Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue ErzÄhlungen

ist nur von einem die Rede, der es über sich gewann, aber auch aus Patrio¬
tismus, sich an die Feinde anzuschließen: Dumouriez, Alle andern fühlen
sich einander immer noch näher als ihnen. Daran könnten wir lernen, wenn
sich so etwas lernen ließe.




Neue Erzählungen

ir machen heute unsre Leser ohne weitere Einleitung zunächst
mit einem sehr hübschen Buche bekannt, das in die Gattung der
landschaftlichen Erzählungen gehört, ohne gerade volkstümlich
zu sein. Das Volk selbst findet an solchen Schilderungen seiner
selbst am wenigsten Gefallen. Jan de Ritter, Erzählung von
P. Stursberg (Bremen, Heinsius) ist für feine, ernste Leser bestimmt und
wird auch anspruchsvollen Menschen genügen. Schon rein formell zeichnet
sich die Erzählung durch einen ebenso einfachen, wie für ihren Gegenstand zu¬
treffenden, beinahe mustergültigen Stil aus. Keine Nachlässigkeit stört uns,
keine Geschmacklosigkeit wird, uns unangenehm. Die Geschichte spielt in Holland,
dessen Natur und Volksart, ohne daß man viel Mühe bemerkt, anschaulich ge¬
schildert wird, und unter kleinen, meist sogar recht kleinen Leuten, deren Leben
ganz eingehend behandelt wird, auch die Schattenseiten davon, ohne daß sich
etwas zu derbes oder unanständiges breit machte. Obwohl nicht schöngemalt
wird, sondern naturgemäß gezeichnet, so wird uns dennoch wohl in dieser Welt
der niedrigen Leute. Kurz, man darf sagen: für den kleinen Lebensausschnitt,
den der Verfasser geben wollte, hätte sich gar keine hübschere Form finden
lassen.

Die Geschichte ist ungemein einfach. Jan de Ritter ist der junge Kutscher,
Diener und Gärtner bei einem alten Doktorspaar, das zurückgezogen in einer
Gartenvilla vor dem Dorfe wohnt. Er hat viele gute Eigenschaften, aber er
ist nicht ganz sest gegen das Laster der Männer des Landes, den Trunk, und
bisweilen kommt es darum zwischen seinem Herrn und ihm zu Auftritten, von
denen einer einmal der letzte sein könnte. Dann wäre er dem Verderben aus¬
geliefert, denn sein Vater ist ein alter, halb blödsinniger Trunkenbold. Von
dem hat ers! sagt die beinahe ebenso einfältige Mutter, wenn sie in ihrer
Hütte im Dorfe von einer neue" Übertretung ihres Jan hört. Nun heiratet
dieser unsichere Lebensgefährte aber noch außerdem ein sehr wohlhabendes
Bauermädchen, das bei Doktors dient und sich trotz der Unart des Burschen


Neue ErzÄhlungen

ist nur von einem die Rede, der es über sich gewann, aber auch aus Patrio¬
tismus, sich an die Feinde anzuschließen: Dumouriez, Alle andern fühlen
sich einander immer noch näher als ihnen. Daran könnten wir lernen, wenn
sich so etwas lernen ließe.




