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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Das vreiklassenmcchlsystem

seinen Einfluß über andre dazu mißbraucht, sie wegen der freien Äußerung ihrer
Beteiligung zu benachteiligen, wird dafür von der Presse gebrandmarkt werden.
Demjenigen, der seiner vflichtmnßigen Gesinnungsäußerung wegen zu Schaden
kommt, wird es an hilfreicher Teilnahme andrer nicht fehlen.

Nachdem die Wahlverordnung sanktionirt worden war, kamen dann die
Bestimmungen der Verfassungsurkunde über die Bildung der Kammern zunächst
in der zweiten Kammer zur Verhandlung. In der Kommissions beratung traten
zwei Ansichten einander gegenüber: die eine wollte im wesentlichen das System
beibehalten, auf dem das Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 beruht, die andre war
aber auf die Einführung direkter Wahlen mit einem angemessenen Zensus ge¬
richtet. Die Anhänger der zweiten hoben dabei hervor, wenn eingewandt
würde, daß mit Einführung eines Zensus eine Menge selbständiger Staats¬
bürger von dem Wahlrechte willkürlich ausgeschlossen werde, so lasse sich der
Vorwurf der Willkür mindestens in gleichem Maße gegen die Einteilung der
Wähler in drei Klassen richten, da kein Rechtsgrund dafür anzuführen sei, daß
man eben drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde. Die Dreiklassenwahl
wurde dagegen von der andern Seite als gerechter angesehen, weil sie die
Möglichkeit gewähre, auch die untern Klassen zu dem politischen Recht heran¬
zuziehen, wenigstens insofern sie aus der Stufe des bürgerlichen Lebens
stünden, die eine gewisse Selbständigkeit gewähre, und mit der eine, wenn auch
nur kleine Beteiligung an der direkten Steuerzahlung verbunden sei. Es wurde
ferner angeführt, daß dieses System in der Rheinischen Gemeindeordnung
bestehe und voraussichtlich auch für die allgemeine Gemeindeordnung zur An¬
nahme kommen werde, daß schon einmal darnach gewühlt worden und von
einem Wechsel eine Schwächung und Verwirrung des politischen Bewußtseins
zu befürchten sei, und daß die Ungleichheit in der Verteilung des Wahlrechts
der bestehenden Ungleichheit der Verhältnisse entspreche.

Der Antrag auf Annahme des gleichen Wahlrechts unter Beschränkung
durch einen Zensus wurde in der Kommission mit fünfzehn gegen fünf Stimmen
verworfen, und mit dreizehn gegen sieben Stimmen beschlossen, das Dreiklassen-
wcchlsystcm für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die Verfassungs-
urkunde festzustellen.

In den Verhandlungen der zweiten Kammer selbst wurde gar nicht mehr
versucht, für das gleiche Wahlrecht Stimmen zu gewinnen, es wurde nur be¬
antragt, auch die Bürger, die keine direkte Steuer zahlten, aber sonst wahl¬
fähig wären, in die dritte Klasse aufzunehmen, aber die Anträge fanden keine
ausreichende Unterstützung. Gegen die Dreiteilung wurde von keiner Seite
ein Einwand erhoben, und so wurde denn in beiden Kammern die Festsetzung
des Dreiklassenwahlsystems für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die
Verfassungsurkunde angenommen. Hiernach ist dann dasselbe Wahlsystem in
die Gemeindeordnung vom 11. März 1850 und in die spätern Städte- und


Grenzboten II 18S7 40
Das vreiklassenmcchlsystem

seinen Einfluß über andre dazu mißbraucht, sie wegen der freien Äußerung ihrer
Beteiligung zu benachteiligen, wird dafür von der Presse gebrandmarkt werden.
Demjenigen, der seiner vflichtmnßigen Gesinnungsäußerung wegen zu Schaden
kommt, wird es an hilfreicher Teilnahme andrer nicht fehlen.

Nachdem die Wahlverordnung sanktionirt worden war, kamen dann die
Bestimmungen der Verfassungsurkunde über die Bildung der Kammern zunächst
in der zweiten Kammer zur Verhandlung. In der Kommissions beratung traten
zwei Ansichten einander gegenüber: die eine wollte im wesentlichen das System
beibehalten, auf dem das Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 beruht, die andre war
aber auf die Einführung direkter Wahlen mit einem angemessenen Zensus ge¬
richtet. Die Anhänger der zweiten hoben dabei hervor, wenn eingewandt
würde, daß mit Einführung eines Zensus eine Menge selbständiger Staats¬
bürger von dem Wahlrechte willkürlich ausgeschlossen werde, so lasse sich der
Vorwurf der Willkür mindestens in gleichem Maße gegen die Einteilung der
Wähler in drei Klassen richten, da kein Rechtsgrund dafür anzuführen sei, daß
man eben drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde. Die Dreiklassenwahl
wurde dagegen von der andern Seite als gerechter angesehen, weil sie die
Möglichkeit gewähre, auch die untern Klassen zu dem politischen Recht heran¬
zuziehen, wenigstens insofern sie aus der Stufe des bürgerlichen Lebens
stünden, die eine gewisse Selbständigkeit gewähre, und mit der eine, wenn auch
nur kleine Beteiligung an der direkten Steuerzahlung verbunden sei. Es wurde
ferner angeführt, daß dieses System in der Rheinischen Gemeindeordnung
bestehe und voraussichtlich auch für die allgemeine Gemeindeordnung zur An¬
nahme kommen werde, daß schon einmal darnach gewühlt worden und von
einem Wechsel eine Schwächung und Verwirrung des politischen Bewußtseins
zu befürchten sei, und daß die Ungleichheit in der Verteilung des Wahlrechts
der bestehenden Ungleichheit der Verhältnisse entspreche.

