vermaß, den Göttern
gleich zu sein und Berge auf Berge turnte, so strafte Zeus den Unverstand
mit dem Sturz der Titanen; die auf wissenschaftlicher Grundlage ruhenden
Unternehmungen unsrer Zeit lohnt der schönste Erfolg. Der Sturz des
babylonischen Turms war wohl nichts andres, als das Mißlingen eines
Baues, der ohne Berechnung der Mittel unternommen war. Von sieben ent-
worfnen Stockwerken sind überhaupt nur drei fertig geworden. Wer jemals
einen Kampf mit dem Grundwasser bestanden hat, wird es begreiflich finden,
daß der Bau des Main-Donankanals unter Karl dem Großen bei dem
damaligen Stande der Wissenschaft nicht gelingen konnte. Es war eben
nur eine Idee des großen Kaisers, die wie so manche andre Idee projekten-
lustiger Laien ins Wasser fiel. Heute weist eine Berechnung die Möglichkeit
oder Unmöglichkeit einer Anlage nach, und die unmögliche wird nicht erst
unternommen. Was aber vermag das Menschengeschlecht größeres zu leisten,
als das Mögliche zur Wahrheit zu machen? Und was ist nicht alles gerade
in den letzten Jahrzehnten zur Wahrheit geworden, was wir früher für un¬
möglich hielten? Kein Strom, kein Gebirge setzt mehr dem Schienenwege ein
Hindernis entgegen. Noch vor vierzig Jahren fand die Legung eines Kabels
durch den Atlantischen Ozean ihre Zweifler, und heute überzieht ein Netz von
Drähten den Erdball. Und welche Unternehmungen werden noch geplant!
Ich erinnere nur an die Durchstechung der Landenge von Panama, an die
Uberbrückung des Lia-U Is, NiUiollö u. a. Unternehmungen, über deren technische
Ausführbarkeit zunächst die wissenschaftliche Berechnung zu entscheiden hat.
Wahrlich, ohne die Wissenschaft auf dem Wege der bloßen Erfahrung würden
wir noch weit zurück sein.
So „herrlich weit" wir es aber auch gebracht haben, so stehen wir doch
auch heute noch in verschiednen Zweigen der Technik auf dem Standpunkte
des Altertums, d. h. wir folgen empirischen Grundsätzen. Viele Fragen des
Wasserbaus lassen sich trotz aller Wissenschaft auch heute uoch nicht anders
lösen, als auf dem Wege der Erfahrung. Die Stärke einer Hafenmole zu be-
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