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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Heimatschutz

Teile der Landschaft, Wald, Bach, Wiese, Acker, Busch und Obstbaum. Weg
und Steg mit einander eingehen.

Und auch in den Dörfern und Weilern, wie reichlich ist in manchen
badischen und schwäbischen Landstrichen noch die alte, volkstümliche Bauart
erhalten, im Vergleich wenigstens zu Nord- und Mitteldeutschland, wo leider
das Fabrikschema oder roter Backsteinkasten oder andrer großstädtischer Hä߬
lichkeiten auch in den Dörfern schon viel allgemeinen Eingang gefunden hat.
Die äußersten Grenzwarten -- im Süden die Alpen, im Norden die Heiden
und Moore -- schienen bis vor kurzem vor solcher Unbill gesichert. Aber
wie sich in dem niedersächsischen Tiefland neuerdings das mächtige, uralte,
beinahe noch Taciteische Haus nach zweitausendjähriger Bewährung und Allein¬
herrschaft die Nachbarschaft schaler moderner Eindringlinge gefallen lassen
muß, so beginnt man gar auch in den bairischen und Tiroler Bergen statt
der malerischen, lebensvollen Gebirgshciuser Villen nach städtischer Schablone
zu bauen.

Daß es in den Städten, die für jedes Neue den Ton angeben, noch
zehnmal schlimmer aussieht, versteht sich von selbst. Wohl bestehen Grad¬
unterschiede der Geschmack- und Pietütlosigkeit zwischen der einen und der
andern, aber im großen und ganzen ist die Durchsetzung mit Mietkasernen,
mit prahlerisch massiger moderner Architektur überall dieselbe; Spekulationswut,
gedankenlose Sucht nach Neuerung und leerer Eleganz räumen hier wie dort
mit dem charaktervoller Erbe der Vorzeit auf.

In Konstanz -- um ein Beispiel gerade aus dem Badischen anzuführen --
agitiren zur Zeit, wie verlautet, gewisse Kreise dafür, daß in dem prächtig
ehrwürdigen Konzilienhaus der große Saal, in dem sich Huß vor dem geist¬
lichen Gericht zu verantworten hatte, "nutzbar" gemacht werde. Diese Leute
möchten den mächtigen Raum, der zwar vor einigen Jahrzehnten in leider
nicht ganz geschmackvoller Weise renovirt wurde, immerhin aber doch in seiner
ursprünglichen Gestalt im wesentlichen bis hente erhalten worden ist, zu einer
Sängcrhalle Herrichten und mit dem Ganzen einen dementsprechend^ Umbau
vornehmen. Hoffentlich ist man an maßgebender Stelle Manns genug,
diesen und ähnlichen Gedanken, die auf die Schändung eines der bedeutendsten
Baudenkmäler Deutschlands abzielen, so abzufertigen, wie sichs gebührt.

Die Kommission zur Erforschung und zum Schutz der Denkmäler der
Provinz Sachsen erließ kürzlich einen Aufruf, dem die ernsteste Beachtung
und Beherzigung nicht nur in Konstanz, sondern allerorten zu wünschen wäre.
Darin heißt es unter anderm: "Mehr als je sind die Denkmäler der Ver¬
gangenheit unsers deutschen Volkes in der alles umgestaltenden Gegenwart
des Schutzes bedürftig. Das gesteigerte Erwerbs- und Verkehrsleben unsrer
Tage bedroht die Schöpfungen der Vorzeit wie nie zuvor und vermindert
ihren Bestand in weit höherm Maße, als es vordem Brände, Kriege oder


Heimatschutz

Teile der Landschaft, Wald, Bach, Wiese, Acker, Busch und Obstbaum. Weg
und Steg mit einander eingehen.

Und auch in den Dörfern und Weilern, wie reichlich ist in manchen
badischen und schwäbischen Landstrichen noch die alte, volkstümliche Bauart
erhalten, im Vergleich wenigstens zu Nord- und Mitteldeutschland, wo leider
das Fabrikschema oder roter Backsteinkasten oder andrer großstädtischer Hä߬
lichkeiten auch in den Dörfern schon viel allgemeinen Eingang gefunden hat.
Die äußersten Grenzwarten — im Süden die Alpen, im Norden die Heiden
und Moore — schienen bis vor kurzem vor solcher Unbill gesichert. Aber
wie sich in dem niedersächsischen Tiefland neuerdings das mächtige, uralte,
beinahe noch Taciteische Haus nach zweitausendjähriger Bewährung und Allein¬
herrschaft die Nachbarschaft schaler moderner Eindringlinge gefallen lassen
muß, so beginnt man gar auch in den bairischen und Tiroler Bergen statt
der malerischen, lebensvollen Gebirgshciuser Villen nach städtischer Schablone
zu bauen.

Daß es in den Städten, die für jedes Neue den Ton angeben, noch
zehnmal schlimmer aussieht, versteht sich von selbst. Wohl bestehen Grad¬
unterschiede der Geschmack- und Pietütlosigkeit zwischen der einen und der
andern, aber im großen und ganzen ist die Durchsetzung mit Mietkasernen,
mit prahlerisch massiger moderner Architektur überall dieselbe; Spekulationswut,
gedankenlose Sucht nach Neuerung und leerer Eleganz räumen hier wie dort
mit dem charaktervoller Erbe der Vorzeit auf.

