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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Die Aompetenzerweiternug der Amtsgerichte

sondern um Summen, die für viele ein Kapital bilden, um Streitigkeiten, deren
Ausgang, wie auf dem Anwaltstage mit Recht betont wurde, für die ärmern
Parteien meist eine Lebensfrage ist.

Nun stünde ja an sich nichts im Wege, die amtsgerichtliche Rechtsprechung
über die Grenzen des Bagatellprozesses auszudehnen und zur eigentlichen
Grundlage unsrer Justiz zu machen, vorausgesetzt, daß sie sich wirklich als ge¬
eignet dazu erwiesen hätte. Kann aber wirklich ein so bedeutender weiterer
Teil aller Prozeßsachen den Schutz der kollegialen Rechtsprechung entbehren?
Das ist die Frage, um die es sich hier vor allem handelt. Die deutsche An¬
waltschaft hat gerade das einmütig verneint, und sie dürfte hierüber doch viel¬
leicht das unparteiischste und zuverlässigste Urteil haben. Wer nähere Be¬
gründung wünscht, möge die Angaben in den Verhandlungen des Anwaltstages
nachlesen, die aus der Erfahrung namentlich bei den kleinen Amtsgerichten
geschöpft sind. Gegen Fehler, wie sie dem Einzelrichter natürlich leichter be¬
gegnen als dem Kollegialgericht, bietet auch die Berufung keinen genügenden
Schutz, denn es ist, wie man mit Recht gesagt hat, eine Eigentümlichkeit unsers
Zivilprozeßverfahrens, daß es vortrefflich ist, solange Richter und Anwälte
richtig Verfahren, daß aber, wenn ein Fehler begangen worden ist, die Sache
oft gar nicht wieder einzurenken ist. Zudem gilt aber gerade die Berufungs¬
thätigkeit der Landgerichte für ihre schwächste Seite. Jedenfalls ist sie der
der Oberlandsgerichte nicht ebenbürtig, die in manchen Bezirken ein Ansehen
genießen, das dem des Reichsgerichts nicht nachsteht. Ein Anhänger der
Kompetenzerweiterung (Peiser in der Deutschen Juristenzeitung 1896, S. 358)
sagt, es werde in Anwaltskreisen "ganz offen erklärt, der wundeste Punkt der
amtsgerichtlicheu Rechtsprechung sei in der mangelhaften Bernfungsrecht-
sprechung zu finden." Man mache den Landgerichten zu große Abneigung
gegen Beweiserhebungen zum Vorwurf; die Vorzüge einer prompter Justiz
dürften aber nicht durch ein langes Berufungsverfahreu wieder in Frage ge¬
stellt werden. Diese Auffassung würde also dahin führen, das Ideal der
Rechtspflege in maschinenmäßig schneller "Erledigung" von so und so viel
"Nummern" zu sehen, gleichviel, ob im Interesse der "Promptheit" über
wichtige Punkte hinweggegangen wird.

Es würde ferner aber nicht nur die Thätigkeit der Oberlandesgerichte
eingeschränkt werden, sondern auch die der Kammern für Handelssachen, deren
Ersatz durch Amtsgericht und Zivilkammer bei den zahlreichen Handelssachen
in den größern Städten allseitig bedauert werden würde. Bei ihnen hat
der Gedanke, daß das Laienelement bei der Rechtspflege mitzuwirken habe,
eine so glückliche Lösung gefunden, daß ihre Schmälerung zu allerletzt zu
wünschen wäre.

Von der Einwirkung, die die Änderung auf unsre gesamte Justizorgani¬
sation haben würde, macht man sich überhaupt schwer eine genügende Vor-


Die Aompetenzerweiternug der Amtsgerichte

sondern um Summen, die für viele ein Kapital bilden, um Streitigkeiten, deren
Ausgang, wie auf dem Anwaltstage mit Recht betont wurde, für die ärmern
Parteien meist eine Lebensfrage ist.

Nun stünde ja an sich nichts im Wege, die amtsgerichtliche Rechtsprechung
über die Grenzen des Bagatellprozesses auszudehnen und zur eigentlichen
Grundlage unsrer Justiz zu machen, vorausgesetzt, daß sie sich wirklich als ge¬
eignet dazu erwiesen hätte. Kann aber wirklich ein so bedeutender weiterer
Teil aller Prozeßsachen den Schutz der kollegialen Rechtsprechung entbehren?
Das ist die Frage, um die es sich hier vor allem handelt. Die deutsche An¬
waltschaft hat gerade das einmütig verneint, und sie dürfte hierüber doch viel¬
leicht das unparteiischste und zuverlässigste Urteil haben. Wer nähere Be¬
gründung wünscht, möge die Angaben in den Verhandlungen des Anwaltstages
nachlesen, die aus der Erfahrung namentlich bei den kleinen Amtsgerichten
geschöpft sind. Gegen Fehler, wie sie dem Einzelrichter natürlich leichter be¬
gegnen als dem Kollegialgericht, bietet auch die Berufung keinen genügenden
Schutz, denn es ist, wie man mit Recht gesagt hat, eine Eigentümlichkeit unsers
Zivilprozeßverfahrens, daß es vortrefflich ist, solange Richter und Anwälte
richtig Verfahren, daß aber, wenn ein Fehler begangen worden ist, die Sache
oft gar nicht wieder einzurenken ist. Zudem gilt aber gerade die Berufungs¬
thätigkeit der Landgerichte für ihre schwächste Seite. Jedenfalls ist sie der
der Oberlandsgerichte nicht ebenbürtig, die in manchen Bezirken ein Ansehen
genießen, das dem des Reichsgerichts nicht nachsteht. Ein Anhänger der
Kompetenzerweiterung (Peiser in der Deutschen Juristenzeitung 1896, S. 358)
sagt, es werde in Anwaltskreisen „ganz offen erklärt, der wundeste Punkt der
amtsgerichtlicheu Rechtsprechung sei in der mangelhaften Bernfungsrecht-
sprechung zu finden." Man mache den Landgerichten zu große Abneigung
gegen Beweiserhebungen zum Vorwurf; die Vorzüge einer prompter Justiz
dürften aber nicht durch ein langes Berufungsverfahreu wieder in Frage ge¬
stellt werden. Diese Auffassung würde also dahin führen, das Ideal der
Rechtspflege in maschinenmäßig schneller „Erledigung" von so und so viel
„Nummern" zu sehen, gleichviel, ob im Interesse der „Promptheit" über
wichtige Punkte hinweggegangen wird.

