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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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München und Konstanz

Meine Arbeit am Merkur wurde mir in der ersten Zeit durch den Um¬
stand erleichtert, daß ich, wie die maßgebenden Münchner Herren,*) der kon¬
servativen Richtung huldigte und also in ihrem Sinne handelte, wenn ich
unsrer Fortschrittspartei und ihrem Führer Riecks entgegentrat. Diese Partei
gedachte auf der nächsten Synode ihre beiden Hauptförderungen, die Aufhebung
des Zölibats und die Einführung der deutschen Messe, durchzusetzen, und ich
richtete dagegen (von Ur. 15 des Jahrgangs 1877 ab) fünf Artikel unter der
Überschrift: Vor der Synode. Der damalige Streit hat ja für die heutige
Zeit keine Bedeutung mehr, aber manches von dem, was ich damals geschrieben
habe, dürfte auch in andern Fällen der Erwägung wert sein, ich will deshalb
den letzten Artikel hier mit einigen Kürzungen abschreiben. In den ersten
vier hatte ich zu beweisen gesucht, daß eine bloße Übertragung der lateinischen
Meßgebete ins Deutsche ohne andre durchgreifende Änderungen eine ganz be¬
deutungslose Neuerung sein würde, über die zu streiten gar nicht der Mühe
lohne, daß dagegen zu einer wirklichen Erneuerung des Gottesdienstes im
Sinne des apostolischen Zeitalters die geistigen und geistlichen Kräfte fehlten (in
die heikle Zölibatsfrage hatte ich mich nicht eingelassen). Dann fuhr ich fort:

"Man hat nach einem "frischen Lufthauche" gerufen, der unser Schifflein
fördern soll. Wenn man unter dem frischen Lufthauche den Geist versteht,
der alles Bestehende um und über den Haufen wirft, wenn man, um deutlich
zu sprechen, eine Zunahme unsrer Mitgliederzahl von der Einführung der
deutschen Messe und der Abschaffung des Zölibats erwartet, so täuscht man
sich. Das glauben wir unwiderleglich dargethan zu haben. Es ist aber von
Wichtigkeit, den Grund der Täuschung aufzudecken. Wir stellen uns die Sache
folgendermaßen vor."

"Ein großer Teil der Gebildeten hat einen sehr unvollkommnen Begriff
von der Bedeutung der Religion für das Volksleben und davon, wie tiefe
Wurzeln der Katholizismus in den Herzen geschlagen hat. Der Begriff des
Katholizismus ist aber so eng verwachsen mit dem des Papsttums, daß bis
zum Jahre 1870 nur wenige daran gedacht haben, wie man ein Katholik sein
könne, ohne zugleich Papist zu sein. Niemand hat diese Vermischung mehr ge¬
fördert als die Protestanten, die in ihrer Polemik stets den Papismus gemeint,
den Katholizismus aber genannt und allen Männern, die nicht wütende
Papisten waren, den katholischen Charakter abgesprochen haben. Als nun die
Krisis des Jahres 1870 eintrat, da kam die Aufklärung über den Unterschied
zwischen Katholizismus und Papismus, die drei oder vier Professoren zu ver¬
breiten sich bemühten, viel zu spät. Ein ganzes Volk lernt nicht in sechs



Döllinger, der selbstverständlich dieselbe Richtung vertrat, kam insofern nicht in Betracht,
als er sich offiziell am nltlatholischen Kirchenwesen nicht beteiligte. Ich suchte ihn nur einige¬
mal auf, um mir in litterarischen Sachen Rat bei ihm zu holen. Er war keine imposante Per¬
sönlichkeit, wie ich mir ihn vorgestellt hatte, dafür aber sehr freundlich, gefällig und liebenswürdig.
München und Konstanz

Meine Arbeit am Merkur wurde mir in der ersten Zeit durch den Um¬
stand erleichtert, daß ich, wie die maßgebenden Münchner Herren,*) der kon¬
servativen Richtung huldigte und also in ihrem Sinne handelte, wenn ich
unsrer Fortschrittspartei und ihrem Führer Riecks entgegentrat. Diese Partei
gedachte auf der nächsten Synode ihre beiden Hauptförderungen, die Aufhebung
des Zölibats und die Einführung der deutschen Messe, durchzusetzen, und ich
richtete dagegen (von Ur. 15 des Jahrgangs 1877 ab) fünf Artikel unter der
Überschrift: Vor der Synode. Der damalige Streit hat ja für die heutige
Zeit keine Bedeutung mehr, aber manches von dem, was ich damals geschrieben
habe, dürfte auch in andern Fällen der Erwägung wert sein, ich will deshalb
den letzten Artikel hier mit einigen Kürzungen abschreiben. In den ersten
vier hatte ich zu beweisen gesucht, daß eine bloße Übertragung der lateinischen
Meßgebete ins Deutsche ohne andre durchgreifende Änderungen eine ganz be¬
deutungslose Neuerung sein würde, über die zu streiten gar nicht der Mühe
lohne, daß dagegen zu einer wirklichen Erneuerung des Gottesdienstes im
Sinne des apostolischen Zeitalters die geistigen und geistlichen Kräfte fehlten (in
die heikle Zölibatsfrage hatte ich mich nicht eingelassen). Dann fuhr ich fort:

„Man hat nach einem »frischen Lufthauche« gerufen, der unser Schifflein
fördern soll. Wenn man unter dem frischen Lufthauche den Geist versteht,
der alles Bestehende um und über den Haufen wirft, wenn man, um deutlich
zu sprechen, eine Zunahme unsrer Mitgliederzahl von der Einführung der
deutschen Messe und der Abschaffung des Zölibats erwartet, so täuscht man
sich. Das glauben wir unwiderleglich dargethan zu haben. Es ist aber von
Wichtigkeit, den Grund der Täuschung aufzudecken. Wir stellen uns die Sache
folgendermaßen vor."

