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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher

konsul war, einigemal? auf der Straße habe gehen sehen, eine große, hagere,
echt englische Gestalt mit einem schmalen, geistigen Gesicht, durchdringenden
Augen und einem langen, ins rötliche spielenden Bart. Ich sah ihm wohl
bewundernd nach, weil ich seine Werke über die flandrischen und italienischen
Maler kannte, ich wußte auch, daß er Kunsthistoriker nur "im Nebenamte"
war, hatte aber keine Vorstellung davon, wie viel er in seinem Hauptamte be¬
deutete, und daß das, was ich allein an ihm kannte, für ihn nur die Neben¬
beschäftigung einer mühsam erkämpften Muße gewesen war. Sonst Hütte ich
gewiß den Versuch gemacht, diesen unglaublich willenskräftigen und vielseitig
begabten Mann kennen zu lernen. Bei dem ungemein reichen Inhalt seines
Buches, worin er an das Wunderbare streifende Erlebnisse und Thaten schlicht,
wie ein Annalist, als etwas selbstverständliches berichtet, muß sich der Leser
gegenwärtig halten, daß sich das alles auf einen Mann bezieht, der da, wo
seine Darstellung endet, erst fünfunddreißig Jahre alt war.

Er stammte aus einem adlichen, für englischen Zuschnitt keineswegs be¬
mittelten Hause und verbrachte seine erste Jugend in Paris, wo sein Vater
als angesehener Berichterstatter für englische Zeitungen thätig war. Ohne
einen andern Unterricht, als den ihm sein Vater selbst erteilte oder durch
Privatlehrer geben ließ, ohne jemals eine höhere Bildungsanstalt zu besuchen,
mußte er seit seinem vierzehnten Jahre als Stenograph und dann als Zeitungs¬
berichterstatter in London sich seinen Unterhalt verdienen und ganz aus eigner
Kraft unter Schwierigkeiten, die oft unüberwindlich schienen, seinen Lebensweg
sich selbst machen. Durch die planvolle, harte und fast rücksichtslose Erziehung
eines energischen Vaters, dem das Leben selbst nichts erspart hatte, war er
körperlich zu allem geschickt und sehr früh selbständig geworden, ein echt eng¬
lischer Knabe, dem die Welt offen stand, der sie sich aber selbst erobern mußte.
Dieser Lebenslauf an und für sich, in seiner ganz abnormen Pädagogik, scheint
mir unter dem vielen merkwürdigen seines Buches das allermerkwürdigste zu
sein. Er hatte Talent zum Zeichnen und hatte zugleich mit seinem Bruder,
der Maler wurde, in einem Pariser Atelier gearbeitet. Er hatte großes Interesse
für die Malerei der vergangnen Zeit, und von der unsichern Laufbahn eines
Zeitungsschreibers aus, die ihn zunächst ernähren mußte, strebte er viele Jahre
lang, eine feste Stellung an einem Museum zu erreichen, aber vergeblich: alle
Bemühungen schlugen fehl. Dann versuchte er eine Anstellung im politischen
Dienst eines Ministeriums oder im Auswärtigen Amt zu bekommen. Auch da
stellten sich ihm alle erdenklichen Hindernisse entgegen, bis er endlich 1860 in
den ersehnten Hafen als Konsul in Leipzig einlaufen konnte. Davor liegt nun
der ganze Inhalt dieser Memoiren.

Aus einem bloßen Journalisten wurde also ohne den Bildungsgang in
einer regelmäßigen Laufbahn ein bedeutender und zuletzt einflußreicher Diplomat.
So etwas, denkt man wohl, ist nur in England möglich, wo der Mann mit


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher

konsul war, einigemal? auf der Straße habe gehen sehen, eine große, hagere,
echt englische Gestalt mit einem schmalen, geistigen Gesicht, durchdringenden
Augen und einem langen, ins rötliche spielenden Bart. Ich sah ihm wohl
bewundernd nach, weil ich seine Werke über die flandrischen und italienischen
Maler kannte, ich wußte auch, daß er Kunsthistoriker nur „im Nebenamte"
war, hatte aber keine Vorstellung davon, wie viel er in seinem Hauptamte be¬
deutete, und daß das, was ich allein an ihm kannte, für ihn nur die Neben¬
beschäftigung einer mühsam erkämpften Muße gewesen war. Sonst Hütte ich
gewiß den Versuch gemacht, diesen unglaublich willenskräftigen und vielseitig
begabten Mann kennen zu lernen. Bei dem ungemein reichen Inhalt seines
Buches, worin er an das Wunderbare streifende Erlebnisse und Thaten schlicht,
wie ein Annalist, als etwas selbstverständliches berichtet, muß sich der Leser
gegenwärtig halten, daß sich das alles auf einen Mann bezieht, der da, wo
seine Darstellung endet, erst fünfunddreißig Jahre alt war.