Es würde ferner aber nicht nur die Thätigkeit der Oberlandesgerichte
eingeschränkt werden, sondern auch die der Kammern für Handelssachen, deren
Ersatz durch Amtsgericht und Zivilkammer bei den zahlreichen Handelssachen
in den größern Städten allseitig bedauert werden würde. Bei ihnen hat
der Gedanke, daß das Laienelement bei der Rechtspflege mitzuwirken habe,
eine so glückliche Lösung gefunden, daß ihre Schmälerung zu allerletzt zu
wünschen wäre.

Von der Einwirkung, die die Änderung auf unsre gesamte Justizorgani¬
sation haben würde, macht man sich überhaupt schwer eine genügende Vor-


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[0146] Die Aompetenzerweiternug der Amtsgerichte sondern um Summen, die für viele ein Kapital bilden, um Streitigkeiten, deren Ausgang, wie auf dem Anwaltstage mit Recht betont wurde, für die ärmern Parteien meist eine Lebensfrage ist. Nun stünde ja an sich nichts im Wege, die amtsgerichtliche Rechtsprechung über die Grenzen des Bagatellprozesses auszudehnen und zur eigentlichen Grundlage unsrer Justiz zu machen, vorausgesetzt, daß sie sich wirklich als ge¬ eignet dazu erwiesen hätte. Kann aber wirklich ein so bedeutender weiterer Teil aller Prozeßsachen den Schutz der kollegialen Rechtsprechung entbehren? Das ist die Frage, um die es sich hier vor allem handelt. Die deutsche An¬ waltschaft hat gerade das einmütig verneint, und sie dürfte hierüber doch viel¬ leicht das unparteiischste und zuverlässigste Urteil haben. Wer nähere Be¬ gründung wünscht, möge die Angaben in den Verhandlungen des Anwaltstages nachlesen, die aus der Erfahrung namentlich bei den kleinen Amtsgerichten geschöpft sind. Gegen Fehler, wie sie dem Einzelrichter natürlich leichter be¬ gegnen als dem Kollegialgericht, bietet auch die Berufung keinen genügenden Schutz, denn es ist, wie man mit Recht gesagt hat, eine Eigentümlichkeit unsers Zivilprozeßverfahrens, daß es vortrefflich ist, solange Richter und Anwälte richtig Verfahren, daß aber, wenn ein Fehler begangen worden ist, die Sache oft gar nicht wieder einzurenken ist. Zudem gilt aber gerade die Berufungs¬ thätigkeit der Landgerichte für ihre schwächste Seite. Jedenfalls ist sie der der Oberlandsgerichte nicht ebenbürtig, die in manchen Bezirken ein Ansehen genießen, das dem des Reichsgerichts nicht nachsteht. Ein Anhänger der Kompetenzerweiterung (Peiser in der Deutschen Juristenzeitung 1896, S. 358) sagt, es werde in Anwaltskreisen „ganz offen erklärt, der wundeste Punkt der amtsgerichtlicheu Rechtsprechung sei in der mangelhaften Bernfungsrecht- sprechung zu finden." Man mache den Landgerichten zu große Abneigung gegen Beweiserhebungen zum Vorwurf; die Vorzüge einer prompter Justiz dürften aber nicht durch ein langes Berufungsverfahreu wieder in Frage ge¬ stellt werden. Diese Auffassung würde also dahin führen, das Ideal der Rechtspflege in maschinenmäßig schneller „Erledigung" von so und so viel „Nummern" zu sehen, gleichviel, ob im Interesse der „Promptheit" über wichtige Punkte hinweggegangen wird. Es würde ferner aber nicht nur die Thätigkeit der Oberlandesgerichte eingeschränkt werden, sondern auch die der Kammern für Handelssachen, deren Ersatz durch Amtsgericht und Zivilkammer bei den zahlreichen Handelssachen in den größern Städten allseitig bedauert werden würde. Bei ihnen hat der Gedanke, daß das Laienelement bei der Rechtspflege mitzuwirken habe, eine so glückliche Lösung gefunden, daß ihre Schmälerung zu allerletzt zu wünschen wäre. Von der Einwirkung, die die Änderung auf unsre gesamte Justizorgani¬ sation haben würde, macht man sich überhaupt schwer eine genügende Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/146>, abgerufen am 23.07.2024.