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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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mische Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der Staatswissenschaften" gewinnen
könne. Das werde nicht leicht, aber doch auch nicht ganz unmöglich sein.
Die großen Neugestaltungen, die infolge der sozialpolitischen Gesetzgebung des
Reiches entstanden seien, hätten doch eine Menge Kräfte in die Praxis hinein¬
gebracht, aus denen auch wissenschaftlich tüchtige und wohlbefähigte Leute
hervorgingen, die imstande seien, auch eine akademische Lehrthätigkeit zu über¬
nehmen. Zweitens, was die "Arbeiterfrage" angehe, werde es wohl zweck¬
mäßig sein, wenn sich Gelegenheit dazu biete, Bedacht darauf zu nehmen, "daß
auch der Standpunkt der Arbeitgeber etwas mehr als bisher dabei zur Geltung
komme." Drittens werde man in Erwägung zu ziehen haben, inwieweit auf
die "agrarpolitische Theorie und Lehre" größeres Gewicht zu legen sein werde
als bisher. "Ich glaube, fügte der Minister hinzu, daß sich das recht eigentlich
nach den Verhältnissen der betreffenden Universitäten, an der ein Lehrstuhl zu
besetzen ist, wird richten müssen. Es giebt Provinzen, wo die agrarischen
Verhältnisse so im Vordergrunde stehen, daß die Landwirtschaft einen vollen
Anspruch darauf hat, daß ihre Interessen auch wissenschaftlich an der be¬
treffenden Universität vertreten sein müssen." Und endlich viertens würde sich
der Minister ein sehr günstiges Ergebnis davon versprechen, "wenn es gelänge,
die nationalökonomischen und die staatswissenschaftlicher Professuren mit der
juristischen Fakultät zu vereinigen."

Wenn wir diese Ausführungen des Ministers als eine Art von Programm
bezeichnet haben, so sind wir doch weit davon entfernt, sie nach dem Maßstab
eines fertigen Negierungsprogramms zu messen oder dem Minister auch nur
zu unterstellen, er habe damit eine erschöpfende, unzweideutige Darlegung
seiner eignen Ansicht über die Fehlerhaftigkeit der zur Zeit an den preußischen
Universitäten vorherrschenden staatswisseiischaftlichsten, d. h. im gegebnen Falle
fozialwisfenschaftlichen Richtung geben wollen. Wäre dies anzunehmen, so
würden an der Fähigkeit des Dr. Bosse, eine Änderung zum Bessern
herbeizuführen, starke Zweifel zu hegen sein. Aber der Minister hat sich in
beiden Reden geflissentlich jedes eignen Urteils über die Berechtigung und
praktische Ersprießlichkeit der Lehrthätigkeit der sogenannten Kathedersozialisten
enthalten. Er hielt sich, und als Minister wohl mit Recht, an die. wie
er sagte, alte preußische und alte hohenzollerische Tradition, "daß man der
wissenschaftlichen Forschung und auch der wissenschaftlichen Lehre bis zur thun¬
lichsten Grenze Freiheit gewährt," er sprach nachdrücklich aus, daß man
"wissenschaftliche Gedanken und Ideen nicht mit Kanonen totschießen" könne,
und wenn man das versuche, daß man dann sich selbst und der Sache, die
man vertrete, am allermeisten schade. Es gebe, meinte er, kein Mittel, wie
er sämtliche Lehrer der Volkswirtschaft zwingen könne, im Sinne des Freiherrn
von Stumm Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik zu treiben. Die Wissen¬
schaft müsse sich selbst korrigiren, und wer eine feste Überzeugung gewonnen


mische Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der Staatswissenschaften" gewinnen
könne. Das werde nicht leicht, aber doch auch nicht ganz unmöglich sein.
Die großen Neugestaltungen, die infolge der sozialpolitischen Gesetzgebung des
Reiches entstanden seien, hätten doch eine Menge Kräfte in die Praxis hinein¬
gebracht, aus denen auch wissenschaftlich tüchtige und wohlbefähigte Leute
hervorgingen, die imstande seien, auch eine akademische Lehrthätigkeit zu über¬
nehmen. Zweitens, was die „Arbeiterfrage" angehe, werde es wohl zweck¬
mäßig sein, wenn sich Gelegenheit dazu biete, Bedacht darauf zu nehmen, „daß
auch der Standpunkt der Arbeitgeber etwas mehr als bisher dabei zur Geltung
komme." Drittens werde man in Erwägung zu ziehen haben, inwieweit auf
die „agrarpolitische Theorie und Lehre" größeres Gewicht zu legen sein werde
als bisher. „Ich glaube, fügte der Minister hinzu, daß sich das recht eigentlich
nach den Verhältnissen der betreffenden Universitäten, an der ein Lehrstuhl zu
besetzen ist, wird richten müssen. Es giebt Provinzen, wo die agrarischen
Verhältnisse so im Vordergrunde stehen, daß die Landwirtschaft einen vollen
Anspruch darauf hat, daß ihre Interessen auch wissenschaftlich an der be¬
treffenden Universität vertreten sein müssen." Und endlich viertens würde sich
der Minister ein sehr günstiges Ergebnis davon versprechen, „wenn es gelänge,
die nationalökonomischen und die staatswissenschaftlicher Professuren mit der
juristischen Fakultät zu vereinigen."

Wenn wir diese Ausführungen des Ministers als eine Art von Programm
bezeichnet haben, so sind wir doch weit davon entfernt, sie nach dem Maßstab
eines fertigen Negierungsprogramms zu messen oder dem Minister auch nur
zu unterstellen, er habe damit eine erschöpfende, unzweideutige Darlegung
seiner eignen Ansicht über die Fehlerhaftigkeit der zur Zeit an den preußischen
Universitäten vorherrschenden staatswisseiischaftlichsten, d. h. im gegebnen Falle
fozialwisfenschaftlichen Richtung geben wollen. Wäre dies anzunehmen, so
würden an der Fähigkeit des Dr. Bosse, eine Änderung zum Bessern
herbeizuführen, starke Zweifel zu hegen sein. Aber der Minister hat sich in
beiden Reden geflissentlich jedes eignen Urteils über die Berechtigung und
praktische Ersprießlichkeit der Lehrthätigkeit der sogenannten Kathedersozialisten
enthalten. Er hielt sich, und als Minister wohl mit Recht, an die. wie
er sagte, alte preußische und alte hohenzollerische Tradition, „daß man der
wissenschaftlichen Forschung und auch der wissenschaftlichen Lehre bis zur thun¬
lichsten Grenze Freiheit gewährt," er sprach nachdrücklich aus, daß man
„wissenschaftliche Gedanken und Ideen nicht mit Kanonen totschießen" könne,
und wenn man das versuche, daß man dann sich selbst und der Sache, die
man vertrete, am allermeisten schade. Es gebe, meinte er, kein Mittel, wie
er sämtliche Lehrer der Volkswirtschaft zwingen könne, im Sinne des Freiherrn
von Stumm Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitik zu treiben. Die Wissen¬
schaft müsse sich selbst korrigiren, und wer eine feste Überzeugung gewonnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/507>, abgerufen am 23.07.2024.