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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Teilung der Provinz Posen

reißen und den meist polnischen Rest zurücklassen. Ob dieser dann zu Schlesien
oder zu Westpreußen geschlagen würde, ist gleichgiltig. In Westpreußen würde
sofort eine stattliche Mehrheit des Polentums auftreten, in Schlesien würde
die polnische Bevölkerung in einem Grade gestärkt werden, daß sie auch dort
weit über ihre heutige politische Bedeutung hinaus einen Machtzuwachs er¬
hielte, der in Verbindung mit dem Zentrum sich sehr leicht zur Mehrheit
oder doch wenigstens zu einem maßgebenden Einfluß entwickeln könnte. Selbst
wenn der Rest von Posen an beide Provinzen, Schlesien und Westpreußen,
verteilt werden sollte, würde der polnische Zuwachs doch in bedenklicher Weise
zunehmen und die Machtstellung des Polentums in den Gegenden, wo die
Polen jetzt eine geringe Rolle spielen, bedeutend fördern. Man würde
mindestens mit einer einflußreichen polnischen Minderheit zu rechnen haben.

Ganz ohne Einwirkung aber würde die Auflösung der Provinz Posen
auf die Bestrebungen der polnisch-katholischen Geistlichkeit bleiben. Sie ist der
stärkste Hort des Polentums, sie bekämpft die wichtigsten Maßnahmen der
Staatsregierung mit dem höchsten Eifer und leider auch mit dem besten Er¬
folg und drängt überdies die deutschen Katholiken zum Übertritt ins polnische
Lager. Wie nur der Ultramontane dem katholischen Klerus als rechter
Katholik gilt, so sieht der polnische Propst nur in dem Polen den gläubigen
Katholiken. Bei dem gewaltigen Einfluß der Geistlichkeit auf die Bevölkerung
gelingt es daher den deutschen Katholiken nur selten und unter schweren
Kämpfen, ihr Deutschtum zu bewahren. Was der Propst nicht vermocht hat,
erreicht schließlich in der häusig vorkommenden Mischehe die von dem Propst
fanatisirte polnische Ehefrau. Gelingt es ihr auch nicht immer bei dem
Manne, so doch sicher bei den Kindern. Das zeigen die Erfahrungen nicht
bloß in den untern Schichten, sondern selbst in den gebildeten Kreise" der
Bevölkerung. Besonders der Kulturkampf wird von der Geistlichkeit so dar¬
gestellt, als ob es sich dabei um die Ausrottung des Katholizismus gehandelt
habe. Mit meisterhaften Geschick wird die kirchliche Frage mit der nationalen
verquickt und jede Maßnahme der Regierung, die lediglich das Polentum und
die polnischen Bestrebungen treffen soll, dem Volke als kirchenfeiudlich hingestellt.
Die Regierung, heißt es, will das Polentum vernichten und sucht ihren Zweck
dadurch zu erreichen, daß sie der Bevölkerung ihre eigentlichste Widerstands¬
kraft, die Religion und die Sittlichkeit, entreißt. Ferner verweigert die pol¬
nische Geistlichkeit die deutsche Sprache in der Predigt und protestirt unablässig
gegen sie im Schulunterricht. Das deutsch gesprochne Gebet wird sogar von
Heißspornen für eine Versündigung erklärt. Die Kinder sollen durch die pol¬
itische Sprache nur für das Polentum erzogen werden, damit sie später das
deutsche Wesen und die deutsche Sprache als etwas fremdartiges, ihrem Wesen
feindliches betrachten. Man will die deutschen Katholiken darauf hinweisen,
daß, wer auf polnischem Boden leben will, die polnische Sprache sprechen und


Die Teilung der Provinz Posen

reißen und den meist polnischen Rest zurücklassen. Ob dieser dann zu Schlesien
oder zu Westpreußen geschlagen würde, ist gleichgiltig. In Westpreußen würde
sofort eine stattliche Mehrheit des Polentums auftreten, in Schlesien würde
die polnische Bevölkerung in einem Grade gestärkt werden, daß sie auch dort
weit über ihre heutige politische Bedeutung hinaus einen Machtzuwachs er¬
hielte, der in Verbindung mit dem Zentrum sich sehr leicht zur Mehrheit
oder doch wenigstens zu einem maßgebenden Einfluß entwickeln könnte. Selbst
wenn der Rest von Posen an beide Provinzen, Schlesien und Westpreußen,
verteilt werden sollte, würde der polnische Zuwachs doch in bedenklicher Weise
zunehmen und die Machtstellung des Polentums in den Gegenden, wo die
Polen jetzt eine geringe Rolle spielen, bedeutend fördern. Man würde
mindestens mit einer einflußreichen polnischen Minderheit zu rechnen haben.

