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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen

der zuzulassenden Lehrkräfte zu gute kommen zu lasse", ist diese Reform ge¬
boten. In den großen, bunt zusammengewürfelten philosophischen Fakultäten
schweben die wenigen Staatswissenschafter völlig in der Luft, die Fakultät
hilft ihnen nichts und muß sie gewähren lassen. Der Monopolisirung einzelner
Richtungen, der Übermacht einzelner Personen dient das natürlich nur zu sehr.
Wenn es jetzt gilt zu reformiren, so hat der Minister in diesen großen Fakul¬
täten die allerwertlosesten Verbündeten. Das wird anders sein oder kann doch
anders werden in den juristischen Fakultäten. Von leinen darf man jedenfalls
weit eher verlangen, daß sie sich um die ihnen eingegliederte Staatswissen¬
schaft kümmern, daß sie ihre Lehre gegen Vergewaltigung schützen, aber auch
für ihr Verhältnis zur Rechtsordnung und schließlich zur Linus xndlieg, die
zulässige Verantwortung übernehmen. Der Jurist Bosse hat im Abgeordneten¬
hause sehr liebenswürdig mit warmen Worten den günstigen Einfluß hervor¬
gehoben, den er von der Einverleibung der Staatswissenschaft in die Juristen¬
fakultäten auf die Rechtswissenschaft erwartet. "Es liegt ja auf der Hand,
sagte er, die vorwiegend logische und formalistische Behandlung der Rechts¬
fragen, die größte Gefahr, die wir in unsrer Rechtspflege haben, muß nicht bloß
abgeschwächt, sondern sie muß verbessert werden und mit einem tiefern Inhalt
erfüllt werden, sobald man auf den materiellen oder wirtschaftlichen und
sozialen Inhalt der Begriffe, um die es sich handelt, eingeht." Aber die
Hauptsache für die vorliegende Frage liegt doch in dem bescheidnen Nachsatz:
"und umgekehrt wird es unsern Wirtschaftsleuten gar nichts schaden können,
wenn sie genötigt werden, mit juristischer Schärfe auch ihre materiellen, ihre
spezifisch nationalökonomischen Begriffe darauf hin zu prüfen, wie sie sich zum
Rechtssystem stellen." Wie heute die Sachen stehen, wird es dem Staats¬
wissenschafter nicht nur nicht schaden können, es ist vielmehr ganz unum¬
gänglich notwendig, daß die Rechtswissenschaft Vorspann leistet, um den Wagen
aus dem Sumpf, in den er geraten ist, wieder herauszuholen. Wir haben
im vorigen Jahre in den Grenzboten (Heft 24) die Notwendigkeit der engern
Verbindung der zur Zeit ganz unnatürlich getrennten Rechtswissenschaft und
Staatswissenschaft unter Hinweis auf Noschcrs vortrefflichen Aufsatz über den
Zusammenhang zwischen Nationalökonomik und Rechtswissenschaft vom Jahre
1862 besprochen, aber wir wollen wegen der Allmacht der Tagesinteressen,
die ein Jahr in der Politik zur Ewigkeit machen, heute nochmals auf das
Noschersche Urteil über den "Nutzen des Rechtsstudiums für Theorie und
Praxis der Volkswirtschaftslehre" kurz zurückkommen. Wie die große Mehr¬
zahl der Rechtsgeschäfte einen wirtschaftlichen Zweck und Inhalt habe, sagt
Noscher, so setze beinahe jede wirtschaftliche Handlung gewisse Rechtsformen
voraus. Nun solle zwar jeder selbständige Mensch verstehen, sich in solchen
Rechtsformen zu bewegen, aber der Jurist als solcher sei Meister darin. Dies
gelte namentlich von dem Verständnis und der Auslegung der Gesetze. Und


Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen

der zuzulassenden Lehrkräfte zu gute kommen zu lasse«, ist diese Reform ge¬
boten. In den großen, bunt zusammengewürfelten philosophischen Fakultäten
schweben die wenigen Staatswissenschafter völlig in der Luft, die Fakultät
hilft ihnen nichts und muß sie gewähren lassen. Der Monopolisirung einzelner
Richtungen, der Übermacht einzelner Personen dient das natürlich nur zu sehr.
Wenn es jetzt gilt zu reformiren, so hat der Minister in diesen großen Fakul¬
täten die allerwertlosesten Verbündeten. Das wird anders sein oder kann doch
anders werden in den juristischen Fakultäten. Von leinen darf man jedenfalls
weit eher verlangen, daß sie sich um die ihnen eingegliederte Staatswissen¬
schaft kümmern, daß sie ihre Lehre gegen Vergewaltigung schützen, aber auch
für ihr Verhältnis zur Rechtsordnung und schließlich zur Linus xndlieg, die
zulässige Verantwortung übernehmen. Der Jurist Bosse hat im Abgeordneten¬
hause sehr liebenswürdig mit warmen Worten den günstigen Einfluß hervor¬
gehoben, den er von der Einverleibung der Staatswissenschaft in die Juristen¬
fakultäten auf die Rechtswissenschaft erwartet. „Es liegt ja auf der Hand,
sagte er, die vorwiegend logische und formalistische Behandlung der Rechts¬
fragen, die größte Gefahr, die wir in unsrer Rechtspflege haben, muß nicht bloß
abgeschwächt, sondern sie muß verbessert werden und mit einem tiefern Inhalt
erfüllt werden, sobald man auf den materiellen oder wirtschaftlichen und
sozialen Inhalt der Begriffe, um die es sich handelt, eingeht." Aber die
Hauptsache für die vorliegende Frage liegt doch in dem bescheidnen Nachsatz:
„und umgekehrt wird es unsern Wirtschaftsleuten gar nichts schaden können,
wenn sie genötigt werden, mit juristischer Schärfe auch ihre materiellen, ihre
spezifisch nationalökonomischen Begriffe darauf hin zu prüfen, wie sie sich zum
Rechtssystem stellen." Wie heute die Sachen stehen, wird es dem Staats¬
wissenschafter nicht nur nicht schaden können, es ist vielmehr ganz unum¬
gänglich notwendig, daß die Rechtswissenschaft Vorspann leistet, um den Wagen
aus dem Sumpf, in den er geraten ist, wieder herauszuholen. Wir haben
im vorigen Jahre in den Grenzboten (Heft 24) die Notwendigkeit der engern
Verbindung der zur Zeit ganz unnatürlich getrennten Rechtswissenschaft und
Staatswissenschaft unter Hinweis auf Noschcrs vortrefflichen Aufsatz über den
Zusammenhang zwischen Nationalökonomik und Rechtswissenschaft vom Jahre
1862 besprochen, aber wir wollen wegen der Allmacht der Tagesinteressen,
die ein Jahr in der Politik zur Ewigkeit machen, heute nochmals auf das
Noschersche Urteil über den „Nutzen des Rechtsstudiums für Theorie und
Praxis der Volkswirtschaftslehre" kurz zurückkommen. Wie die große Mehr¬
zahl der Rechtsgeschäfte einen wirtschaftlichen Zweck und Inhalt habe, sagt
Noscher, so setze beinahe jede wirtschaftliche Handlung gewisse Rechtsformen
voraus. Nun solle zwar jeder selbständige Mensch verstehen, sich in solchen
Rechtsformen zu bewegen, aber der Jurist als solcher sei Meister darin. Dies
gelte namentlich von dem Verständnis und der Auslegung der Gesetze. Und


