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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

zu bethätigen findet er immer zuerst Zeichenfehler. Male die Seele und kümmere
dich nicht um Arm und Beine, rät darum ein englischer Künstler." Aber
zwischen der Seele und den Armen und Beinen liegt noch viel andres, was
verstanden sein will. Er dringt nun in Düsseldorf von der Bewunderung vor
zu dem Nachdenken über die Entstehung eines Kunstwerks, er fragt sich, wie
die Idee vom Kopfe in die Hand gelangt und von da aus Gestalt annimmt,
er sieht die Künstler arbeiten und nimmt teil an ihren Gedanken. Von da
aus gewinnt er den Standpunkt für die Betrachtung des fertigen Kunstwerks
als eines Produktes seiner Zeit und für die Ermittlung der Umstände seiner
Entstehung. Das gilt, wie es scheint, zunächst nur für vergangne Zeiten und
alte Werke, aber wie bald verändert sich doch die Welt, die Gegenwart wird
Vergangenheit, und was uns heute noch beeinflußt und unklar ist, das ver¬
stehen wir vielleicht schon morgen, wenn es als abgeschlossene Erscheinung
hinter uns liegt. So interessirt uns manches als Zeugnis einer Vergangen¬
heit, was an sich unvollkommen ist. "Sein absoluter Wert mag nichtig sein,
sein relativer kann umso höher stehen." Was ihn in Düsseldorf die arbeitenden
Künstler lehren, das verwendet er auf die Erkenntnis der fertigen, vergangnen
Kunst, und allmählich wird ihm der Grundsatz einer kulturgeschichtlichen Auf¬
fassungsweise klar, und er beginnt im einzelnen dazu die Methoden zu suchen.
Wie daraus einmal ein Lebensberuf werden sollte, war einstweilen nicht ab¬
zusehen; es galt bloß zu lernen. Voll Dank für seine fürstlichen Gönner und
Freunde benutzte er die Gelegenheit, bei vielfachem Ortswechsel durch immer
neue Anschauung und bei beschränkter eigner Zeit für sich zu arbeiten. Dann
aber, nach fast drei Jahren, gab er die Stellung auf und ging Anfang 1854
nach Wien, um nach Jahresfrist von da nach Nürnberg überzusiedeln als
Konservator an den Sammlungen des damals neu gegründeten Germanischen
Museums. Das Leben dort schildert der Kulturhistoriker als mehr denn
spießbürgerlich, die Küche so, daß er in langem Leben und bei vielen Reisen
nirgends in der zivilisirten Welt eine schlechtere angetroffen habe als die
Nürnberger. Aber die Schule am Museum unter Massen von Sammel-
gegenstünden jeglicher Art, die zu ordnen und zu beschreiben waren, wurde
für ihn von so großem Werte, daß er alles äußere Ungemach und die un¬
gewöhnlich unbequeme und anstrengende Berufsarbeit gern ertrug, denn nirgends
Hütte er soviel lernen können, wie hier in den unfertigen und äußerlich wenig
glänzenden Verhältnissen. Das Ganze beruhte auf dem idealen Sinn und Thun
des vortrefflichen Freiherrn von Aufseß und auf den Anstrengungen seiner
kärglich besoldeten Mitarbeiter. Falke fand nach einigen Jahren wieder den
Weg nach Wien: er wurde 1858 als Bibliothekar und Kunstbeirat des regierenden
Fürsten von Liechtenstein berufen. Nach der Gründung des neuen Museums
für Kunst und Industrie 1864 wurde er außerdem dessen zweiter, und nach
Eitelbergers Tode 1885 erster Direktor. Damit hatte das äußere Leben seine


Aus den Denkwürdigkeiten zweier Runstforscher

zu bethätigen findet er immer zuerst Zeichenfehler. Male die Seele und kümmere
dich nicht um Arm und Beine, rät darum ein englischer Künstler." Aber
zwischen der Seele und den Armen und Beinen liegt noch viel andres, was
verstanden sein will. Er dringt nun in Düsseldorf von der Bewunderung vor
zu dem Nachdenken über die Entstehung eines Kunstwerks, er fragt sich, wie
die Idee vom Kopfe in die Hand gelangt und von da aus Gestalt annimmt,
er sieht die Künstler arbeiten und nimmt teil an ihren Gedanken. Von da
aus gewinnt er den Standpunkt für die Betrachtung des fertigen Kunstwerks
als eines Produktes seiner Zeit und für die Ermittlung der Umstände seiner
Entstehung. Das gilt, wie es scheint, zunächst nur für vergangne Zeiten und
alte Werke, aber wie bald verändert sich doch die Welt, die Gegenwart wird
Vergangenheit, und was uns heute noch beeinflußt und unklar ist, das ver¬
stehen wir vielleicht schon morgen, wenn es als abgeschlossene Erscheinung
hinter uns liegt. So interessirt uns manches als Zeugnis einer Vergangen¬
heit, was an sich unvollkommen ist. „Sein absoluter Wert mag nichtig sein,
sein relativer kann umso höher stehen." Was ihn in Düsseldorf die arbeitenden
Künstler lehren, das verwendet er auf die Erkenntnis der fertigen, vergangnen
Kunst, und allmählich wird ihm der Grundsatz einer kulturgeschichtlichen Auf¬
fassungsweise klar, und er beginnt im einzelnen dazu die Methoden zu suchen.
Wie daraus einmal ein Lebensberuf werden sollte, war einstweilen nicht ab¬
zusehen; es galt bloß zu lernen. Voll Dank für seine fürstlichen Gönner und
Freunde benutzte er die Gelegenheit, bei vielfachem Ortswechsel durch immer
neue Anschauung und bei beschränkter eigner Zeit für sich zu arbeiten. Dann
aber, nach fast drei Jahren, gab er die Stellung auf und ging Anfang 1854
nach Wien, um nach Jahresfrist von da nach Nürnberg überzusiedeln als
Konservator an den Sammlungen des damals neu gegründeten Germanischen
Museums. Das Leben dort schildert der Kulturhistoriker als mehr denn
spießbürgerlich, die Küche so, daß er in langem Leben und bei vielen Reisen
nirgends in der zivilisirten Welt eine schlechtere angetroffen habe als die
Nürnberger. Aber die Schule am Museum unter Massen von Sammel-
gegenstünden jeglicher Art, die zu ordnen und zu beschreiben waren, wurde
für ihn von so großem Werte, daß er alles äußere Ungemach und die un¬
gewöhnlich unbequeme und anstrengende Berufsarbeit gern ertrug, denn nirgends
Hütte er soviel lernen können, wie hier in den unfertigen und äußerlich wenig
glänzenden Verhältnissen. Das Ganze beruhte auf dem idealen Sinn und Thun
des vortrefflichen Freiherrn von Aufseß und auf den Anstrengungen seiner
kärglich besoldeten Mitarbeiter. Falke fand nach einigen Jahren wieder den
Weg nach Wien: er wurde 1858 als Bibliothekar und Kunstbeirat des regierenden
Fürsten von Liechtenstein berufen. Nach der Gründung des neuen Museums
für Kunst und Industrie 1864 wurde er außerdem dessen zweiter, und nach
Eitelbergers Tode 1885 erster Direktor. Damit hatte das äußere Leben seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/294>, abgerufen am 23.07.2024.