„Ein großer Teil der Gebildeten hat einen sehr unvollkommnen Begriff
von der Bedeutung der Religion für das Volksleben und davon, wie tiefe
Wurzeln der Katholizismus in den Herzen geschlagen hat. Der Begriff des
Katholizismus ist aber so eng verwachsen mit dem des Papsttums, daß bis
zum Jahre 1870 nur wenige daran gedacht haben, wie man ein Katholik sein
könne, ohne zugleich Papist zu sein. Niemand hat diese Vermischung mehr ge¬
fördert als die Protestanten, die in ihrer Polemik stets den Papismus gemeint,
den Katholizismus aber genannt und allen Männern, die nicht wütende
Papisten waren, den katholischen Charakter abgesprochen haben. Als nun die
Krisis des Jahres 1870 eintrat, da kam die Aufklärung über den Unterschied
zwischen Katholizismus und Papismus, die drei oder vier Professoren zu ver¬
breiten sich bemühten, viel zu spät. Ein ganzes Volk lernt nicht in sechs



Döllinger, der selbstverständlich dieselbe Richtung vertrat, kam insofern nicht in Betracht,
als er sich offiziell am nltlatholischen Kirchenwesen nicht beteiligte. Ich suchte ihn nur einige¬
mal auf, um mir in litterarischen Sachen Rat bei ihm zu holen. Er war keine imposante Per¬
sönlichkeit, wie ich mir ihn vorgestellt hatte, dafür aber sehr freundlich, gefällig und liebenswürdig.
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[0237] München und Konstanz Meine Arbeit am Merkur wurde mir in der ersten Zeit durch den Um¬ stand erleichtert, daß ich, wie die maßgebenden Münchner Herren,*) der kon¬ servativen Richtung huldigte und also in ihrem Sinne handelte, wenn ich unsrer Fortschrittspartei und ihrem Führer Riecks entgegentrat. Diese Partei gedachte auf der nächsten Synode ihre beiden Hauptförderungen, die Aufhebung des Zölibats und die Einführung der deutschen Messe, durchzusetzen, und ich richtete dagegen (von Ur. 15 des Jahrgangs 1877 ab) fünf Artikel unter der Überschrift: Vor der Synode. Der damalige Streit hat ja für die heutige Zeit keine Bedeutung mehr, aber manches von dem, was ich damals geschrieben habe, dürfte auch in andern Fällen der Erwägung wert sein, ich will deshalb den letzten Artikel hier mit einigen Kürzungen abschreiben. In den ersten vier hatte ich zu beweisen gesucht, daß eine bloße Übertragung der lateinischen Meßgebete ins Deutsche ohne andre durchgreifende Änderungen eine ganz be¬ deutungslose Neuerung sein würde, über die zu streiten gar nicht der Mühe lohne, daß dagegen zu einer wirklichen Erneuerung des Gottesdienstes im Sinne des apostolischen Zeitalters die geistigen und geistlichen Kräfte fehlten (in die heikle Zölibatsfrage hatte ich mich nicht eingelassen). Dann fuhr ich fort: „Man hat nach einem »frischen Lufthauche« gerufen, der unser Schifflein fördern soll. Wenn man unter dem frischen Lufthauche den Geist versteht, der alles Bestehende um und über den Haufen wirft, wenn man, um deutlich zu sprechen, eine Zunahme unsrer Mitgliederzahl von der Einführung der deutschen Messe und der Abschaffung des Zölibats erwartet, so täuscht man sich. Das glauben wir unwiderleglich dargethan zu haben. Es ist aber von Wichtigkeit, den Grund der Täuschung aufzudecken. Wir stellen uns die Sache folgendermaßen vor." „Ein großer Teil der Gebildeten hat einen sehr unvollkommnen Begriff von der Bedeutung der Religion für das Volksleben und davon, wie tiefe Wurzeln der Katholizismus in den Herzen geschlagen hat. Der Begriff des Katholizismus ist aber so eng verwachsen mit dem des Papsttums, daß bis zum Jahre 1870 nur wenige daran gedacht haben, wie man ein Katholik sein könne, ohne zugleich Papist zu sein. Niemand hat diese Vermischung mehr ge¬ fördert als die Protestanten, die in ihrer Polemik stets den Papismus gemeint, den Katholizismus aber genannt und allen Männern, die nicht wütende Papisten waren, den katholischen Charakter abgesprochen haben. Als nun die Krisis des Jahres 1870 eintrat, da kam die Aufklärung über den Unterschied zwischen Katholizismus und Papismus, die drei oder vier Professoren zu ver¬ breiten sich bemühten, viel zu spät. Ein ganzes Volk lernt nicht in sechs Döllinger, der selbstverständlich dieselbe Richtung vertrat, kam insofern nicht in Betracht, als er sich offiziell am nltlatholischen Kirchenwesen nicht beteiligte. Ich suchte ihn nur einige¬ mal auf, um mir in litterarischen Sachen Rat bei ihm zu holen. Er war keine imposante Per¬ sönlichkeit, wie ich mir ihn vorgestellt hatte, dafür aber sehr freundlich, gefällig und liebenswürdig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/237>, abgerufen am 23.07.2024.