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[0510] Die Reform des staatswissenschaftlicher Unterrichts in Preußen der zuzulassenden Lehrkräfte zu gute kommen zu lasse«, ist diese Reform ge¬ boten. In den großen, bunt zusammengewürfelten philosophischen Fakultäten schweben die wenigen Staatswissenschafter völlig in der Luft, die Fakultät hilft ihnen nichts und muß sie gewähren lassen. Der Monopolisirung einzelner Richtungen, der Übermacht einzelner Personen dient das natürlich nur zu sehr. Wenn es jetzt gilt zu reformiren, so hat der Minister in diesen großen Fakul¬ täten die allerwertlosesten Verbündeten. Das wird anders sein oder kann doch anders werden in den juristischen Fakultäten. Von leinen darf man jedenfalls weit eher verlangen, daß sie sich um die ihnen eingegliederte Staatswissen¬ schaft kümmern, daß sie ihre Lehre gegen Vergewaltigung schützen, aber auch für ihr Verhältnis zur Rechtsordnung und schließlich zur Linus xndlieg, die zulässige Verantwortung übernehmen. Der Jurist Bosse hat im Abgeordneten¬ hause sehr liebenswürdig mit warmen Worten den günstigen Einfluß hervor¬ gehoben, den er von der Einverleibung der Staatswissenschaft in die Juristen¬ fakultäten auf die Rechtswissenschaft erwartet. „Es liegt ja auf der Hand, sagte er, die vorwiegend logische und formalistische Behandlung der Rechts¬ fragen, die größte Gefahr, die wir in unsrer Rechtspflege haben, muß nicht bloß abgeschwächt, sondern sie muß verbessert werden und mit einem tiefern Inhalt erfüllt werden, sobald man auf den materiellen oder wirtschaftlichen und sozialen Inhalt der Begriffe, um die es sich handelt, eingeht." Aber die Hauptsache für die vorliegende Frage liegt doch in dem bescheidnen Nachsatz: „und umgekehrt wird es unsern Wirtschaftsleuten gar nichts schaden können, wenn sie genötigt werden, mit juristischer Schärfe auch ihre materiellen, ihre spezifisch nationalökonomischen Begriffe darauf hin zu prüfen, wie sie sich zum Rechtssystem stellen." Wie heute die Sachen stehen, wird es dem Staats¬ wissenschafter nicht nur nicht schaden können, es ist vielmehr ganz unum¬ gänglich notwendig, daß die Rechtswissenschaft Vorspann leistet, um den Wagen aus dem Sumpf, in den er geraten ist, wieder herauszuholen. Wir haben im vorigen Jahre in den Grenzboten (Heft 24) die Notwendigkeit der engern Verbindung der zur Zeit ganz unnatürlich getrennten Rechtswissenschaft und Staatswissenschaft unter Hinweis auf Noschcrs vortrefflichen Aufsatz über den Zusammenhang zwischen Nationalökonomik und Rechtswissenschaft vom Jahre 1862 besprochen, aber wir wollen wegen der Allmacht der Tagesinteressen, die ein Jahr in der Politik zur Ewigkeit machen, heute nochmals auf das Noschersche Urteil über den „Nutzen des Rechtsstudiums für Theorie und Praxis der Volkswirtschaftslehre" kurz zurückkommen. Wie die große Mehr¬ zahl der Rechtsgeschäfte einen wirtschaftlichen Zweck und Inhalt habe, sagt Noscher, so setze beinahe jede wirtschaftliche Handlung gewisse Rechtsformen voraus. Nun solle zwar jeder selbständige Mensch verstehen, sich in solchen Rechtsformen zu bewegen, aber der Jurist als solcher sei Meister darin. Dies gelte namentlich von dem Verständnis und der Auslegung der Gesetze. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/510>, abgerufen am 23.07.2024.