Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Memoiren von Paul Barras

Pietütlosigkeit man begangen hat." Wir wenden uns nun zu dem, was auf
Robespierres Hinrichtung zunächst folgte.

Barras hat die Bewegung gegen Robespierre organisirt. das ist zweifel¬
los, und er hat bei der Ausführung Kaltblütigkeit und großes militärisches
Geschick gezeigt. Er ist wirklich sür die nächsten Wochen bis zum 13. Vende-
miaire Herr der Lage und die einflußreichste Person der Republik. Er hat
die Bedeutung, die ihm diese Tage, der 9. Thermidor und was auf ihn folgte,
gaben, niemals in seinem Leben vergessen. Es lag nahe für ihn. den neuen
Machthaber, mit dem alten, dem gestürzte" abzurechnen. Daß die Herrschaft
Robespierres zuletzt für alle unerträglich war. liegt am Tage. Barras faßt
sich formell als deu auf, der dem Konvent die ihm durch die Ausschulst ge-
nvmmne Macht zurückgegeben habe, und persönlich vertritt er nach seinen Aus¬
sagen die Milde gegenüber der Grausamkeit des frühern Regiments. Er habe
gleich erklärt, das Hiurichten gehe fo nicht weiter, und nachdem die letzten
Mitverschwornen Robespierres, siebzig, am 11. Thermidor das Schafott be¬
stiegen hätten, seien auf seiue Veranlassung die Gefängnisse geöffnet und viele,
die schon dem Urteil verfallen gewesen wären, in Freiheit gesetzt worden.
Diese Wendung ist ja in der That eingetreten. Die Blutgerichte hatten mit
Robespierres Tod ein Ende. Man war aber vielfach der Meinung. daß das
auch geschehen wäre, wenn er am Leben geblieben wäre. Er Hütte bereits ein¬
gelenkt, von Milde und Änderung gesprochen, und der Kult des höchsten
Wesens anstatt dessen der Vernunft sei schon der Anfang dazu gewesen. Die
Bonapartisten, die ihn als Napoleons wahren Vorgänger ansahen, sind dieser
Ansicht, selbstverständlich auch der Herausgeber. Barras kennt die Auffassung,
lehnt sie nicht geradezu ab. hebt aber die thatsächliche Tyrannei so hervor,
daß für die Hypothese kein Raum bleibt, und das ist von seinem Standpunkt
aus konseanent. Aber ein kalter, schrecklicher Mensch bleibt doch dieser Ver¬
treter der Milde. Wir sehen das daran, wie er, der ehemalige Offizier des
Königs, einige Tage nach Robespierres Tode die unglücklichen Gefangnen im
Temple inspizirt und einen Bericht von abstoßender Sachlichkeit darüber auf¬
setzt. Der Prinz liegt in einem grauen Anzug mit bleichem, aufgedunsenen
Gesicht, sehr geschwächt durch eine seinen Organismus untergrabende Krankheit,
mit geschwollnen Knieen und Knöcheln in einem kleinen Bette, nicht viel größer
mis eine Wiege. Er erwacht aus seiner Betäubung, als Barras in das Ge¬
fängnis eintritt, und sagt: "Ich ziehe diese Wiege, in der Sie mich sehen, dem
großen Bette dort vor; im übrigen kann ich über meine Aufseher nicht klagen."
Am friert also, er liegt zusammengekauert, wie ein Vogel in der Würmern
Wiege. Indem er sprach, heißt es bei Barras, blickte er abwechselnd mich
und diese an, mich, um sich gewissermaßen unter meinen Schutz zu stellen,
diese, um zu verhüten, daß sie sich wegen etwaiger Klagen an ihm rächten,
wenn ich nicht mehr da wäre. "Ich werde laut Klage führen wegen der Un-


Die Memoiren von Paul Barras

Pietütlosigkeit man begangen hat." Wir wenden uns nun zu dem, was auf
Robespierres Hinrichtung zunächst folgte.

