Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
München und Konstanz

Entschuldigung für sich hatte, daß eine öffentliche Erklärung von mir vorlag
und Gefahr im Verzug zu sein schien. Wenn ich die Geschichte dieser Sus¬
pension, die beinahe wie eine Exkommunikation aussah, samt dem Wortlaut
der Aktenstücke in der Druckerei der Germania herausgegeben hätte, so würde
ich in jenem letzten Abschnitt des Kulturkampfs -- Anfang 1878 -- den
Katholiken ein höllisches Vergnügen bereitet und selbst wahrscheinlich ein
schönes Geschäft damit gemacht haben. Aber das lag mir fern. Ich hatte
die christlich-soziale Bewegung, die damals in Berlin so viel Aussehen machte,
mit sympathischen Interesse verfolgt und schrieb an den Pastor Todt, ob es
mir seiner Ansicht nach möglich sein würde, mir durch die Teilnahme daran
eine Existenz zu gründen oder wenigstens das Leben zu fristen. Er antwortete,
er könne mir nichts versprechen und nichts verbürgen. Ich beschloß dennoch
aufs Geratewohl nach Berlin zu gehen. Da kam ein Brief von Michelis. Er
könne nicht zugeben, daß ich fortginge; er habe mit den Bonner Herren ver¬
handelt, und wenn ich erklärte, daß ich den Religionsunterricht nach den amt¬
lichen Handbüchern erteilen wolle und mein Bedauern darüber ausspräche, daß
mein Abschiedsschreiben nicht ganz parlamentarisch ausgefallen sei, so würden
sie die Maßregel zurücknehmen. Das konnte ich nun ganz leicht thun, denn
das fragliche Schreiben war aus leidenschaftlicher Erregung hervorgegangen,
und den Religionsunterricht anders als nach den amtlichen Handbüchern zu
erteilen war mir niemals eingefallen. So bekam ich denn die Bestätigung
der Offcnburger Wahl, aber natürlich -- zu spät. Denn die Offenburger
hatten sich mittlerweile nach einem andern umgesehen und hatten einen ge¬
funden, der eine römisch-katholische Pfründe mitbrachte, von der er leben
konnte, sodaß ihm die Offcnburger Gemeinde nichts oder nur einen unbe¬
deutenden Zuschuß zu zahlen brauchte; natürlich griff sie mit beiden Händen
zu. Da er aber erst im Herbst antreten wollte, wurde ausgemacht, daß ich
Offenburg vom 1. April bis zum 1. Oktober versehen sollte. Daß ich nicht
nach Berlin ging, war ein Glück, denn zum Agitator tauge ich weder geistig,
da ich mich keiner Parteischablone füge und immer und überall für die Be¬
strebungen meiner nächsten Freunde einen unglücklich scharfen Blick habe,*)
noch körperlich, da ich weder Vier und Tabakqnalm noch la-es Kours vertrage.
Freilich gilt das wohl nur für Deutschland; im Süden, wo alles im Freien
abgemacht wird, wo man kein Vier trinkt, und wo ohnehin jedermann einen
Teil des Nachtschlafs durch die Siesta ersetzt, würde mich mein Naturell
weniger hindern. So schlimm war diese Existenzkrisis für mich nicht, wie
es die frühern gewesen waren, weil das Jahr vorher meine Mutter ge¬
storben war.



Vielleicht ist das eine Rückwirkung meiner leiblichen Kurzsichtigkeit, die eS mit sich
bringt, das; ich Federchen nur auf meinem eignen Rocknrmcl sehe.
Grenzboten II 18S7 41
München und Konstanz

