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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die ostdeutsche Landwirtschaft

Mittel -- und das Geld gehört auch dazu -- entstanden ist, so kann er ohne
Zweifel auch in gleicher Weise geändert werden, wenn unter veränderten Ver¬
hältnissen seine Nachteile die Vorteile der wenigen Besitzenden bedeutend über¬
wiegen. Eine sachliche Prüfung in dieser Beziehung läßt sich nur ermöglichen,
wenn man sich von dem parteiischen Standpunkt der Interessenten fern hält
und alle Schlagworte wie Staatssozialismus, Liebesgabe usw. vermeidet.


2. Das Rittergut in neuerer Zeit

Um die Mitte unsers Jahrhunderts war das Rittergut der Vertreter des
technisch vollendetsten landwirtschaftlichen Betriebs. Die Bräche war von
33 Prozent der alten Dreifelderwirtschaft auf 7 Prozent zurückgegangen. Die
Haupterzeugnisse waren Getreide, Wolle und Vieh; in Getreide und Wolle
war das Rittergut der Hauptproduzent des Weltmarkts, die Getreideproduktion
war seit dem Anfange des Jahrhunderts um 50 Prozent gestiegen. Dem ent¬
sprachen steigende Preise der Erzeugnisse und des Bodens. Der Hauptab¬
nehmer der ostdeutschen Landwirtschaft war das ausschließlich gewerbtreibende
England; ihre glänzendste Zeit kam mit der Abschaffung der englischen Korn¬
zölle. Aber daß diese Landwirtschaft eines fremden Industrielandes als Ab¬
nehmer bedürfte, darin lag auch ihre Schwäche. Die Verkehrsmittel hoben
sich riesig, mit dieser Hebung ging das Sinken besonders der Schiffsfrachten
Hand in Hand. Die Folgen davon waren unermeßlich. Nun richteten die
überseeischen Lander ihre Produktion auf die Ausfuhr ein. Dadurch wurde
in Ostdeutschland zunächst die Wollproduktion unrentabel, später gingen die
fremden Märkte, besonders der englische, auch für den Getreidehandel an die
überseeische Einfuhr verloren. Der Rittergutsbesitzer, bis dahin ein begeisterter
Freihändler, fing an, über die Vorteile des Schutzzolles nachzudenken und
kam bald zu der Losung: Schutz für die nationale Arbeit!

Noch um die Mitte des Jahrhunderts bildete das Rittergut eine Pro¬
duktivgenossenschaft mit monarchischer Spitze. Die Arbeit wurde meist durch
dauernd mit dem Gute verbundne verheiratete Jnstlcute besorgt. Der Jnstmcmn
war mit seiner Familie an der Arbeit des Gutes beteiligt und auf die Er¬
zeugnisse des Gutes angewiesen. Der Geldlohn war sehr gering, er glich
einem Taschengelde; dagegen hatte der Jnstmcmn außer der Wohnung ein
Stück Feld vom Gutsherrn, meist mit Kartoffeln bestellt, eine Kuh. Flachs
und vom Getreide einen Bruchteil des Drusches. Dus Dreschen war die
Hauptarbeit im Winter. Diese Getreideeinnahme war so groß, daß sie nicht
nur die Familie reichlich ernährte, sondern auch noch den Verkauf eines Über¬
schusses erlaubte. Viele Erzeugnisse des Guts wurden von den Gutsangehörigen
unmittelbar verbraucht, denn der Verkehr war noch wenig entwickelt. Dem
Arbeiter war wie dem Gutsherrn an hohen Getreidepreisen gelegen.

Nun kam die neue Zeit. Die guten Marktpreise veranlaßten viele Bürger-


Die ostdeutsche Landwirtschaft

Mittel — und das Geld gehört auch dazu — entstanden ist, so kann er ohne
Zweifel auch in gleicher Weise geändert werden, wenn unter veränderten Ver¬
hältnissen seine Nachteile die Vorteile der wenigen Besitzenden bedeutend über¬
wiegen. Eine sachliche Prüfung in dieser Beziehung läßt sich nur ermöglichen,
wenn man sich von dem parteiischen Standpunkt der Interessenten fern hält
und alle Schlagworte wie Staatssozialismus, Liebesgabe usw. vermeidet.


2. Das Rittergut in neuerer Zeit

Um die Mitte unsers Jahrhunderts war das Rittergut der Vertreter des
technisch vollendetsten landwirtschaftlichen Betriebs. Die Bräche war von
33 Prozent der alten Dreifelderwirtschaft auf 7 Prozent zurückgegangen. Die
Haupterzeugnisse waren Getreide, Wolle und Vieh; in Getreide und Wolle
war das Rittergut der Hauptproduzent des Weltmarkts, die Getreideproduktion
war seit dem Anfange des Jahrhunderts um 50 Prozent gestiegen. Dem ent¬
sprachen steigende Preise der Erzeugnisse und des Bodens. Der Hauptab¬
nehmer der ostdeutschen Landwirtschaft war das ausschließlich gewerbtreibende
England; ihre glänzendste Zeit kam mit der Abschaffung der englischen Korn¬
zölle. Aber daß diese Landwirtschaft eines fremden Industrielandes als Ab¬
nehmer bedürfte, darin lag auch ihre Schwäche. Die Verkehrsmittel hoben
sich riesig, mit dieser Hebung ging das Sinken besonders der Schiffsfrachten
Hand in Hand. Die Folgen davon waren unermeßlich. Nun richteten die
überseeischen Lander ihre Produktion auf die Ausfuhr ein. Dadurch wurde
in Ostdeutschland zunächst die Wollproduktion unrentabel, später gingen die
fremden Märkte, besonders der englische, auch für den Getreidehandel an die
überseeische Einfuhr verloren. Der Rittergutsbesitzer, bis dahin ein begeisterter
Freihändler, fing an, über die Vorteile des Schutzzolles nachzudenken und
kam bald zu der Losung: Schutz für die nationale Arbeit!

