Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Midaskinder lebendigen, seufzenden, sündigenden, sehnenden, liebenden Menschen für mich den Ernst faßte still die Hand des Freundes, wie das Landmädchen die Hand Viktor fuhr fort: Bald darnach kam der Winter. Damals that ich etwas, das Das stiehlt dir aber jetzt der säuerlich! O nein, Ernst; ihn zwingt sein Auge einstweilen noch, anders zu sehen als Und wie weit bist du nun, Viktor? Viktor errötete leicht und sagte: Ich habe mit dein Schreiben noch gar nicht Und dann kommt das Buch heraus bei Cotta in klein Oktav, und auf dem Nein, Ernst! Ich weiß, wem ich das Buch widme, und weiß es nicht. Eben wollte Ernst sagen: Herr, dunkel ist der Rede Sinn! da schnitt ihm Hier sind wir am Unterthor, sagte Ernst als der Ortskundige, nachdem die Midaskinder lebendigen, seufzenden, sündigenden, sehnenden, liebenden Menschen für mich den Ernst faßte still die Hand des Freundes, wie das Landmädchen die Hand Viktor fuhr fort: Bald darnach kam der Winter. Damals that ich etwas, das Das stiehlt dir aber jetzt der säuerlich! O nein, Ernst; ihn zwingt sein Auge einstweilen noch, anders zu sehen als Und wie weit bist du nun, Viktor? Viktor errötete leicht und sagte: Ich habe mit dein Schreiben noch gar nicht Und dann kommt das Buch heraus bei Cotta in klein Oktav, und auf dem Nein, Ernst! Ich weiß, wem ich das Buch widme, und weiß es nicht. Eben wollte Ernst sagen: Herr, dunkel ist der Rede Sinn! da schnitt ihm Hier sind wir am Unterthor, sagte Ernst als der Ortskundige, nachdem die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0251" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225179"/> <fw type="header" place="top"> Midaskinder</fw><lb/> <p xml:id="ID_818" prev="#ID_817"> lebendigen, seufzenden, sündigenden, sehnenden, liebenden Menschen für mich den<lb/> Beweis ans immer gewann, daß sie nicht wären, wäre nicht der lebendige Gott.</p><lb/> <p xml:id="ID_819"> Ernst faßte still die Hand des Freundes, wie das Landmädchen die Hand<lb/> ihres Liebsten ergreift, und ließ sie eine lange Weile nicht mehr los.</p><lb/> <p xml:id="ID_820"> Viktor fuhr fort: Bald darnach kam der Winter. Damals that ich etwas, das<lb/> auch Franz nicht erfuhr, du bist der erste, der es Hort. Zur Kirche war ich nun<lb/> lange nicht mehr gegangen, aber jetzt hungerte mich darnach. Da entschloß ich mich<lb/> zu einem ersten Kirchgange, an den ich bis zur Todesstunde denken null. Ganz<lb/> abseits von der Universitätsstadt liegt ja das Michelchen, die alte Kapelle über einem<lb/> verlassenen kleinen Friedhofe. Dorthin ging ich spät abends bei einem funkelnden Stern¬<lb/> himmel, der Schnee lag schon hoch. Ich erkletterte die Mauer und ging auf ihr<lb/> hin bis zum Kirchlein. Dort sprang ich hinab und kniete dann auf der Schwelle vor<lb/> der verschlossene» Kapellenpforte und erlebte gute Gedanken; was man Gebet nennt,<lb/> war es nicht, aber es war ein einziges Wallen und Strömen freundlich-frommer<lb/> Gesichte und Gedanken. Ans dem Rückwege zu meiner Klause, über die ver¬<lb/> schneiten Straßen, über die keinen noch ein später Gast ging, faßte ich den Ent¬<lb/> schluß, einmal ein Buch von dem einzelnen Menschen zu schreiben, oder genauer,<lb/> ein Buch von Menschenaugen, vou dem, was da herausschaue, und dem, was dem¬<lb/> zufolge da hineinschaut, ein Buch von der geheimen Liebe und Gegenliebe zwischen<lb/> Seele und Welt, ein Buch von deu Midaskiuderu —</p><lb/> <p xml:id="ID_821"> Das stiehlt dir aber jetzt der säuerlich!