Ganz ohne Einwirkung aber würde die Auflösung der Provinz Posen
auf die Bestrebungen der polnisch-katholischen Geistlichkeit bleiben. Sie ist der
stärkste Hort des Polentums, sie bekämpft die wichtigsten Maßnahmen der
Staatsregierung mit dem höchsten Eifer und leider auch mit dem besten Er¬
folg und drängt überdies die deutschen Katholiken zum Übertritt ins polnische
Lager. Wie nur der Ultramontane dem katholischen Klerus als rechter
Katholik gilt, so sieht der polnische Propst nur in dem Polen den gläubigen
Katholiken. Bei dem gewaltigen Einfluß der Geistlichkeit auf die Bevölkerung
gelingt es daher den deutschen Katholiken nur selten und unter schweren
Kämpfen, ihr Deutschtum zu bewahren. Was der Propst nicht vermocht hat,
erreicht schließlich in der häusig vorkommenden Mischehe die von dem Propst
fanatisirte polnische Ehefrau. Gelingt es ihr auch nicht immer bei dem
Manne, so doch sicher bei den Kindern. Das zeigen die Erfahrungen nicht
bloß in den untern Schichten, sondern selbst in den gebildeten Kreise» der
Bevölkerung. Besonders der Kulturkampf wird von der Geistlichkeit so dar¬
gestellt, als ob es sich dabei um die Ausrottung des Katholizismus gehandelt
habe. Mit meisterhaften Geschick wird die kirchliche Frage mit der nationalen
verquickt und jede Maßnahme der Regierung, die lediglich das Polentum und
die polnischen Bestrebungen treffen soll, dem Volke als kirchenfeiudlich hingestellt.
Die Regierung, heißt es, will das Polentum vernichten und sucht ihren Zweck
dadurch zu erreichen, daß sie der Bevölkerung ihre eigentlichste Widerstands¬
kraft, die Religion und die Sittlichkeit, entreißt. Ferner verweigert die pol¬
nische Geistlichkeit die deutsche Sprache in der Predigt und protestirt unablässig
gegen sie im Schulunterricht. Das deutsch gesprochne Gebet wird sogar von
Heißspornen für eine Versündigung erklärt. Die Kinder sollen durch die pol¬
itische Sprache nur für das Polentum erzogen werden, damit sie später das
deutsche Wesen und die deutsche Sprache als etwas fremdartiges, ihrem Wesen
feindliches betrachten. Man will die deutschen Katholiken darauf hinweisen,
daß, wer auf polnischem Boden leben will, die polnische Sprache sprechen und


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[0269] Die Teilung der Provinz Posen reißen und den meist polnischen Rest zurücklassen. Ob dieser dann zu Schlesien oder zu Westpreußen geschlagen würde, ist gleichgiltig. In Westpreußen würde sofort eine stattliche Mehrheit des Polentums auftreten, in Schlesien würde die polnische Bevölkerung in einem Grade gestärkt werden, daß sie auch dort weit über ihre heutige politische Bedeutung hinaus einen Machtzuwachs er¬ hielte, der in Verbindung mit dem Zentrum sich sehr leicht zur Mehrheit oder doch wenigstens zu einem maßgebenden Einfluß entwickeln könnte. Selbst wenn der Rest von Posen an beide Provinzen, Schlesien und Westpreußen, verteilt werden sollte, würde der polnische Zuwachs doch in bedenklicher Weise zunehmen und die Machtstellung des Polentums in den Gegenden, wo die Polen jetzt eine geringe Rolle spielen, bedeutend fördern. Man würde mindestens mit einer einflußreichen polnischen Minderheit zu rechnen haben. Ganz ohne Einwirkung aber würde die Auflösung der Provinz Posen auf die Bestrebungen der polnisch-katholischen Geistlichkeit bleiben. Sie ist der stärkste Hort des Polentums, sie bekämpft die wichtigsten Maßnahmen der Staatsregierung mit dem höchsten Eifer und leider auch mit dem besten Er¬ folg und drängt überdies die deutschen Katholiken zum Übertritt ins polnische Lager. Wie nur der Ultramontane dem katholischen Klerus als rechter Katholik gilt, so sieht der polnische Propst nur in dem Polen den gläubigen Katholiken. Bei dem gewaltigen Einfluß der Geistlichkeit auf die Bevölkerung gelingt es daher den deutschen Katholiken nur selten und unter schweren Kämpfen, ihr Deutschtum zu bewahren. Was der Propst nicht vermocht hat, erreicht schließlich in der häusig vorkommenden Mischehe die von dem Propst fanatisirte polnische Ehefrau. Gelingt es ihr auch nicht immer bei dem Manne, so doch sicher bei den Kindern. Das zeigen die Erfahrungen nicht bloß in den untern Schichten, sondern selbst in den gebildeten Kreise» der Bevölkerung. Besonders der Kulturkampf wird von der Geistlichkeit so dar¬ gestellt, als ob es sich dabei um die Ausrottung des Katholizismus gehandelt habe. Mit meisterhaften Geschick wird die kirchliche Frage mit der nationalen verquickt und jede Maßnahme der Regierung, die lediglich das Polentum und die polnischen Bestrebungen treffen soll, dem Volke als kirchenfeiudlich hingestellt. Die Regierung, heißt es, will das Polentum vernichten und sucht ihren Zweck dadurch zu erreichen, daß sie der Bevölkerung ihre eigentlichste Widerstands¬ kraft, die Religion und die Sittlichkeit, entreißt. Ferner verweigert die pol¬ nische Geistlichkeit die deutsche Sprache in der Predigt und protestirt unablässig gegen sie im Schulunterricht. Das deutsch gesprochne Gebet wird sogar von Heißspornen für eine Versündigung erklärt. Die Kinder sollen durch die pol¬ itische Sprache nur für das Polentum erzogen werden, damit sie später das deutsche Wesen und die deutsche Sprache als etwas fremdartiges, ihrem Wesen feindliches betrachten. Man will die deutschen Katholiken darauf hinweisen, daß, wer auf polnischem Boden leben will, die polnische Sprache sprechen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/269>, abgerufen am 23.07.2024.