Entschuldigung für sich hatte, daß eine öffentliche Erklärung von mir vorlag
und Gefahr im Verzug zu sein schien. Wenn ich die Geschichte dieser Sus¬
pension, die beinahe wie eine Exkommunikation aussah, samt dem Wortlaut
der Aktenstücke in der Druckerei der Germania herausgegeben hätte, so würde
ich in jenem letzten Abschnitt des Kulturkampfs — Anfang 1878 — den
Katholiken ein höllisches Vergnügen bereitet und selbst wahrscheinlich ein
schönes Geschäft damit gemacht haben. Aber das lag mir fern. Ich hatte
die christlich-soziale Bewegung, die damals in Berlin so viel Aussehen machte,
mit sympathischen Interesse verfolgt und schrieb an den Pastor Todt, ob es
mir seiner Ansicht nach möglich sein würde, mir durch die Teilnahme daran
eine Existenz zu gründen oder wenigstens das Leben zu fristen. Er antwortete,
er könne mir nichts versprechen und nichts verbürgen. Ich beschloß dennoch
aufs Geratewohl nach Berlin zu gehen. Da kam ein Brief von Michelis. Er
könne nicht zugeben, daß ich fortginge; er habe mit den Bonner Herren ver¬
handelt, und wenn ich erklärte, daß ich den Religionsunterricht nach den amt¬
lichen Handbüchern erteilen wolle und mein Bedauern darüber ausspräche, daß
mein Abschiedsschreiben nicht ganz parlamentarisch ausgefallen sei, so würden
sie die Maßregel zurücknehmen. Das konnte ich nun ganz leicht thun, denn
das fragliche Schreiben war aus leidenschaftlicher Erregung hervorgegangen,
und den Religionsunterricht anders als nach den amtlichen Handbüchern zu
erteilen war mir niemals eingefallen. So bekam ich denn die Bestätigung
der Offcnburger Wahl, aber natürlich — zu spät. Denn die Offenburger
hatten sich mittlerweile nach einem andern umgesehen und hatten einen ge¬
funden, der eine römisch-katholische Pfründe mitbrachte, von der er leben
konnte, sodaß ihm die Offcnburger Gemeinde nichts oder nur einen unbe¬
deutenden Zuschuß zu zahlen brauchte; natürlich griff sie mit beiden Händen
zu. Da er aber erst im Herbst antreten wollte, wurde ausgemacht, daß ich
Offenburg vom 1. April bis zum 1. Oktober versehen sollte. Daß ich nicht
nach Berlin ging, war ein Glück, denn zum Agitator tauge ich weder geistig,
da ich mich keiner Parteischablone füge und immer und überall für die Be¬
strebungen meiner nächsten Freunde einen unglücklich scharfen Blick habe,*)
noch körperlich, da ich weder Vier und Tabakqnalm noch la-es Kours vertrage.
Freilich gilt das wohl nur für Deutschland; im Süden, wo alles im Freien
abgemacht wird, wo man kein Vier trinkt, und wo ohnehin jedermann einen
Teil des Nachtschlafs durch die Siesta ersetzt, würde mich mein Naturell
weniger hindern. So schlimm war diese Existenzkrisis für mich nicht, wie
es die frühern gewesen waren, weil das Jahr vorher meine Mutter ge¬
storben war.



