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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst

Kuppeln des Pantheon, der Sophienkirche, die Schiffe unsrer Kathedralen
überwölbt, wie die Turmhelme des Straßburger, des Freiburger Münsters
aufgeführt werden?

Wie es möglich war, ohne Maschinen und ohne wissenschaftliche
Kenntnisse jene Riesenbauten der Vorzeit ins Werk zu setzen, erklärt sich in
Wirklichkeit recht einfach: wenn es auch keine Maschinen gab, so fehlte es
doch nicht an Menschenkräften; reichten hundert Sklaven nicht aus, einen
Felsblock zu ziehen, so wurden zweihundert angespannt; riß ein Tau, so
wurde ein stärkeres genommen oder ihre Zahl vermehrt, bis sie hielten und
es gelang, einen Block von vierhundert oder fünfhundert Zentnern auf ge¬
neigten Erdanschüttnngen durch untergelegte Walzen in Bewegung zu setzen
und an seinen Bestimmungsort zu befördern. Von einer Berechnung der
Kosten war natürlich so wenig die Rede wie von einer Berechnung der sta¬
tischen und mechanischen Kräfte; ebenso wenig mochte man sich über die Zeit
der Herstellung und andre Bedingungen im klaren sein. Statt einer Berech¬
nung entschied hier nur der Befehl des Despoten, und der kindliche Wille
des Herrschers mochte sich oft mächtiger geberden als die Leistungsfähigkeit
der Technik.

Viele von den gewaltigen Kolossen der Ägypter, die Memnonssäulen, die
Sphinx u. a., die Bauten der Inder in Ellorn waren übrigens aus ge¬
wachsenen Felsen gehauen, und es bedürfte zu ihrer Herstellung nichts weiter
als des Hammers und des Meißels. Vollständig verfehlt ist es auch, aus
alten Baudenkmälern, die noch heute der Zerstörung durch die Zeit wider¬
stehen, ans eine größere Tüchtigkeit der frühern Technik zu schließen. Die
Pfuscherarbeit früherer Jahrhunderte ist längst zu Grunde gegangen, und das
Tüchtige wird immer längere Zeiten überdauern, mag es die Vergangenheit
oder die Neuzeit geschaffen haben.

Die mächtigen Erzkolosse des Altertums, wie der Koloß von Rhodus,
die Athenestatue auf der Akropolis u. a. in. wird man wohl mit Tauen auf¬
gerichtet haben, ähnlich wie die großen Obelisken, wobei der Baumeister die
Taue nässen ließ, um eine bessere Zusammenziehung zu bewirken.

Bei weiteren Fortschritt der Technik wurden dann auch Hilssmaschinen und
Rüstungen recht verwickelter Art erfunden, aber immer nur auf dem Wege der
Erfahrung ohne die rechnende Wissenschaft. Wie manche Rüstung mag auch
gebrochen sein! Dann stellte man sie stärker wieder her, und der Nachfolger
lernte, wie sie in jedem Falle zu konstruiren sei. So schuf sich das Handwerk
auf dem Wege der Erfahrung die Mittel, Säulen aufzurichten, Architrave zu
heben und darüber zu legen, die Kuppeln des Pantheons und der Hagia
Sophia zu wölben.

In wie hoher Achtung die Konstrukteure des Altertums standen, und wie
sinnreich sie zu erfinden wußten, zeigt Vitruv an verschiednen Beispielen.


Grenzboten II I8!)7 78
Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst

Kuppeln des Pantheon, der Sophienkirche, die Schiffe unsrer Kathedralen
überwölbt, wie die Turmhelme des Straßburger, des Freiburger Münsters
aufgeführt werden?

Wie es möglich war, ohne Maschinen und ohne wissenschaftliche
Kenntnisse jene Riesenbauten der Vorzeit ins Werk zu setzen, erklärt sich in
Wirklichkeit recht einfach: wenn es auch keine Maschinen gab, so fehlte es
doch nicht an Menschenkräften; reichten hundert Sklaven nicht aus, einen
Felsblock zu ziehen, so wurden zweihundert angespannt; riß ein Tau, so
wurde ein stärkeres genommen oder ihre Zahl vermehrt, bis sie hielten und
es gelang, einen Block von vierhundert oder fünfhundert Zentnern auf ge¬
neigten Erdanschüttnngen durch untergelegte Walzen in Bewegung zu setzen
und an seinen Bestimmungsort zu befördern. Von einer Berechnung der
Kosten war natürlich so wenig die Rede wie von einer Berechnung der sta¬
tischen und mechanischen Kräfte; ebenso wenig mochte man sich über die Zeit
der Herstellung und andre Bedingungen im klaren sein. Statt einer Berech¬
nung entschied hier nur der Befehl des Despoten, und der kindliche Wille
des Herrschers mochte sich oft mächtiger geberden als die Leistungsfähigkeit
der Technik.

