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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Interesse

der Mensch ist eigentlich nur so lange glücklich ans dieser Welt, so lange er
die grammatische Form iutsrösse lediglich für eine grammatische Form hält
und noch nicht weiß, daß dieses Wort im Leben eine so gewaltige Bedeutung
hat. Wenn man das Wörtchen int"zrss8ö ohne viel Federlesen in unser ge¬
liebtes Deutsch überträgt, so kommt dabei der hölzerne Ausdruck zum Vor¬
schein: "daran gelegen sein"; und wenn man sich für "das Interesse" nach
einer Verdeutschung umsieht, so bietet sich uns das unbeholfne "Anteil und
Vorteil." Das Charakteristische geht aber bei dieser Verdeutschung verloren,
wie denn auch die übrigen modernen Sprachen auf Grund dieser Erkenntnis
das lateinische Wort beibehalten haben.

Wir gebrauchen ein Fremdwort nicht nur, wenn uns ein treffendes eignes
Wort fehlt, sondern auch wenn wir uns absichtlich nicht ganz klipp und klar
ausdrücken möchten, wenn der, zu dem wir sprechen, etwas stillschweigend
herausfühlen soll, was wir nicht mit dürren Worten sagen mögen. Es ist
also eine gewisse Höflichkeit oder auch Heuchelei, die uns das deutungsfähigere,
in seinen Umrissen nicht so bestimmte Fremdwort gebrauchen läßt. Sage ich
z. V. zu jemand: "Ich habe ein Interesse daran, der Dame vorgestellt zu
werden," so ist dein andern der weiteste Spielraum darüber gelassen, warum
ich jener Dame vorgestellt sein möchte. Die Sprachreiniger mögen daher noch
so sehr für das echte deutsche Wort eintreten, das so angenehm vieldeutige
Fremdwort Interesse werden sie niemals aus der deutschen Sprache heraus¬
treiben. Denn um dieses Wort Interesse dreht sich alles in der Welt: leben
heißt interessirt sein.

Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie sich die Menschen mit sittlicher
Entrüstung ihre Interessen vorwerfen und sich den Anschein geben, als wenn
es etwas ganz Niederträchtiges wäre, "ans persönlichem Interesse zu handeln,"
denn bei Lichte betrachtet, wird doch die ganze Menschheit nur durch persön¬
liche Interessen zusammengehalten. Der eine Mensch stellt bei jeder Gelegen¬
heit an seinen lieben Nächsten die Forderung, "das persönliche Interesse hintan-
zusetzen und das allgemeine Interesse im Auge zu haben," und bedenkt gar
nicht, daß es eigentlich nur persönliche Interessen giebt, und daß sich das so¬
genannte allgemeine Juteresse nur aus vielen persönlichen Interessen zusammen¬
setzt. Wir können uns so hübsch in die Lage andrer versetzen und in ihrem
Namen den Objektiven und Unparteiischen spielen, aber nnr weil dabei unser
eignes Interesse nicht in Frage kommt. Diese famose Objektivität, die wir dem
Nächsten gegenüber nicht genug betonen können, hört aber sofort auf, wenn
das persönliche Ich mitspricht. Deshalb machte auch der Fundamentalsatz der
christlichen Lehre so gewaltigen Eindruck auf die Menschheit: Liebe deinen
Nächsten als dich selbst. Diese christliche Forderung ist aber ein schönes Wort
geblieben und wird immer nur ein schönes Wort bleiben, weil es in schroffem
Gegensatz steht zu dem Jnteressenstcmdpunkt, von dem aus die Menschen natur-


Interesse

der Mensch ist eigentlich nur so lange glücklich ans dieser Welt, so lange er
die grammatische Form iutsrösse lediglich für eine grammatische Form hält
und noch nicht weiß, daß dieses Wort im Leben eine so gewaltige Bedeutung
hat. Wenn man das Wörtchen int«zrss8ö ohne viel Federlesen in unser ge¬
liebtes Deutsch überträgt, so kommt dabei der hölzerne Ausdruck zum Vor¬
schein: „daran gelegen sein"; und wenn man sich für „das Interesse" nach
einer Verdeutschung umsieht, so bietet sich uns das unbeholfne „Anteil und
Vorteil." Das Charakteristische geht aber bei dieser Verdeutschung verloren,
wie denn auch die übrigen modernen Sprachen auf Grund dieser Erkenntnis
das lateinische Wort beibehalten haben.

Wir gebrauchen ein Fremdwort nicht nur, wenn uns ein treffendes eignes
Wort fehlt, sondern auch wenn wir uns absichtlich nicht ganz klipp und klar
ausdrücken möchten, wenn der, zu dem wir sprechen, etwas stillschweigend
herausfühlen soll, was wir nicht mit dürren Worten sagen mögen. Es ist
also eine gewisse Höflichkeit oder auch Heuchelei, die uns das deutungsfähigere,
in seinen Umrissen nicht so bestimmte Fremdwort gebrauchen läßt. Sage ich
z. V. zu jemand: „Ich habe ein Interesse daran, der Dame vorgestellt zu
werden," so ist dein andern der weiteste Spielraum darüber gelassen, warum
ich jener Dame vorgestellt sein möchte. Die Sprachreiniger mögen daher noch
so sehr für das echte deutsche Wort eintreten, das so angenehm vieldeutige
Fremdwort Interesse werden sie niemals aus der deutschen Sprache heraus¬
treiben. Denn um dieses Wort Interesse dreht sich alles in der Welt: leben
heißt interessirt sein.

Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie sich die Menschen mit sittlicher
Entrüstung ihre Interessen vorwerfen und sich den Anschein geben, als wenn
es etwas ganz Niederträchtiges wäre, „ans persönlichem Interesse zu handeln,"
denn bei Lichte betrachtet, wird doch die ganze Menschheit nur durch persön¬
liche Interessen zusammengehalten. Der eine Mensch stellt bei jeder Gelegen¬
heit an seinen lieben Nächsten die Forderung, „das persönliche Interesse hintan-
zusetzen und das allgemeine Interesse im Auge zu haben," und bedenkt gar
nicht, daß es eigentlich nur persönliche Interessen giebt, und daß sich das so¬
genannte allgemeine Juteresse nur aus vielen persönlichen Interessen zusammen¬
setzt. Wir können uns so hübsch in die Lage andrer versetzen und in ihrem
Namen den Objektiven und Unparteiischen spielen, aber nnr weil dabei unser
eignes Interesse nicht in Frage kommt. Diese famose Objektivität, die wir dem
Nächsten gegenüber nicht genug betonen können, hört aber sofort auf, wenn
das persönliche Ich mitspricht. Deshalb machte auch der Fundamentalsatz der
christlichen Lehre so gewaltigen Eindruck auf die Menschheit: Liebe deinen
Nächsten als dich selbst. Diese christliche Forderung ist aber ein schönes Wort
geblieben und wird immer nur ein schönes Wort bleiben, weil es in schroffem
Gegensatz steht zu dem Jnteressenstcmdpunkt, von dem aus die Menschen natur-


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[0443] Interesse der Mensch ist eigentlich nur so lange glücklich ans dieser Welt, so lange er die grammatische Form iutsrösse lediglich für eine grammatische Form hält und noch nicht weiß, daß dieses Wort im Leben eine so gewaltige Bedeutung hat. Wenn man das Wörtchen int«zrss8ö ohne viel Federlesen in unser ge¬ liebtes Deutsch überträgt, so kommt dabei der hölzerne Ausdruck zum Vor¬ schein: „daran gelegen sein"; und wenn man sich für „das Interesse" nach einer Verdeutschung umsieht, so bietet sich uns das unbeholfne „Anteil und Vorteil." Das Charakteristische geht aber bei dieser Verdeutschung verloren, wie denn auch die übrigen modernen Sprachen auf Grund dieser Erkenntnis das lateinische Wort beibehalten haben. Wir gebrauchen ein Fremdwort nicht nur, wenn uns ein treffendes eignes Wort fehlt, sondern auch wenn wir uns absichtlich nicht ganz klipp und klar ausdrücken möchten, wenn der, zu dem wir sprechen, etwas stillschweigend herausfühlen soll, was wir nicht mit dürren Worten sagen mögen. Es ist also eine gewisse Höflichkeit oder auch Heuchelei, die uns das deutungsfähigere, in seinen Umrissen nicht so bestimmte Fremdwort gebrauchen läßt. Sage ich z. V. zu jemand: „Ich habe ein Interesse daran, der Dame vorgestellt zu werden," so ist dein andern der weiteste Spielraum darüber gelassen, warum ich jener Dame vorgestellt sein möchte. Die Sprachreiniger mögen daher noch so sehr für das echte deutsche Wort eintreten, das so angenehm vieldeutige Fremdwort Interesse werden sie niemals aus der deutschen Sprache heraus¬ treiben. Denn um dieses Wort Interesse dreht sich alles in der Welt: leben heißt interessirt sein. Ich freue mich immer, wenn ich sehe, wie sich die Menschen mit sittlicher Entrüstung ihre Interessen vorwerfen und sich den Anschein geben, als wenn es etwas ganz Niederträchtiges wäre, „ans persönlichem Interesse zu handeln," denn bei Lichte betrachtet, wird doch die ganze Menschheit nur durch persön¬ liche Interessen zusammengehalten. Der eine Mensch stellt bei jeder Gelegen¬ heit an seinen lieben Nächsten die Forderung, „das persönliche Interesse hintan- zusetzen und das allgemeine Interesse im Auge zu haben," und bedenkt gar nicht, daß es eigentlich nur persönliche Interessen giebt, und daß sich das so¬ genannte allgemeine Juteresse nur aus vielen persönlichen Interessen zusammen¬ setzt. Wir können uns so hübsch in die Lage andrer versetzen und in ihrem Namen den Objektiven und Unparteiischen spielen, aber nnr weil dabei unser eignes Interesse nicht in Frage kommt. Diese famose Objektivität, die wir dem Nächsten gegenüber nicht genug betonen können, hört aber sofort auf, wenn das persönliche Ich mitspricht. Deshalb machte auch der Fundamentalsatz der christlichen Lehre so gewaltigen Eindruck auf die Menschheit: Liebe deinen Nächsten als dich selbst. Diese christliche Forderung ist aber ein schönes Wort geblieben und wird immer nur ein schönes Wort bleiben, weil es in schroffem Gegensatz steht zu dem Jnteressenstcmdpunkt, von dem aus die Menschen natur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/443>, abgerufen am 23.07.2024.