Neue Erzählungen

ir machen heute unsre Leser ohne weitere Einleitung zunächst
mit einem sehr hübschen Buche bekannt, das in die Gattung der
landschaftlichen Erzählungen gehört, ohne gerade volkstümlich
zu sein. Das Volk selbst findet an solchen Schilderungen seiner
selbst am wenigsten Gefallen. Jan de Ritter, Erzählung von
P. Stursberg (Bremen, Heinsius) ist für feine, ernste Leser bestimmt und
wird auch anspruchsvollen Menschen genügen. Schon rein formell zeichnet
sich die Erzählung durch einen ebenso einfachen, wie für ihren Gegenstand zu¬
treffenden, beinahe mustergültigen Stil aus. Keine Nachlässigkeit stört uns,
keine Geschmacklosigkeit wird, uns unangenehm. Die Geschichte spielt in Holland,
dessen Natur und Volksart, ohne daß man viel Mühe bemerkt, anschaulich ge¬
schildert wird, und unter kleinen, meist sogar recht kleinen Leuten, deren Leben
ganz eingehend behandelt wird, auch die Schattenseiten davon, ohne daß sich
etwas zu derbes oder unanständiges breit machte. Obwohl nicht schöngemalt
wird, sondern naturgemäß gezeichnet, so wird uns dennoch wohl in dieser Welt
der niedrigen Leute. Kurz, man darf sagen: für den kleinen Lebensausschnitt,
den der Verfasser geben wollte, hätte sich gar keine hübschere Form finden
lassen.

