Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Ans den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher ganzen Verlaufe klar und anziehend geschildert vor; er legt uns selbst die Falles äußerer Lebensgang ist für den eines deutschen Gelehrten sehr *) Lebenserinnerungen von Jakob von Falke. Leipzig, G, H. Meyer.
Ans den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher ganzen Verlaufe klar und anziehend geschildert vor; er legt uns selbst die Falles äußerer Lebensgang ist für den eines deutschen Gelehrten sehr *) Lebenserinnerungen von Jakob von Falke. Leipzig, G, H. Meyer.
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Ans den Denkwürdigkeiten zweier Kunstforscher
ganzen Verlaufe klar und anziehend geschildert vor; er legt uns selbst die
Summe seiner Lebensarbeit dar, besser als es ein andrer vermöchte, und darum
ist das Buch,*) abgesehen von seinem mannichfachen unterhaltenden Inhalte,
sür jeden, der sich in Deutschland mit dem Studium oder auch nur der Be¬
trachtung der Kunst beschäftigt, höchst belehrend. Wir wollen uns zunächst dem
zweiten Buche zuwenden.
Falles äußerer Lebensgang ist für den eines deutschen Gelehrten sehr
merkwürdig, wenn er auch lange nicht so wechselvoll war wie der des Eng¬
länders. Falke machte schon in seinen mittlern Jahren, z. B. 1868, wo ich
ihn zum erstenmale sah, den Eindruck eines Süddeutschen, und doch stammte
er aus Ratzeburg, war ein Jahr lang Schulamtskandidat in Hildesheim, sollte
gerade nach Celle versetzt werden und wäre nach aller menschlichen Voraus¬
sicht in diesem Pflichtenkreise und in diesen landschaftlichen Grenzen alt ge¬
worden, wenn ihn nicht ein äußerer Umstand und ein zunächst allerdings noch
sehr unbestimmtes Interesse für bildende Kunst auf einen andern Weg gebracht
hätten. Er hatte in Celle gut gefallen und sollte nur noch eine Probelektion
halten. Er kannte die Stadt, die, kleines mit großem zu vergleichen, sich un¬
gefähr zu Hannover verhielt wie Graz zu Wien. Es war die zweite Stadt
des Adels, der Beamtengesellschaft, der Intelligenz und der Bildung im König¬
reich, und dazu die Stadt des angeblich reinsten Deutsch. Was war, so meint
Falke, in einer solchen Gesellschaft ein Gymnasiallehrer? Anstatt die sandige
Wüste, in der er mit den Füßen tief einsinkend spazieren gegangen war, als
Stätte seines Berufs zu wählen und dazu die Poesie der umgebenden Lüne-
burger Heide, für die er nicht unempfänglich war, als Sonntagsvergnügen zu
genießen, entschloß er sich gegen den Rat seiner Kollegen, die das Sichere der
Aussicht ins Ungewisse vorzogen, als Erzieher in das Haus des Prinzen
Wilhelm von Solms-Braunfels, eines Stiefbruders des nachmaligen Königs
Georg von Hannover, einzutreten. So kam er an den Rhein, nach Österreich
und nach Wien, der Stadt, die es ihm vom ersten Augenblick an anthat, nach
dem Süden überhaupt, und der Süden mit seiner ältern, höhern Kultur und
seinem reichern Leben ließ ihn nicht wieder los. Trotz mancher Gelegenheit,
nach Norddeutschland zurückzukehren, und trotz seiner warmen Empfindung für
seine Heimatgegend fühlte er sich bald auch innerlich als Angehöriger des
Landes, in das ihn sein Beruf geführt hatte. Aber erst allmählich und auf
mancherlei Umwegen gelangte er dauernd nach Wien. An der Wissenschaft,
der er sich nun widmen sollte, war alles neu: die Art und die Entstehung,
die Methode und die Menschen, die Kunsthistoriker selber. Alle kamen von
einem andern Berufe her, es gab keine Schule und keinen Unterricht. Die
Männer sind durch ihren Eifer und ihr feuriges Interesse zu ihren Leistungen
*) Lebenserinnerungen von Jakob von Falke. Leipzig, G, H. Meyer.
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