Barras hat die Bewegung gegen Robespierre organisirt. das ist zweifel¬
los, und er hat bei der Ausführung Kaltblütigkeit und großes militärisches
Geschick gezeigt. Er ist wirklich sür die nächsten Wochen bis zum 13. Vende-
miaire Herr der Lage und die einflußreichste Person der Republik. Er hat
die Bedeutung, die ihm diese Tage, der 9. Thermidor und was auf ihn folgte,
gaben, niemals in seinem Leben vergessen. Es lag nahe für ihn. den neuen
Machthaber, mit dem alten, dem gestürzte» abzurechnen. Daß die Herrschaft
Robespierres zuletzt für alle unerträglich war. liegt am Tage. Barras faßt
sich formell als deu auf, der dem Konvent die ihm durch die Ausschulst ge-
nvmmne Macht zurückgegeben habe, und persönlich vertritt er nach seinen Aus¬
sagen die Milde gegenüber der Grausamkeit des frühern Regiments. Er habe
gleich erklärt, das Hiurichten gehe fo nicht weiter, und nachdem die letzten
Mitverschwornen Robespierres, siebzig, am 11. Thermidor das Schafott be¬
stiegen hätten, seien auf seiue Veranlassung die Gefängnisse geöffnet und viele,
die schon dem Urteil verfallen gewesen wären, in Freiheit gesetzt worden.
Diese Wendung ist ja in der That eingetreten. Die Blutgerichte hatten mit
Robespierres Tod ein Ende. Man war aber vielfach der Meinung. daß das
auch geschehen wäre, wenn er am Leben geblieben wäre. Er Hütte bereits ein¬
gelenkt, von Milde und Änderung gesprochen, und der Kult des höchsten
Wesens anstatt dessen der Vernunft sei schon der Anfang dazu gewesen. Die
Bonapartisten, die ihn als Napoleons wahren Vorgänger ansahen, sind dieser
Ansicht, selbstverständlich auch der Herausgeber. Barras kennt die Auffassung,
lehnt sie nicht geradezu ab. hebt aber die thatsächliche Tyrannei so hervor,
daß für die Hypothese kein Raum bleibt, und das ist von seinem Standpunkt
aus konseanent. Aber ein kalter, schrecklicher Mensch bleibt doch dieser Ver¬
treter der Milde. Wir sehen das daran, wie er, der ehemalige Offizier des
Königs, einige Tage nach Robespierres Tode die unglücklichen Gefangnen im
Temple inspizirt und einen Bericht von abstoßender Sachlichkeit darüber auf¬
setzt. Der Prinz liegt in einem grauen Anzug mit bleichem, aufgedunsenen
Gesicht, sehr geschwächt durch eine seinen Organismus untergrabende Krankheit,
mit geschwollnen Knieen und Knöcheln in einem kleinen Bette, nicht viel größer
mis eine Wiege. Er erwacht aus seiner Betäubung, als Barras in das Ge¬
fängnis eintritt, und sagt: „Ich ziehe diese Wiege, in der Sie mich sehen, dem
großen Bette dort vor; im übrigen kann ich über meine Aufseher nicht klagen."
