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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Memoiren von Paul Barras

ausgebrochen, erst auf dem Stadthause auss neue besiegt werden mußte, noch
auf dem Wege zum Richtplatze befreien! Barras schildert die Verlegenheit des
Generalanklägers Fouquier-Tinville. als er über die Gefangnen d.e .Identität
auszusprechen hat (denn mehr bedurfte es nicht bei den außerhalb des Gesetzes
erklärten), er stammelt einige Redensarten. Man sieht nicht, worauf das hinaus¬
will. Barras herrscht ihn an. der andre thut seine Schuldigkeit gegen Rolies-
Pierre. wie bisher in dessen Namen, und sagt dann nur noch: ..^oben soll
man sie bringen?" denn seit acht Tagen nimmt man einen andern ^latz. als
den Revolutionsplatz. wo bisher die Guillotine stand. ..So kehren wir wieder
dahin zurück." entscheidet Barras, und der Zug geht ab. ..Nachdem ich die
Hinrichtung gesichert wußte, stieg ich zu Pferde." bemerkt Barras selbstgefällig.
Er geht in den Wohlfahrtsausschuß, und nach zwei Stunden kommt Fouamer
mit seinen Leuten, und einer den andern unterbrechend, berichten sie über vie
Hinrichtung wie über einen Triumph. Ans der Straße ist die Stimmung freudig
erregt, aber man wagt nicht, nach dein langen Druck seine Gefühle laut werden
zu lassen, ehe man bestimmt weiß, daß Robespierres Kopf gefallen ist. ..^.es
habe wiederholt charakteristische Episoden aus der Schreckenszeit erzählt, aber
keine Erzählung vermag ein Bild davon zu geben. Wer diese Zeit nicht erlebt
hat. kann sich keine Vorstellung davon machen. Selbst nach der Hinrichtung
schien man sich noch unsicher zu fühlen, als fürchtete man. der Unversöhnliche
könne wieder auferstehen. Die Zeitungen wußten nicht, ob sie berichten sollten.
Selbst der Moniteur, der immer ans der Seite der Sieger stand, brachte erst
nach sechsundzwanzig Tagen die Liste der Hingerichteten. Nun endlich hatte
die Guillotine Ruhe."

Als Robespierre zum zweitenmale. aus dem Stadthause, in Hast genommen
wurde, sand man ihn mit einer zerschmetterten Kinnlade, und eine Pistole lag
neben ihm. Man meint gewöhnlich, er habe sich das Leben nehmen wollen,
als er sah, daß alles verloren war, und auch Barras ist dieser Ansicht.
Andre aber sagten, er wäre meuchlings von einem Anhänger seiner Gegner
getroffen worden, und der Herausgeber hat sich das auf eine eigentümliche Art
eingeredet. Die Thermidoristen. meint er, hatten ein Interesse daran, das
Andenken ihres Feindes zu verunglimpfen, und ein Selbstmörder ist nie eine
sympathische Figur. Gut. Aber nun legt er den Aufruf vor, den Robespierre
vom Stadthause aus an das Volk erließ (ein Faksimile ist beigegeben).
Darunter stehen vier, wie der Herausgeber meint. in äußerster Aufregung ge¬
schriebn Unterschriften und als fünfte ein Ko. Und nun. meint er, beweise
diese verstümmelte Unterschrift das plötzliche, unvermutete Attentat, und es
gäbe auf der ganzen Welt kein Aktenstück, das einen tragischern Eindrnck mache,
als dieses mit dem Stempel der Pariser Kommune versehene Blatt Papier.
Wir geben das wieder, aber nicht als Beweis gegen den Selbstmord, sondern
sür die temperamentvolle Auffassung Duruys, die, indem sie Barras kalte Mit-


Grenzboten II 1897 5
Die Memoiren von Paul Barras

ausgebrochen, erst auf dem Stadthause auss neue besiegt werden mußte, noch
auf dem Wege zum Richtplatze befreien! Barras schildert die Verlegenheit des
Generalanklägers Fouquier-Tinville. als er über die Gefangnen d.e .Identität
auszusprechen hat (denn mehr bedurfte es nicht bei den außerhalb des Gesetzes
erklärten), er stammelt einige Redensarten. Man sieht nicht, worauf das hinaus¬
will. Barras herrscht ihn an. der andre thut seine Schuldigkeit gegen Rolies-
Pierre. wie bisher in dessen Namen, und sagt dann nur noch: ..^oben soll
man sie bringen?» denn seit acht Tagen nimmt man einen andern ^latz. als
den Revolutionsplatz. wo bisher die Guillotine stand. ..So kehren wir wieder
dahin zurück." entscheidet Barras, und der Zug geht ab. ..Nachdem ich die
Hinrichtung gesichert wußte, stieg ich zu Pferde." bemerkt Barras selbstgefällig.
Er geht in den Wohlfahrtsausschuß, und nach zwei Stunden kommt Fouamer
mit seinen Leuten, und einer den andern unterbrechend, berichten sie über vie
Hinrichtung wie über einen Triumph. Ans der Straße ist die Stimmung freudig
erregt, aber man wagt nicht, nach dein langen Druck seine Gefühle laut werden
zu lassen, ehe man bestimmt weiß, daß Robespierres Kopf gefallen ist. ..^.es
habe wiederholt charakteristische Episoden aus der Schreckenszeit erzählt, aber
keine Erzählung vermag ein Bild davon zu geben. Wer diese Zeit nicht erlebt
hat. kann sich keine Vorstellung davon machen. Selbst nach der Hinrichtung
schien man sich noch unsicher zu fühlen, als fürchtete man. der Unversöhnliche
könne wieder auferstehen. Die Zeitungen wußten nicht, ob sie berichten sollten.
Selbst der Moniteur, der immer ans der Seite der Sieger stand, brachte erst
nach sechsundzwanzig Tagen die Liste der Hingerichteten. Nun endlich hatte
die Guillotine Ruhe."