</p><lb/> <p xml:id="ID_822"> O nein, Ernst; ihn zwingt sein Auge einstweilen noch, anders zu sehen als<lb/> ich, er schreibt von ganz andern Dingen, als die mich berühren!</p><lb/> <p xml:id="ID_823"> Und wie weit bist du nun, Viktor?</p><lb/> <p xml:id="ID_824"> Viktor errötete leicht und sagte: Ich habe mit dein Schreiben noch gar nicht<lb/> angefangen, aber sobald ich wieder in Haßlach bin, soll es rasch an die Arbeit<lb/> gehen. Mir ist manchmal, wie wenn mein Buch schon fertig vor mir läge; ich<lb/> brauche eigentlich nur das niederzuschreiben, was ich seit zwei und einer halben<lb/> Woche erlebt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_825"> Und dann kommt das Buch heraus bei Cotta in klein Oktav, und auf dem<lb/> Widmuugsblatte steht: „Meinen geliebten Gilderichen, vor allem meinem insonderheit<lb/> geliebten Ernst Pankratius Windisch!"</p><lb/> <p xml:id="ID_826"> Nein, Ernst! Ich weiß, wem ich das Buch widme, und weiß es nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_827"> Eben wollte Ernst sagen: Herr, dunkel ist der Rede Sinn! da schnitt ihm<lb/> der sich ganz unerwartet aufthuende Blick auf An im Winkel das Wort ab. Vou<lb/> Berggehängen herab und aus einer breiten Schlucht heraus zog sich ein altes<lb/> Städtchen in die Ebne. Breite Türme einer alten Zeit stiegen inmitten der Mauer¬<lb/> reste hinauf, und schlanke Türme einer jungen Zeit prangten über den Schiefer¬<lb/> dächern der Kirchen. Ein Wald blühender Apfelbäume zog durch die Felder und<lb/> Gärten und Gärtchen bis an die Schlucht, die an ihrem Teil den Stadtgraben<lb/> vertrat, und dann stiegen die blühenden Bänme wieder von der Schlucht heraus<lb/> zu der Mauer, die hier das Städtchen begrenzte. Aus der Mauer funkelten kleine<lb/> Fenster, und über der Mauer ragten kleine Schornsteine empor, und dünne Rauch-<lb/> Wölkchen stiegen vou den bescheidnen Herden der HinkclSgässer empor, die sich ihre<lb/> Häuslein an die Stadtmauer geklebt hatten und Wäsche oben ans dem breiten<lb/> Mauerraude trockneten, auf dem die Armbrnstschützen vor Alters hinter den Zinnen<lb/> hinausgeschaut und die befiederten Bolzen hinüber in die Gärten und Baumstücke<lb/> gesendet hatten, wo der Feind gedeckt heranschlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_828" next="#ID_829"> Hier sind wir am Unterthor, sagte Ernst als der Ortskundige, nachdem die<lb/> Freunde im Anblick der Stadt in langen Schweigen verharrt hatten. Das kleine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0251]
Midaskinder
lebendigen, seufzenden, sündigenden, sehnenden, liebenden Menschen für mich den
Beweis ans immer gewann, daß sie nicht wären, wäre nicht der lebendige Gott.
Ernst faßte still die Hand des Freundes, wie das Landmädchen die Hand
ihres Liebsten ergreift, und ließ sie eine lange Weile nicht mehr los.