Am friert also, er liegt zusammengekauert, wie ein Vogel in der Würmern
Wiege. Indem er sprach, heißt es bei Barras, blickte er abwechselnd mich
und diese an, mich, um sich gewissermaßen unter meinen Schutz zu stellen,
diese, um zu verhüten, daß sie sich wegen etwaiger Klagen an ihm rächten,
wenn ich nicht mehr da wäre. „Ich werde laut Klage führen wegen der Un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224971"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Memoiren von Paul Barras</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_96" prev="#ID_95"> Pietütlosigkeit man begangen hat." Wir wenden uns nun zu dem, was auf<lb/>
Robespierres Hinrichtung zunächst folgte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_97" next="#ID_98"> Barras hat die Bewegung gegen Robespierre organisirt. das ist zweifel¬<lb/>
los, und er hat bei der Ausführung Kaltblütigkeit und großes militärisches<lb/>
Geschick gezeigt.  Er ist wirklich sür die nächsten Wochen bis zum 13. Vende-<lb/>
miaire Herr der Lage und die einflußreichste Person der Republik.  Er hat<lb/>
die Bedeutung, die ihm diese Tage, der 9. Thermidor und was auf ihn folgte,<lb/>
gaben, niemals in seinem Leben vergessen.  Es lag nahe für ihn. den neuen<lb/>
Machthaber, mit dem alten, dem gestürzte» abzurechnen.  Daß die Herrschaft<lb/>
Robespierres zuletzt für alle unerträglich war. liegt am Tage.  Barras faßt<lb/>
sich formell als deu auf, der dem Konvent die ihm durch die Ausschulst ge-<lb/>
nvmmne Macht zurückgegeben habe, und persönlich vertritt er nach seinen Aus¬<lb/>
sagen die Milde gegenüber der Grausamkeit des frühern Regiments. Er habe<lb/>
gleich erklärt, das Hiurichten gehe fo nicht weiter, und nachdem die letzten<lb/>
Mitverschwornen Robespierres, siebzig, am 11. Thermidor das Schafott be¬<lb/>
stiegen hätten, seien auf seiue Veranlassung die Gefängnisse geöffnet und viele,<lb/>
die schon dem Urteil verfallen gewesen wären, in Freiheit gesetzt worden.<lb/>
Diese Wendung ist ja in der That eingetreten.  Die Blutgerichte hatten mit<lb/>
Robespierres Tod ein Ende. Man war aber vielfach der Meinung. daß das<lb/>
auch geschehen wäre, wenn er am Leben geblieben wäre. Er Hütte bereits ein¬<lb/>
gelenkt, von Milde und Änderung gesprochen, und der Kult des höchsten<lb/>
Wesens anstatt dessen der Vernunft sei schon der Anfang dazu gewesen. Die<lb/>
Bonapartisten, die ihn als Napoleons wahren Vorgänger ansahen, sind dieser<lb/>
Ansicht, selbstverständlich auch der Herausgeber. Barras kennt die Auffassung,<lb/>
lehnt sie nicht geradezu ab. hebt aber die thatsächliche Tyrannei so hervor,<lb/>
daß für die Hypothese kein Raum bleibt, und das ist von seinem Standpunkt<lb/>
aus konseanent.  Aber ein kalter, schrecklicher Mensch bleibt doch dieser Ver¬<lb/>
treter der Milde.  Wir sehen das daran, wie er, der ehemalige Offizier des<lb/>
Königs, einige Tage nach Robespierres Tode die unglücklichen Gefangnen im<lb/>
Temple inspizirt und einen Bericht von abstoßender Sachlichkeit darüber auf¬<lb/>
setzt.  Der Prinz liegt in einem grauen Anzug mit bleichem, aufgedunsenen<lb/>
Gesicht, sehr geschwächt durch eine seinen Organismus untergrabende Krankheit,<lb/>
mit geschwollnen Knieen und Knöcheln in einem kleinen Bette, nicht viel größer<lb/>
mis eine Wiege.  Er erwacht aus seiner Betäubung, als Barras in das Ge¬<lb/>
fängnis eintritt, und sagt: &#x201E;Ich ziehe diese Wiege, in der Sie mich sehen, dem<lb/>
großen Bette dort vor; im übrigen kann ich über meine Aufseher nicht klagen."<lb/>
Am friert also, er liegt zusammengekauert, wie ein Vogel in der Würmern<lb/>