Als Robespierre zum zweitenmale. aus dem Stadthause, in Hast genommen
wurde, sand man ihn mit einer zerschmetterten Kinnlade, und eine Pistole lag
neben ihm. Man meint gewöhnlich, er habe sich das Leben nehmen wollen,
als er sah, daß alles verloren war, und auch Barras ist dieser Ansicht.
Andre aber sagten, er wäre meuchlings von einem Anhänger seiner Gegner
getroffen worden, und der Herausgeber hat sich das auf eine eigentümliche Art
eingeredet. Die Thermidoristen. meint er, hatten ein Interesse daran, das
Andenken ihres Feindes zu verunglimpfen, und ein Selbstmörder ist nie eine
sympathische Figur. Gut. Aber nun legt er den Aufruf vor, den Robespierre
vom Stadthause aus an das Volk erließ (ein Faksimile ist beigegeben).
Darunter stehen vier, wie der Herausgeber meint. in äußerster Aufregung ge¬
schriebn Unterschriften und als fünfte ein Ko. Und nun. meint er, beweise
diese verstümmelte Unterschrift das plötzliche, unvermutete Attentat, und es
gäbe auf der ganzen Welt kein Aktenstück, das einen tragischern Eindrnck mache,
als dieses mit dem Stempel der Pariser Kommune versehene Blatt Papier.
Wir geben das wieder, aber nicht als Beweis gegen den Selbstmord, sondern
sür die temperamentvolle Auffassung Duruys, die, indem sie Barras kalte Mit-


Grenzboten II 1897 5
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[0041] Die Memoiren von Paul Barras ausgebrochen, erst auf dem Stadthause auss neue besiegt werden mußte, noch auf dem Wege zum Richtplatze befreien! Barras schildert die Verlegenheit des Generalanklägers Fouquier-Tinville. als er über die Gefangnen d.e .Identität auszusprechen hat (denn mehr bedurfte es nicht bei den außerhalb des Gesetzes erklärten), er stammelt einige Redensarten. Man sieht nicht, worauf das hinaus¬ will. Barras herrscht ihn an. der andre thut seine Schuldigkeit gegen Rolies- Pierre. wie bisher in dessen Namen, und sagt dann nur noch: ..^oben soll man sie bringen?» denn seit acht Tagen nimmt man einen andern ^latz. als den Revolutionsplatz. wo bisher die Guillotine stand. ..So kehren wir wieder dahin zurück." entscheidet Barras, und der Zug geht ab. ..Nachdem ich die Hinrichtung gesichert wußte, stieg ich zu Pferde." bemerkt Barras selbstgefällig. Er geht in den Wohlfahrtsausschuß, und nach zwei Stunden kommt Fouamer mit seinen Leuten, und einer den andern unterbrechend, berichten sie über vie Hinrichtung wie über einen Triumph. Ans der Straße ist die Stimmung freudig erregt, aber man wagt nicht, nach dein langen Druck seine Gefühle laut werden zu lassen, ehe man bestimmt weiß, daß Robespierres Kopf gefallen ist. ..^.es habe wiederholt charakteristische Episoden aus der Schreckenszeit erzählt, aber keine Erzählung vermag ein Bild davon zu geben. Wer diese Zeit nicht erlebt hat. kann sich keine Vorstellung davon machen. Selbst nach der Hinrichtung schien man sich noch unsicher zu fühlen, als fürchtete man. der Unversöhnliche könne wieder auferstehen. Die Zeitungen wußten nicht, ob sie berichten sollten. Selbst der Moniteur, der immer ans der Seite der Sieger stand, brachte erst nach sechsundzwanzig Tagen die Liste der Hingerichteten. Nun endlich hatte die Guillotine Ruhe." Als Robespierre zum zweitenmale. aus dem Stadthause, in Hast genommen wurde, sand man ihn mit einer zerschmetterten Kinnlade, und eine Pistole lag neben ihm. Man meint gewöhnlich, er habe sich das Leben nehmen wollen, als er sah, daß alles verloren war, und auch Barras ist dieser Ansicht. Andre aber sagten, er wäre meuchlings von einem Anhänger seiner Gegner getroffen worden, und der Herausgeber hat sich das auf eine eigentümliche Art eingeredet. Die Thermidoristen. meint er, hatten ein Interesse daran, das Andenken ihres Feindes zu verunglimpfen, und ein Selbstmörder ist nie eine sympathische Figur. Gut. Aber nun legt er den Aufruf vor, den Robespierre vom Stadthause aus an das Volk erließ (ein Faksimile ist beigegeben). Darunter stehen vier, wie der Herausgeber meint. in äußerster Aufregung ge¬ schriebn Unterschriften und als fünfte ein Ko. Und nun. meint er, beweise diese verstümmelte Unterschrift das plötzliche, unvermutete Attentat, und es gäbe auf der ganzen Welt kein Aktenstück, das einen tragischern Eindrnck mache, als dieses mit dem Stempel der Pariser Kommune versehene Blatt Papier. Wir geben das wieder, aber nicht als Beweis gegen den Selbstmord, sondern sür die temperamentvolle Auffassung Duruys, die, indem sie Barras kalte Mit- Grenzboten II 1897 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/41>, abgerufen am 23.07.2024.