Er stammte aus einem adlichen, für englischen Zuschnitt keineswegs be¬
mittelten Hause und verbrachte seine erste Jugend in Paris, wo sein Vater
als angesehener Berichterstatter für englische Zeitungen thätig war. Ohne
einen andern Unterricht, als den ihm sein Vater selbst erteilte oder durch
Privatlehrer geben ließ, ohne jemals eine höhere Bildungsanstalt zu besuchen,
mußte er seit seinem vierzehnten Jahre als Stenograph und dann als Zeitungs¬
berichterstatter in London sich seinen Unterhalt verdienen und ganz aus eigner
Kraft unter Schwierigkeiten, die oft unüberwindlich schienen, seinen Lebensweg
sich selbst machen. Durch die planvolle, harte und fast rücksichtslose Erziehung
eines energischen Vaters, dem das Leben selbst nichts erspart hatte, war er
körperlich zu allem geschickt und sehr früh selbständig geworden, ein echt eng¬
lischer Knabe, dem die Welt offen stand, der sie sich aber selbst erobern mußte.
Dieser Lebenslauf an und für sich, in seiner ganz abnormen Pädagogik, scheint
mir unter dem vielen merkwürdigen seines Buches das allermerkwürdigste zu
sein. Er hatte Talent zum Zeichnen und hatte zugleich mit seinem Bruder,
der Maler wurde, in einem Pariser Atelier gearbeitet. Er hatte großes Interesse
für die Malerei der vergangnen Zeit, und von der unsichern Laufbahn eines
Zeitungsschreibers aus, die ihn zunächst ernähren mußte, strebte er viele Jahre
lang, eine feste Stellung an einem Museum zu erreichen, aber vergeblich: alle
Bemühungen schlugen fehl. Dann versuchte er eine Anstellung im politischen
Dienst eines Ministeriums oder im Auswärtigen Amt zu bekommen. Auch da
stellten sich ihm alle erdenklichen Hindernisse entgegen, bis er endlich 1860 in
den ersehnten Hafen als Konsul in Leipzig einlaufen konnte. Davor liegt nun
der ganze Inhalt dieser Memoiren.

Aus einem bloßen Journalisten wurde also ohne den Bildungsgang in
einer regelmäßigen Laufbahn ein bedeutender und zuletzt einflußreicher Diplomat.
So etwas, denkt man wohl, ist nur in England möglich, wo der Mann mit


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[0333] Aus den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher konsul war, einigemal? auf der Straße habe gehen sehen, eine große, hagere, echt englische Gestalt mit einem schmalen, geistigen Gesicht, durchdringenden Augen und einem langen, ins rötliche spielenden Bart. Ich sah ihm wohl bewundernd nach, weil ich seine Werke über die flandrischen und italienischen Maler kannte, ich wußte auch, daß er Kunsthistoriker nur „im Nebenamte" war, hatte aber keine Vorstellung davon, wie viel er in seinem Hauptamte be¬ deutete, und daß das, was ich allein an ihm kannte, für ihn nur die Neben¬ beschäftigung einer mühsam erkämpften Muße gewesen war. Sonst Hütte ich gewiß den Versuch gemacht, diesen unglaublich willenskräftigen und vielseitig begabten Mann kennen zu lernen. Bei dem ungemein reichen Inhalt seines Buches, worin er an das Wunderbare streifende Erlebnisse und Thaten schlicht, wie ein Annalist, als etwas selbstverständliches berichtet, muß sich der Leser gegenwärtig halten, daß sich das alles auf einen Mann bezieht, der da, wo seine Darstellung endet, erst fünfunddreißig Jahre alt war. Er stammte aus einem adlichen, für englischen Zuschnitt keineswegs be¬ mittelten Hause und verbrachte seine erste Jugend in Paris, wo sein Vater als angesehener Berichterstatter für englische Zeitungen thätig war. Ohne einen andern Unterricht, als den ihm sein Vater selbst erteilte oder durch Privatlehrer geben ließ, ohne jemals eine höhere Bildungsanstalt zu besuchen, mußte er seit seinem vierzehnten Jahre als Stenograph und dann als Zeitungs¬ berichterstatter in London sich seinen Unterhalt verdienen und ganz aus eigner Kraft unter Schwierigkeiten, die oft unüberwindlich schienen, seinen Lebensweg sich selbst machen. Durch die planvolle, harte und fast rücksichtslose Erziehung eines energischen Vaters, dem das Leben selbst nichts erspart hatte, war er körperlich zu allem geschickt und sehr früh selbständig geworden, ein echt eng¬ lischer Knabe, dem die Welt offen stand, der sie sich aber selbst erobern mußte. Dieser Lebenslauf an und für sich, in seiner ganz abnormen Pädagogik, scheint mir unter dem vielen merkwürdigen seines Buches das allermerkwürdigste zu sein. Er hatte Talent zum Zeichnen und hatte zugleich mit seinem Bruder, der Maler wurde, in einem Pariser Atelier gearbeitet. Er hatte großes Interesse für die Malerei der vergangnen Zeit, und von der unsichern Laufbahn eines Zeitungsschreibers aus, die ihn zunächst ernähren mußte, strebte er viele Jahre lang, eine feste Stellung an einem Museum zu erreichen, aber vergeblich: alle Bemühungen schlugen fehl. Dann versuchte er eine Anstellung im politischen Dienst eines Ministeriums oder im Auswärtigen Amt zu bekommen. Auch da stellten sich ihm alle erdenklichen Hindernisse entgegen, bis er endlich 1860 in den ersehnten Hafen als Konsul in Leipzig einlaufen konnte. Davor liegt nun der ganze Inhalt dieser Memoiren. Aus einem bloßen Journalisten wurde also ohne den Bildungsgang in einer regelmäßigen Laufbahn ein bedeutender und zuletzt einflußreicher Diplomat. So etwas, denkt man wohl, ist nur in England möglich, wo der Mann mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/333>, abgerufen am 23.07.2024.