Der Antrag auf Annahme des gleichen Wahlrechts unter Beschränkung
durch einen Zensus wurde in der Kommission mit fünfzehn gegen fünf Stimmen
verworfen, und mit dreizehn gegen sieben Stimmen beschlossen, das Dreiklassen-
wcchlsystcm für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die Verfassungs-
urkunde festzustellen.

In den Verhandlungen der zweiten Kammer selbst wurde gar nicht mehr
versucht, für das gleiche Wahlrecht Stimmen zu gewinnen, es wurde nur be¬
antragt, auch die Bürger, die keine direkte Steuer zahlten, aber sonst wahl¬
fähig wären, in die dritte Klasse aufzunehmen, aber die Anträge fanden keine
ausreichende Unterstützung. Gegen die Dreiteilung wurde von keiner Seite
ein Einwand erhoben, und so wurde denn in beiden Kammern die Festsetzung
des Dreiklassenwahlsystems für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die
Verfassungsurkunde angenommen. Hiernach ist dann dasselbe Wahlsystem in
die Gemeindeordnung vom 11. März 1850 und in die spätern Städte- und


Grenzboten II 18S7 40
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[0321] Das vreiklassenmcchlsystem seinen Einfluß über andre dazu mißbraucht, sie wegen der freien Äußerung ihrer Beteiligung zu benachteiligen, wird dafür von der Presse gebrandmarkt werden. Demjenigen, der seiner vflichtmnßigen Gesinnungsäußerung wegen zu Schaden kommt, wird es an hilfreicher Teilnahme andrer nicht fehlen. Nachdem die Wahlverordnung sanktionirt worden war, kamen dann die Bestimmungen der Verfassungsurkunde über die Bildung der Kammern zunächst in der zweiten Kammer zur Verhandlung. In der Kommissions beratung traten zwei Ansichten einander gegenüber: die eine wollte im wesentlichen das System beibehalten, auf dem das Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 beruht, die andre war aber auf die Einführung direkter Wahlen mit einem angemessenen Zensus ge¬ richtet. Die Anhänger der zweiten hoben dabei hervor, wenn eingewandt würde, daß mit Einführung eines Zensus eine Menge selbständiger Staats¬ bürger von dem Wahlrechte willkürlich ausgeschlossen werde, so lasse sich der Vorwurf der Willkür mindestens in gleichem Maße gegen die Einteilung der Wähler in drei Klassen richten, da kein Rechtsgrund dafür anzuführen sei, daß man eben drei Klassen und nicht zwei oder mehr bilde. Die Dreiklassenwahl wurde dagegen von der andern Seite als gerechter angesehen, weil sie die Möglichkeit gewähre, auch die untern Klassen zu dem politischen Recht heran¬ zuziehen, wenigstens insofern sie aus der Stufe des bürgerlichen Lebens stünden, die eine gewisse Selbständigkeit gewähre, und mit der eine, wenn auch nur kleine Beteiligung an der direkten Steuerzahlung verbunden sei. Es wurde ferner angeführt, daß dieses System in der Rheinischen Gemeindeordnung bestehe und voraussichtlich auch für die allgemeine Gemeindeordnung zur An¬ nahme kommen werde, daß schon einmal darnach gewühlt worden und von einem Wechsel eine Schwächung und Verwirrung des politischen Bewußtseins zu befürchten sei, und daß die Ungleichheit in der Verteilung des Wahlrechts der bestehenden Ungleichheit der Verhältnisse entspreche. Der Antrag auf Annahme des gleichen Wahlrechts unter Beschränkung durch einen Zensus wurde in der Kommission mit fünfzehn gegen fünf Stimmen verworfen, und mit dreizehn gegen sieben Stimmen beschlossen, das Dreiklassen- wcchlsystcm für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die Verfassungs- urkunde festzustellen. In den Verhandlungen der zweiten Kammer selbst wurde gar nicht mehr versucht, für das gleiche Wahlrecht Stimmen zu gewinnen, es wurde nur be¬ antragt, auch die Bürger, die keine direkte Steuer zahlten, aber sonst wahl¬ fähig wären, in die dritte Klasse aufzunehmen, aber die Anträge fanden keine ausreichende Unterstützung. Gegen die Dreiteilung wurde von keiner Seite ein Einwand erhoben, und so wurde denn in beiden Kammern die Festsetzung des Dreiklassenwahlsystems für die Wahlen zum Abgeordnetenhause durch die Verfassungsurkunde angenommen. Hiernach ist dann dasselbe Wahlsystem in die Gemeindeordnung vom 11. März 1850 und in die spätern Städte- und Grenzboten II 18S7 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/321>, abgerufen am 23.07.2024.