Wiege.  Indem er sprach, heißt es bei Barras, blickte er abwechselnd mich<lb/>
und diese an, mich, um sich gewissermaßen unter meinen Schutz zu stellen,<lb/>
diese, um zu verhüten, daß sie sich wegen etwaiger Klagen an ihm rächten,<lb/>
wenn ich nicht mehr da wäre.  &#x201E;Ich werde laut Klage führen wegen der Un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0043] Die Memoiren von Paul Barras Pietütlosigkeit man begangen hat." Wir wenden uns nun zu dem, was auf Robespierres Hinrichtung zunächst folgte. Barras hat die Bewegung gegen Robespierre organisirt. das ist zweifel¬ los, und er hat bei der Ausführung Kaltblütigkeit und großes militärisches Geschick gezeigt. Er ist wirklich sür die nächsten Wochen bis zum 13. Vende- miaire Herr der Lage und die einflußreichste Person der Republik. Er hat die Bedeutung, die ihm diese Tage, der 9. Thermidor und was auf ihn folgte, gaben, niemals in seinem Leben vergessen. Es lag nahe für ihn. den neuen Machthaber, mit dem alten, dem gestürzte» abzurechnen. Daß die Herrschaft Robespierres zuletzt für alle unerträglich war. liegt am Tage. Barras faßt sich formell als deu auf, der dem Konvent die ihm durch die Ausschulst ge- nvmmne Macht zurückgegeben habe, und persönlich vertritt er nach seinen Aus¬ sagen die Milde gegenüber der Grausamkeit des frühern Regiments. Er habe gleich erklärt, das Hiurichten gehe fo nicht weiter, und nachdem die letzten Mitverschwornen Robespierres, siebzig, am 11. Thermidor das Schafott be¬ stiegen hätten, seien auf seiue Veranlassung die Gefängnisse geöffnet und viele, die schon dem Urteil verfallen gewesen wären, in Freiheit gesetzt worden. Diese Wendung ist ja in der That eingetreten. Die Blutgerichte hatten mit Robespierres Tod ein Ende. Man war aber vielfach der Meinung. daß das auch geschehen wäre, wenn er am Leben geblieben wäre. Er Hütte bereits ein¬ gelenkt, von Milde und Änderung gesprochen, und der Kult des höchsten Wesens anstatt dessen der Vernunft sei schon der Anfang dazu gewesen. Die Bonapartisten, die ihn als Napoleons wahren Vorgänger ansahen, sind dieser Ansicht, selbstverständlich auch der Herausgeber. Barras kennt die Auffassung, lehnt sie nicht geradezu ab. hebt aber die thatsächliche Tyrannei so hervor, daß für die Hypothese kein Raum bleibt, und das ist von seinem Standpunkt aus konseanent. Aber ein kalter, schrecklicher Mensch bleibt doch dieser Ver¬ treter der Milde. Wir sehen das daran, wie er, der ehemalige Offizier des Königs, einige Tage nach Robespierres Tode die unglücklichen Gefangnen im Temple inspizirt und einen Bericht von abstoßender Sachlichkeit darüber auf¬ setzt. Der Prinz liegt in einem grauen Anzug mit bleichem, aufgedunsenen Gesicht, sehr geschwächt durch eine seinen Organismus untergrabende Krankheit, mit geschwollnen Knieen und Knöcheln in einem kleinen Bette, nicht viel größer mis eine Wiege. Er erwacht aus seiner Betäubung, als Barras in das Ge¬ fängnis eintritt, und sagt: „Ich ziehe diese Wiege, in der Sie mich sehen, dem großen Bette dort vor; im übrigen kann ich über meine Aufseher nicht klagen." Am friert also, er liegt zusammengekauert, wie ein Vogel in der Würmern Wiege. Indem er sprach, heißt es bei Barras, blickte er abwechselnd mich und diese an, mich, um sich gewissermaßen unter meinen Schutz zu stellen, diese, um zu verhüten, daß sie sich wegen etwaiger Klagen an ihm rächten, wenn ich nicht mehr da wäre. „Ich werde laut Klage führen wegen der Un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/43
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/43>, abgerufen am 23.07.2024.