Noch um die Mitte des Jahrhunderts bildete das Rittergut eine Pro¬
duktivgenossenschaft mit monarchischer Spitze. Die Arbeit wurde meist durch
dauernd mit dem Gute verbundne verheiratete Jnstlcute besorgt. Der Jnstmcmn
war mit seiner Familie an der Arbeit des Gutes beteiligt und auf die Er¬
zeugnisse des Gutes angewiesen. Der Geldlohn war sehr gering, er glich
einem Taschengelde; dagegen hatte der Jnstmcmn außer der Wohnung ein
Stück Feld vom Gutsherrn, meist mit Kartoffeln bestellt, eine Kuh. Flachs
und vom Getreide einen Bruchteil des Drusches. Dus Dreschen war die
Hauptarbeit im Winter. Diese Getreideeinnahme war so groß, daß sie nicht
nur die Familie reichlich ernährte, sondern auch noch den Verkauf eines Über¬
schusses erlaubte. Viele Erzeugnisse des Guts wurden von den Gutsangehörigen
unmittelbar verbraucht, denn der Verkehr war noch wenig entwickelt. Dem
Arbeiter war wie dem Gutsherrn an hohen Getreidepreisen gelegen.

Nun kam die neue Zeit. Die guten Marktpreise veranlaßten viele Bürger-


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[0367] Die ostdeutsche Landwirtschaft Mittel — und das Geld gehört auch dazu — entstanden ist, so kann er ohne Zweifel auch in gleicher Weise geändert werden, wenn unter veränderten Ver¬ hältnissen seine Nachteile die Vorteile der wenigen Besitzenden bedeutend über¬ wiegen. Eine sachliche Prüfung in dieser Beziehung läßt sich nur ermöglichen, wenn man sich von dem parteiischen Standpunkt der Interessenten fern hält und alle Schlagworte wie Staatssozialismus, Liebesgabe usw. vermeidet. 2. Das Rittergut in neuerer Zeit Um die Mitte unsers Jahrhunderts war das Rittergut der Vertreter des technisch vollendetsten landwirtschaftlichen Betriebs. Die Bräche war von 33 Prozent der alten Dreifelderwirtschaft auf 7 Prozent zurückgegangen. Die Haupterzeugnisse waren Getreide, Wolle und Vieh; in Getreide und Wolle war das Rittergut der Hauptproduzent des Weltmarkts, die Getreideproduktion war seit dem Anfange des Jahrhunderts um 50 Prozent gestiegen. Dem ent¬ sprachen steigende Preise der Erzeugnisse und des Bodens. Der Hauptab¬ nehmer der ostdeutschen Landwirtschaft war das ausschließlich gewerbtreibende England; ihre glänzendste Zeit kam mit der Abschaffung der englischen Korn¬ zölle. Aber daß diese Landwirtschaft eines fremden Industrielandes als Ab¬ nehmer bedürfte, darin lag auch ihre Schwäche. Die Verkehrsmittel hoben sich riesig, mit dieser Hebung ging das Sinken besonders der Schiffsfrachten Hand in Hand. Die Folgen davon waren unermeßlich. Nun richteten die überseeischen Lander ihre Produktion auf die Ausfuhr ein. Dadurch wurde in Ostdeutschland zunächst die Wollproduktion unrentabel, später gingen die fremden Märkte, besonders der englische, auch für den Getreidehandel an die überseeische Einfuhr verloren. Der Rittergutsbesitzer, bis dahin ein begeisterter Freihändler, fing an, über die Vorteile des Schutzzolles nachzudenken und kam bald zu der Losung: Schutz für die nationale Arbeit! Noch um die Mitte des Jahrhunderts bildete das Rittergut eine Pro¬ duktivgenossenschaft mit monarchischer Spitze. Die Arbeit wurde meist durch dauernd mit dem Gute verbundne verheiratete Jnstlcute besorgt. Der Jnstmcmn war mit seiner Familie an der Arbeit des Gutes beteiligt und auf die Er¬ zeugnisse des Gutes angewiesen. Der Geldlohn war sehr gering, er glich einem Taschengelde; dagegen hatte der Jnstmcmn außer der Wohnung ein Stück Feld vom Gutsherrn, meist mit Kartoffeln bestellt, eine Kuh. Flachs und vom Getreide einen Bruchteil des Drusches. Dus Dreschen war die Hauptarbeit im Winter. Diese Getreideeinnahme war so groß, daß sie nicht nur die Familie reichlich ernährte, sondern auch noch den Verkauf eines Über¬ schusses erlaubte. Viele Erzeugnisse des Guts wurden von den Gutsangehörigen unmittelbar verbraucht, denn der Verkehr war noch wenig entwickelt. Dem Arbeiter war wie dem Gutsherrn an hohen Getreidepreisen gelegen. Nun kam die neue Zeit. Die guten Marktpreise veranlaßten viele Bürger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/367>, abgerufen am 23.07.2024.