Viktor fuhr fort: Bald darnach kam der Winter. Damals that ich etwas, das
auch Franz nicht erfuhr, du bist der erste, der es Hort. Zur Kirche war ich nun
lange nicht mehr gegangen, aber jetzt hungerte mich darnach. Da entschloß ich mich
zu einem ersten Kirchgange, an den ich bis zur Todesstunde denken null. Ganz
abseits von der Universitätsstadt liegt ja das Michelchen, die alte Kapelle über einem
verlassenen kleinen Friedhofe. Dorthin ging ich spät abends bei einem funkelnden Stern¬
himmel, der Schnee lag schon hoch. Ich erkletterte die Mauer und ging auf ihr
hin bis zum Kirchlein. Dort sprang ich hinab und kniete dann auf der Schwelle vor
der verschlossene» Kapellenpforte und erlebte gute Gedanken; was man Gebet nennt,
war es nicht, aber es war ein einziges Wallen und Strömen freundlich-frommer
Gesichte und Gedanken. Ans dem Rückwege zu meiner Klause, über die ver¬
schneiten Straßen, über die keinen noch ein später Gast ging, faßte ich den Ent¬
schluß, einmal ein Buch von dem einzelnen Menschen zu schreiben, oder genauer,
ein Buch von Menschenaugen, vou dem, was da herausschaue, und dem, was dem¬
zufolge da hineinschaut, ein Buch von der geheimen Liebe und Gegenliebe zwischen
Seele und Welt, ein Buch von deu Midaskiuderu —
Das stiehlt dir aber jetzt der säuerlich!
O nein, Ernst; ihn zwingt sein Auge einstweilen noch, anders zu sehen als
ich, er schreibt von ganz andern Dingen, als die mich berühren!
Und wie weit bist du nun, Viktor?
Viktor errötete leicht und sagte: Ich habe mit dein Schreiben noch gar nicht
angefangen, aber sobald ich wieder in Haßlach bin, soll es rasch an die Arbeit
gehen. Mir ist manchmal, wie wenn mein Buch schon fertig vor mir läge; ich
brauche eigentlich nur das niederzuschreiben, was ich seit zwei und einer halben
Woche erlebt habe.
Und dann kommt das Buch heraus bei Cotta in klein Oktav, und auf dem
Widmuugsblatte steht: „Meinen geliebten Gilderichen, vor allem meinem insonderheit
geliebten Ernst Pankratius Windisch!"
Nein, Ernst! Ich weiß, wem ich das Buch widme, und weiß es nicht.
Eben wollte Ernst sagen: Herr, dunkel ist der Rede Sinn! da schnitt ihm
der sich ganz unerwartet aufthuende Blick auf An im Winkel das Wort ab. Vou
Berggehängen herab und aus einer breiten Schlucht heraus zog sich ein altes
Städtchen in die Ebne. Breite Türme einer alten Zeit stiegen inmitten der Mauer¬
reste hinauf, und schlanke Türme einer jungen Zeit prangten über den Schiefer¬
dächern der Kirchen. Ein Wald blühender Apfelbäume zog durch die Felder und
Gärten und Gärtchen bis an die Schlucht, die an ihrem Teil den Stadtgraben
vertrat, und dann stiegen die blühenden Bänme wieder von der Schlucht heraus
zu der Mauer, die hier das Städtchen begrenzte. Aus der Mauer funkelten kleine
Fenster, und über der Mauer ragten kleine Schornsteine empor, und dünne Rauch-
Wölkchen stiegen vou den bescheidnen Herden der HinkclSgässer empor, die sich ihre
Häuslein an die Stadtmauer geklebt hatten und Wäsche oben ans dem breiten
Mauerraude trockneten, auf dem die Armbrnstschützen vor Alters hinter den Zinnen
hinausgeschaut und die befiederten Bolzen hinüber in die Gärten und Baumstücke
gesendet hatten, wo der Feind gedeckt heranschlich.
Hier sind wir am Unterthor, sagte Ernst als der Ortskundige, nachdem die
Freunde im Anblick der Stadt in langen Schweigen verharrt hatten. Das kleine
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