Viele von den gewaltigen Kolossen der Ägypter, die Memnonssäulen, die
Sphinx u. a., die Bauten der Inder in Ellorn waren übrigens aus ge¬
wachsenen Felsen gehauen, und es bedürfte zu ihrer Herstellung nichts weiter
als des Hammers und des Meißels. Vollständig verfehlt ist es auch, aus
alten Baudenkmälern, die noch heute der Zerstörung durch die Zeit wider¬
stehen, ans eine größere Tüchtigkeit der frühern Technik zu schließen. Die
Pfuscherarbeit früherer Jahrhunderte ist längst zu Grunde gegangen, und das
Tüchtige wird immer längere Zeiten überdauern, mag es die Vergangenheit
oder die Neuzeit geschaffen haben.

Die mächtigen Erzkolosse des Altertums, wie der Koloß von Rhodus,
die Athenestatue auf der Akropolis u. a. in. wird man wohl mit Tauen auf¬
gerichtet haben, ähnlich wie die großen Obelisken, wobei der Baumeister die
Taue nässen ließ, um eine bessere Zusammenziehung zu bewirken.

Bei weiteren Fortschritt der Technik wurden dann auch Hilssmaschinen und
Rüstungen recht verwickelter Art erfunden, aber immer nur auf dem Wege der
Erfahrung ohne die rechnende Wissenschaft. Wie manche Rüstung mag auch
gebrochen sein! Dann stellte man sie stärker wieder her, und der Nachfolger
lernte, wie sie in jedem Falle zu konstruiren sei. So schuf sich das Handwerk
auf dem Wege der Erfahrung die Mittel, Säulen aufzurichten, Architrave zu
heben und darüber zu legen, die Kuppeln des Pantheons und der Hagia
Sophia zu wölben.

In wie hoher Achtung die Konstrukteure des Altertums standen, und wie
sinnreich sie zu erfinden wußten, zeigt Vitruv an verschiednen Beispielen.


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[0585] Erfahrung und Wissenschaft in der Baukunst Kuppeln des Pantheon, der Sophienkirche, die Schiffe unsrer Kathedralen überwölbt, wie die Turmhelme des Straßburger, des Freiburger Münsters aufgeführt werden? Wie es möglich war, ohne Maschinen und ohne wissenschaftliche Kenntnisse jene Riesenbauten der Vorzeit ins Werk zu setzen, erklärt sich in Wirklichkeit recht einfach: wenn es auch keine Maschinen gab, so fehlte es doch nicht an Menschenkräften; reichten hundert Sklaven nicht aus, einen Felsblock zu ziehen, so wurden zweihundert angespannt; riß ein Tau, so wurde ein stärkeres genommen oder ihre Zahl vermehrt, bis sie hielten und es gelang, einen Block von vierhundert oder fünfhundert Zentnern auf ge¬ neigten Erdanschüttnngen durch untergelegte Walzen in Bewegung zu setzen und an seinen Bestimmungsort zu befördern. Von einer Berechnung der Kosten war natürlich so wenig die Rede wie von einer Berechnung der sta¬ tischen und mechanischen Kräfte; ebenso wenig mochte man sich über die Zeit der Herstellung und andre Bedingungen im klaren sein. Statt einer Berech¬ nung entschied hier nur der Befehl des Despoten, und der kindliche Wille des Herrschers mochte sich oft mächtiger geberden als die Leistungsfähigkeit der Technik. Viele von den gewaltigen Kolossen der Ägypter, die Memnonssäulen, die Sphinx u. a., die Bauten der Inder in Ellorn waren übrigens aus ge¬ wachsenen Felsen gehauen, und es bedürfte zu ihrer Herstellung nichts weiter als des Hammers und des Meißels. Vollständig verfehlt ist es auch, aus alten Baudenkmälern, die noch heute der Zerstörung durch die Zeit wider¬ stehen, ans eine größere Tüchtigkeit der frühern Technik zu schließen. Die Pfuscherarbeit früherer Jahrhunderte ist längst zu Grunde gegangen, und das Tüchtige wird immer längere Zeiten überdauern, mag es die Vergangenheit oder die Neuzeit geschaffen haben. Die mächtigen Erzkolosse des Altertums, wie der Koloß von Rhodus, die Athenestatue auf der Akropolis u. a. in. wird man wohl mit Tauen auf¬ gerichtet haben, ähnlich wie die großen Obelisken, wobei der Baumeister die Taue nässen ließ, um eine bessere Zusammenziehung zu bewirken. Bei weiteren Fortschritt der Technik wurden dann auch Hilssmaschinen und Rüstungen recht verwickelter Art erfunden, aber immer nur auf dem Wege der Erfahrung ohne die rechnende Wissenschaft. Wie manche Rüstung mag auch gebrochen sein! Dann stellte man sie stärker wieder her, und der Nachfolger lernte, wie sie in jedem Falle zu konstruiren sei. So schuf sich das Handwerk auf dem Wege der Erfahrung die Mittel, Säulen aufzurichten, Architrave zu heben und darüber zu legen, die Kuppeln des Pantheons und der Hagia Sophia zu wölben. In wie hoher Achtung die Konstrukteure des Altertums standen, und wie sinnreich sie zu erfinden wußten, zeigt Vitruv an verschiednen Beispielen. Grenzboten II I8!)7 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/585>, abgerufen am 23.07.2024.