In Konstanz — um ein Beispiel gerade aus dem Badischen anzuführen —
agitiren zur Zeit, wie verlautet, gewisse Kreise dafür, daß in dem prächtig
ehrwürdigen Konzilienhaus der große Saal, in dem sich Huß vor dem geist¬
lichen Gericht zu verantworten hatte, „nutzbar" gemacht werde. Diese Leute
möchten den mächtigen Raum, der zwar vor einigen Jahrzehnten in leider
nicht ganz geschmackvoller Weise renovirt wurde, immerhin aber doch in seiner
ursprünglichen Gestalt im wesentlichen bis hente erhalten worden ist, zu einer
Sängcrhalle Herrichten und mit dem Ganzen einen dementsprechend^ Umbau
vornehmen. Hoffentlich ist man an maßgebender Stelle Manns genug,
diesen und ähnlichen Gedanken, die auf die Schändung eines der bedeutendsten
Baudenkmäler Deutschlands abzielen, so abzufertigen, wie sichs gebührt.

Die Kommission zur Erforschung und zum Schutz der Denkmäler der
Provinz Sachsen erließ kürzlich einen Aufruf, dem die ernsteste Beachtung
und Beherzigung nicht nur in Konstanz, sondern allerorten zu wünschen wäre.
Darin heißt es unter anderm: „Mehr als je sind die Denkmäler der Ver¬
gangenheit unsers deutschen Volkes in der alles umgestaltenden Gegenwart
des Schutzes bedürftig. Das gesteigerte Erwerbs- und Verkehrsleben unsrer
Tage bedroht die Schöpfungen der Vorzeit wie nie zuvor und vermindert
ihren Bestand in weit höherm Maße, als es vordem Brände, Kriege oder


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[0411] Heimatschutz Teile der Landschaft, Wald, Bach, Wiese, Acker, Busch und Obstbaum. Weg und Steg mit einander eingehen. Und auch in den Dörfern und Weilern, wie reichlich ist in manchen badischen und schwäbischen Landstrichen noch die alte, volkstümliche Bauart erhalten, im Vergleich wenigstens zu Nord- und Mitteldeutschland, wo leider das Fabrikschema oder roter Backsteinkasten oder andrer großstädtischer Hä߬ lichkeiten auch in den Dörfern schon viel allgemeinen Eingang gefunden hat. Die äußersten Grenzwarten — im Süden die Alpen, im Norden die Heiden und Moore — schienen bis vor kurzem vor solcher Unbill gesichert. Aber wie sich in dem niedersächsischen Tiefland neuerdings das mächtige, uralte, beinahe noch Taciteische Haus nach zweitausendjähriger Bewährung und Allein¬ herrschaft die Nachbarschaft schaler moderner Eindringlinge gefallen lassen muß, so beginnt man gar auch in den bairischen und Tiroler Bergen statt der malerischen, lebensvollen Gebirgshciuser Villen nach städtischer Schablone zu bauen. Daß es in den Städten, die für jedes Neue den Ton angeben, noch zehnmal schlimmer aussieht, versteht sich von selbst. Wohl bestehen Grad¬ unterschiede der Geschmack- und Pietütlosigkeit zwischen der einen und der andern, aber im großen und ganzen ist die Durchsetzung mit Mietkasernen, mit prahlerisch massiger moderner Architektur überall dieselbe; Spekulationswut, gedankenlose Sucht nach Neuerung und leerer Eleganz räumen hier wie dort mit dem charaktervoller Erbe der Vorzeit auf. In Konstanz — um ein Beispiel gerade aus dem Badischen anzuführen — agitiren zur Zeit, wie verlautet, gewisse Kreise dafür, daß in dem prächtig ehrwürdigen Konzilienhaus der große Saal, in dem sich Huß vor dem geist¬ lichen Gericht zu verantworten hatte, „nutzbar" gemacht werde. Diese Leute möchten den mächtigen Raum, der zwar vor einigen Jahrzehnten in leider nicht ganz geschmackvoller Weise renovirt wurde, immerhin aber doch in seiner ursprünglichen Gestalt im wesentlichen bis hente erhalten worden ist, zu einer Sängcrhalle Herrichten und mit dem Ganzen einen dementsprechend^ Umbau vornehmen. Hoffentlich ist man an maßgebender Stelle Manns genug, diesen und ähnlichen Gedanken, die auf die Schändung eines der bedeutendsten Baudenkmäler Deutschlands abzielen, so abzufertigen, wie sichs gebührt. Die Kommission zur Erforschung und zum Schutz der Denkmäler der Provinz Sachsen erließ kürzlich einen Aufruf, dem die ernsteste Beachtung und Beherzigung nicht nur in Konstanz, sondern allerorten zu wünschen wäre. Darin heißt es unter anderm: „Mehr als je sind die Denkmäler der Ver¬ gangenheit unsers deutschen Volkes in der alles umgestaltenden Gegenwart des Schutzes bedürftig. Das gesteigerte Erwerbs- und Verkehrsleben unsrer Tage bedroht die Schöpfungen der Vorzeit wie nie zuvor und vermindert ihren Bestand in weit höherm Maße, als es vordem Brände, Kriege oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/411>, abgerufen am 23.07.2024.