Die Geschichte ist ungemein einfach. Jan de Ritter ist der junge Kutscher,
Diener und Gärtner bei einem alten Doktorspaar, das zurückgezogen in einer
Gartenvilla vor dem Dorfe wohnt. Er hat viele gute Eigenschaften, aber er
ist nicht ganz sest gegen das Laster der Männer des Landes, den Trunk, und
bisweilen kommt es darum zwischen seinem Herrn und ihm zu Auftritten, von
denen einer einmal der letzte sein könnte. Dann wäre er dem Verderben aus¬
geliefert, denn sein Vater ist ein alter, halb blödsinniger Trunkenbold. Von
dem hat ers! sagt die beinahe ebenso einfältige Mutter, wenn sie in ihrer
Hütte im Dorfe von einer neue» Übertretung ihres Jan hört. Nun heiratet
dieser unsichere Lebensgefährte aber noch außerdem ein sehr wohlhabendes
Bauermädchen, das bei Doktors dient und sich trotz der Unart des Burschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225124"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue ErzÄhlungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_624" prev="#ID_623"> ist nur von einem die Rede, der es über sich gewann, aber auch aus Patrio¬<lb/>
tismus, sich an die Feinde anzuschließen: Dumouriez, Alle andern fühlen<lb/>
sich einander immer noch näher als ihnen. Daran könnten wir lernen, wenn<lb/>
sich so etwas lernen ließe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Erzählungen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_625"> ir machen heute unsre Leser ohne weitere Einleitung zunächst<lb/>
mit einem sehr hübschen Buche bekannt, das in die Gattung der<lb/>
landschaftlichen Erzählungen gehört, ohne gerade volkstümlich<lb/>
zu sein. Das Volk selbst findet an solchen Schilderungen seiner<lb/>
selbst am wenigsten Gefallen. Jan de Ritter, Erzählung von<lb/>
P. Stursberg (Bremen, Heinsius) ist für feine, ernste Leser bestimmt und<lb/>
wird auch anspruchsvollen Menschen genügen. Schon rein formell zeichnet<lb/>
sich die Erzählung durch einen ebenso einfachen, wie für ihren Gegenstand zu¬<lb/>
treffenden, beinahe mustergültigen Stil aus. Keine Nachlässigkeit stört uns,<lb/>
keine Geschmacklosigkeit wird, uns unangenehm. Die Geschichte spielt in Holland,<lb/>
dessen Natur und Volksart, ohne daß man viel Mühe bemerkt, anschaulich ge¬<lb/>
schildert wird, und unter kleinen, meist sogar recht kleinen Leuten, deren Leben<lb/>
ganz eingehend behandelt wird, auch die Schattenseiten davon, ohne daß sich<lb/>
etwas zu derbes oder unanständiges breit machte. Obwohl nicht schöngemalt<lb/>
wird, sondern naturgemäß gezeichnet, so wird uns dennoch wohl in dieser Welt<lb/>
der niedrigen Leute. Kurz, man darf sagen: für den kleinen Lebensausschnitt,<lb/>
den der Verfasser geben wollte, hätte sich gar keine hübschere Form finden<lb/>
lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_626" next="#ID_627"> Die Geschichte ist ungemein einfach. Jan de Ritter ist der junge Kutscher,<lb/>
Diener und Gärtner bei einem alten Doktorspaar, das zurückgezogen in einer<lb/>
Gartenvilla vor dem Dorfe wohnt. Er hat viele gute Eigenschaften, aber er<lb/>
ist nicht ganz sest gegen das Laster der Männer des Landes, den Trunk, und<lb/>
bisweilen kommt es darum zwischen seinem Herrn und ihm zu Auftritten, von<lb/>
denen einer einmal der letzte sein könnte. Dann wäre er dem Verderben aus¬<lb/>
geliefert, denn sein Vater ist ein alter, halb blödsinniger Trunkenbold. Von<lb/>
dem hat ers! sagt die beinahe ebenso einfältige Mutter, wenn sie in ihrer<lb/>
Hütte im Dorfe von einer neue» Übertretung ihres Jan hört. Nun heiratet<lb/>
dieser unsichere Lebensgefährte aber noch außerdem ein sehr wohlhabendes<lb/>
Bauermädchen, das bei Doktors dient und sich trotz der Unart des Burschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] Neue ErzÄhlungen ist nur von einem die Rede, der es über sich gewann, aber auch aus Patrio¬ tismus, sich an die Feinde anzuschließen: Dumouriez, Alle andern fühlen sich einander immer noch näher als ihnen. Daran könnten wir lernen, wenn sich so etwas lernen ließe. Neue Erzählungen ir machen heute unsre Leser ohne weitere Einleitung zunächst mit einem sehr hübschen Buche bekannt, das in die Gattung der landschaftlichen Erzählungen gehört, ohne gerade volkstümlich zu sein. Das Volk selbst findet an solchen Schilderungen seiner selbst am wenigsten Gefallen. Jan de Ritter, Erzählung von P. Stursberg (Bremen, Heinsius) ist für feine, ernste Leser bestimmt und wird auch anspruchsvollen Menschen genügen. Schon rein formell zeichnet sich die Erzählung durch einen ebenso einfachen, wie für ihren Gegenstand zu¬ treffenden, beinahe mustergültigen Stil aus. Keine Nachlässigkeit stört uns, keine Geschmacklosigkeit wird, uns unangenehm. Die Geschichte spielt in Holland, dessen Natur und Volksart, ohne daß man viel Mühe bemerkt, anschaulich ge¬ schildert wird, und unter kleinen, meist sogar recht kleinen Leuten, deren Leben ganz eingehend behandelt wird, auch die Schattenseiten davon, ohne daß sich etwas zu derbes oder unanständiges breit machte. Obwohl nicht schöngemalt wird, sondern naturgemäß gezeichnet, so wird uns dennoch wohl in dieser Welt der niedrigen Leute. Kurz, man darf sagen: für den kleinen Lebensausschnitt, den der Verfasser geben wollte, hätte sich gar keine hübschere Form finden lassen. Die Geschichte ist ungemein einfach. Jan de Ritter ist der junge Kutscher, Diener und Gärtner bei einem alten Doktorspaar, das zurückgezogen in einer Gartenvilla vor dem Dorfe wohnt. Er hat viele gute Eigenschaften, aber er ist nicht ganz sest gegen das Laster der Männer des Landes, den Trunk, und bisweilen kommt es darum zwischen seinem Herrn und ihm zu Auftritten, von denen einer einmal der letzte sein könnte. Dann wäre er dem Verderben aus¬ geliefert, denn sein Vater ist ein alter, halb blödsinniger Trunkenbold. Von dem hat ers! sagt die beinahe ebenso einfältige Mutter, wenn sie in ihrer Hütte im Dorfe von einer neue» Übertretung ihres Jan hört. Nun heiratet dieser unsichere Lebensgefährte aber noch außerdem ein sehr wohlhabendes Bauermädchen, das bei Doktors dient und sich trotz der Unart des Burschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/196>, abgerufen am 23.07.2024.