Vielleicht ist das eine Rückwirkung meiner leiblichen Kurzsichtigkeit, die eS mit sich
bringt, das; ich Federchen nur auf meinem eignen Rocknrmcl sehe.
Grenzboten II 18S7 41
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225257"/>
          <fw type="header" place="top"> München und Konstanz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> Entschuldigung für sich hatte, daß eine öffentliche Erklärung von mir vorlag<lb/>
und Gefahr im Verzug zu sein schien. Wenn ich die Geschichte dieser Sus¬<lb/>
pension, die beinahe wie eine Exkommunikation aussah, samt dem Wortlaut<lb/>
der Aktenstücke in der Druckerei der Germania herausgegeben hätte, so würde<lb/>
ich in jenem letzten Abschnitt des Kulturkampfs &#x2014; Anfang 1878 &#x2014; den<lb/>
Katholiken ein höllisches Vergnügen bereitet und selbst wahrscheinlich ein<lb/>
schönes Geschäft damit gemacht haben. Aber das lag mir fern. Ich hatte<lb/>
die christlich-soziale Bewegung, die damals in Berlin so viel Aussehen machte,<lb/>
mit sympathischen Interesse verfolgt und schrieb an den Pastor Todt, ob es<lb/>
mir seiner Ansicht nach möglich sein würde, mir durch die Teilnahme daran<lb/>
eine Existenz zu gründen oder wenigstens das Leben zu fristen. Er antwortete,<lb/>
er könne mir nichts versprechen und nichts verbürgen. Ich beschloß dennoch<lb/>
aufs Geratewohl nach Berlin zu gehen. Da kam ein Brief von Michelis. Er<lb/>
könne nicht zugeben, daß ich fortginge; er habe mit den Bonner Herren ver¬<lb/>
handelt, und wenn ich erklärte, daß ich den Religionsunterricht nach den amt¬<lb/>
lichen Handbüchern erteilen wolle und mein Bedauern darüber ausspräche, daß<lb/>
mein Abschiedsschreiben nicht ganz parlamentarisch ausgefallen sei, so würden<lb/>
sie die Maßregel zurücknehmen. Das konnte ich nun ganz leicht thun, denn<lb/>
das fragliche Schreiben war aus leidenschaftlicher Erregung hervorgegangen,<lb/>
und den Religionsunterricht anders als nach den amtlichen Handbüchern zu<lb/>
erteilen war mir niemals eingefallen. So bekam ich denn die Bestätigung<lb/>
der Offcnburger Wahl, aber natürlich &#x2014; zu spät. Denn die Offenburger<lb/>
hatten sich mittlerweile nach einem andern umgesehen und hatten einen ge¬<lb/>
funden, der eine römisch-katholische Pfründe mitbrachte, von der er leben<lb/>
konnte, sodaß ihm die Offcnburger Gemeinde nichts oder nur einen unbe¬<lb/>
deutenden Zuschuß zu zahlen brauchte; natürlich griff sie mit beiden Händen<lb/>
zu. Da er aber erst im Herbst antreten wollte, wurde ausgemacht, daß ich<lb/>
Offenburg vom 1. April bis zum 1. Oktober versehen sollte. Daß ich nicht<lb/>
nach Berlin ging, war ein Glück, denn zum Agitator tauge ich weder geistig,<lb/>
da ich mich keiner Parteischablone füge und immer und überall für die Be¬<lb/>
strebungen meiner nächsten Freunde einen unglücklich scharfen Blick habe,*)<lb/>
noch körperlich, da ich weder Vier und Tabakqnalm noch la-es Kours vertrage.<lb/>
Freilich gilt das wohl nur für Deutschland; im Süden, wo alles im Freien<lb/>
abgemacht wird, wo man kein Vier trinkt, und wo ohnehin jedermann einen<lb/>
Teil des Nachtschlafs durch die Siesta ersetzt, würde mich mein Naturell<lb/>
weniger hindern. So schlimm war diese Existenzkrisis für mich nicht, wie<lb/>
es die frühern gewesen waren, weil das Jahr vorher meine Mutter ge¬<lb/>
storben war.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_48" place="foot"> Vielleicht ist das eine Rückwirkung meiner leiblichen Kurzsichtigkeit, die eS mit sich<lb/>
bringt, das; ich Federchen nur auf meinem eignen Rocknrmcl sehe.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 18S7 41</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] München und Konstanz Entschuldigung für sich hatte, daß eine öffentliche Erklärung von mir vorlag und Gefahr im Verzug zu sein schien. Wenn ich die Geschichte dieser Sus¬ pension, die beinahe wie eine Exkommunikation aussah, samt dem Wortlaut der Aktenstücke in der Druckerei der Germania herausgegeben hätte, so würde ich in jenem letzten Abschnitt des Kulturkampfs — Anfang 1878 — den Katholiken ein höllisches Vergnügen bereitet und selbst wahrscheinlich ein schönes Geschäft damit gemacht haben. Aber das lag mir fern. Ich hatte die christlich-soziale Bewegung, die damals in Berlin so viel Aussehen machte, mit sympathischen Interesse verfolgt und schrieb an den Pastor Todt, ob es mir seiner Ansicht nach möglich sein würde, mir durch die Teilnahme daran eine Existenz zu gründen oder wenigstens das Leben zu fristen. Er antwortete, er könne mir nichts versprechen und nichts verbürgen. Ich beschloß dennoch aufs Geratewohl nach Berlin zu gehen. Da kam ein Brief von Michelis. Er könne nicht zugeben, daß ich fortginge; er habe mit den Bonner Herren ver¬ handelt, und wenn ich erklärte, daß ich den Religionsunterricht nach den amt¬ lichen Handbüchern erteilen wolle und mein Bedauern darüber ausspräche, daß mein Abschiedsschreiben nicht ganz parlamentarisch ausgefallen sei, so würden sie die Maßregel zurücknehmen. Das konnte ich nun ganz leicht thun, denn das fragliche Schreiben war aus leidenschaftlicher Erregung hervorgegangen, und den Religionsunterricht anders als nach den amtlichen Handbüchern zu erteilen war mir niemals eingefallen. So bekam ich denn die Bestätigung der Offcnburger Wahl, aber natürlich — zu spät. Denn die Offenburger hatten sich mittlerweile nach einem andern umgesehen und hatten einen ge¬ funden, der eine römisch-katholische Pfründe mitbrachte, von der er leben konnte, sodaß ihm die Offcnburger Gemeinde nichts oder nur einen unbe¬ deutenden Zuschuß zu zahlen brauchte; natürlich griff sie mit beiden Händen zu. Da er aber erst im Herbst antreten wollte, wurde ausgemacht, daß ich Offenburg vom 1. April bis zum 1. Oktober versehen sollte. Daß ich nicht nach Berlin ging, war ein Glück, denn zum Agitator tauge ich weder geistig, da ich mich keiner Parteischablone füge und immer und überall für die Be¬ strebungen meiner nächsten Freunde einen unglücklich scharfen Blick habe,*) noch körperlich, da ich weder Vier und Tabakqnalm noch la-es Kours vertrage. Freilich gilt das wohl nur für Deutschland; im Süden, wo alles im Freien abgemacht wird, wo man kein Vier trinkt, und wo ohnehin jedermann einen Teil des Nachtschlafs durch die Siesta ersetzt, würde mich mein Naturell weniger hindern. So schlimm war diese Existenzkrisis für mich nicht, wie es die frühern gewesen waren, weil das Jahr vorher meine Mutter ge¬ storben war. Vielleicht ist das eine Rückwirkung meiner leiblichen Kurzsichtigkeit, die eS mit sich bringt, das; ich Federchen nur auf meinem eignen Rocknrmcl sehe. Grenzboten II 18S7 41

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/329>, abgerufen am 23.07.2024.