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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei

malten, im großen Halbwagen sitzend und selbst das mächtige Schimmelgespann
lenkend, gesehen. Sie haben mit Hüten und Tüchern gewinkt, der Sultan hat
freundlich hinaufgenickt zu den Fenstern des für fremde Zuschauer errichteten
Pavillons und ihnen dann durch einen goldbetreßten Kammerherrn seine kaiser¬
lichen Grüße und gleichzeitig eine Tasse Thee und herrliche Cigaretten, mit¬
unter für diesen und jenen sogar einen Medjidjeorden vierter Klasse überreichen
lassen. Das alles giebt es für einen einfachen Paradebummler wo anders
nicht, und darum ist man entzückt von dem liebenswürdigen Herrscher der
Mnselmünner. Mancher Künstler oder Gelehrte hatte am Ende auch noch die
Ehre einer persönlichen Audienz, einer langen Unterhaltung mit dem Gro߬
herrn, deren Verlauf einem Zeitungsreporter mitzuteilen ja stets von besondern!
Reize ist. Immer sind sie des Lobes voll über den erleuchteten, aufgeklärten
Padischcch, der so kluge Gespräche geführt, ein so großes Wissen, so gediegne
Bildung dabei verraten und zum Schlüsse sogar versichert hat, daß ihm nichts
mehr am Herzen liege, als sein Reich dem Abendlande gleich zu machen, und
daß die Reformen in vollem Gange seien. Solche Audienzen von mehr oder
weniger berühmten Ausländern tragen viel dazu bei, das falsche Bild noch zu
befestigen, das man sich in Europa von Abdul Hamid gemacht hat. Das weiß
er sehr wohl, und er wird sich natürlich hüten, seinen günstigen Ruf selbst zu
zerstören. Im persönlichen Verkehr mit Ausländern ist er daher von ge¬
winnender Liebenswürdigkeit, und namentlich die Botschafter sucht er sich durch
ausgesucht höfliches Wesen zu verpflichten. Aber sein Verhalten ist keineswegs
aufrichtig, es foll ihm nur dazu dienen, daß er thun und lassen kann, was
er will. Die Thatsachen aber sprechen nur zu deutlich dafür, daß der Einfluß
der europäischen Vertreter am Goldner Horn ganz illusorisch ist. Sie alle
lassen sich immer noch von dem schlauen Intriganten im Indiz Kiosk täuschen,
sie glauben seinen Versicherungen und denken immer noch, dnrch ihn etwas
erreichen zu können. Kommen irgend welche streitigen Fälle, dann verspricht
der Sultan alles, was von ihm verlangt wird, und die sich "versammelnden"
Botschafter glauben, etwas erreicht zu haben. Es entgeht ihnen aber, daß
Effendimis schon lange alle Anordnungen getroffen hat, um im Geheimen seine
Befehle zu widerrufen.

Es liegt ein gewisser Hohn in der Art, wie der Sultan mit den Mächten
umspringt. Aber was kann ihm denn geschehen? In der Zwietracht der six
iiQMisWNLW wurzelt seine Kraft. Und die Diplomatie am Goldner Horn muß
verlogen sein, sonst würde sie sehr bald den Konflikt heraufbeschwören. Sie
muß eben glauben, was ihr der Sultan sagt. Solange dieser Diplomat xg,r
öxvölleiuzs auf dem osmanischen Throne sitzt, ist an eine Lösung der orien¬
talischen Frage nicht zu denken.

Das etwa sind nach Küntzers Ansicht der Charakter des jetzigen Sultans
und die Ursachen der jetzigen Zustände in der Türkei. An Reformen darf


Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei

malten, im großen Halbwagen sitzend und selbst das mächtige Schimmelgespann
lenkend, gesehen. Sie haben mit Hüten und Tüchern gewinkt, der Sultan hat
freundlich hinaufgenickt zu den Fenstern des für fremde Zuschauer errichteten
Pavillons und ihnen dann durch einen goldbetreßten Kammerherrn seine kaiser¬
lichen Grüße und gleichzeitig eine Tasse Thee und herrliche Cigaretten, mit¬
unter für diesen und jenen sogar einen Medjidjeorden vierter Klasse überreichen
lassen. Das alles giebt es für einen einfachen Paradebummler wo anders
nicht, und darum ist man entzückt von dem liebenswürdigen Herrscher der
Mnselmünner. Mancher Künstler oder Gelehrte hatte am Ende auch noch die
Ehre einer persönlichen Audienz, einer langen Unterhaltung mit dem Gro߬
herrn, deren Verlauf einem Zeitungsreporter mitzuteilen ja stets von besondern!
Reize ist. Immer sind sie des Lobes voll über den erleuchteten, aufgeklärten
Padischcch, der so kluge Gespräche geführt, ein so großes Wissen, so gediegne
Bildung dabei verraten und zum Schlüsse sogar versichert hat, daß ihm nichts
mehr am Herzen liege, als sein Reich dem Abendlande gleich zu machen, und
daß die Reformen in vollem Gange seien. Solche Audienzen von mehr oder
weniger berühmten Ausländern tragen viel dazu bei, das falsche Bild noch zu
befestigen, das man sich in Europa von Abdul Hamid gemacht hat. Das weiß
er sehr wohl, und er wird sich natürlich hüten, seinen günstigen Ruf selbst zu
zerstören. Im persönlichen Verkehr mit Ausländern ist er daher von ge¬
winnender Liebenswürdigkeit, und namentlich die Botschafter sucht er sich durch
ausgesucht höfliches Wesen zu verpflichten. Aber sein Verhalten ist keineswegs
aufrichtig, es foll ihm nur dazu dienen, daß er thun und lassen kann, was
er will. Die Thatsachen aber sprechen nur zu deutlich dafür, daß der Einfluß
der europäischen Vertreter am Goldner Horn ganz illusorisch ist. Sie alle
lassen sich immer noch von dem schlauen Intriganten im Indiz Kiosk täuschen,
sie glauben seinen Versicherungen und denken immer noch, dnrch ihn etwas
erreichen zu können. Kommen irgend welche streitigen Fälle, dann verspricht
der Sultan alles, was von ihm verlangt wird, und die sich „versammelnden"
Botschafter glauben, etwas erreicht zu haben. Es entgeht ihnen aber, daß
Effendimis schon lange alle Anordnungen getroffen hat, um im Geheimen seine
Befehle zu widerrufen.

Es liegt ein gewisser Hohn in der Art, wie der Sultan mit den Mächten
umspringt. Aber was kann ihm denn geschehen? In der Zwietracht der six
iiQMisWNLW wurzelt seine Kraft. Und die Diplomatie am Goldner Horn muß
verlogen sein, sonst würde sie sehr bald den Konflikt heraufbeschwören. Sie
muß eben glauben, was ihr der Sultan sagt. Solange dieser Diplomat xg,r
öxvölleiuzs auf dem osmanischen Throne sitzt, ist an eine Lösung der orien¬
talischen Frage nicht zu denken.

Das etwa sind nach Küntzers Ansicht der Charakter des jetzigen Sultans
und die Ursachen der jetzigen Zustände in der Türkei. An Reformen darf


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[0135] Abdul Hamid II. und die Reformen in der Türkei malten, im großen Halbwagen sitzend und selbst das mächtige Schimmelgespann lenkend, gesehen. Sie haben mit Hüten und Tüchern gewinkt, der Sultan hat freundlich hinaufgenickt zu den Fenstern des für fremde Zuschauer errichteten Pavillons und ihnen dann durch einen goldbetreßten Kammerherrn seine kaiser¬ lichen Grüße und gleichzeitig eine Tasse Thee und herrliche Cigaretten, mit¬ unter für diesen und jenen sogar einen Medjidjeorden vierter Klasse überreichen lassen. Das alles giebt es für einen einfachen Paradebummler wo anders nicht, und darum ist man entzückt von dem liebenswürdigen Herrscher der Mnselmünner. Mancher Künstler oder Gelehrte hatte am Ende auch noch die Ehre einer persönlichen Audienz, einer langen Unterhaltung mit dem Gro߬ herrn, deren Verlauf einem Zeitungsreporter mitzuteilen ja stets von besondern! Reize ist. Immer sind sie des Lobes voll über den erleuchteten, aufgeklärten Padischcch, der so kluge Gespräche geführt, ein so großes Wissen, so gediegne Bildung dabei verraten und zum Schlüsse sogar versichert hat, daß ihm nichts mehr am Herzen liege, als sein Reich dem Abendlande gleich zu machen, und daß die Reformen in vollem Gange seien. Solche Audienzen von mehr oder weniger berühmten Ausländern tragen viel dazu bei, das falsche Bild noch zu befestigen, das man sich in Europa von Abdul Hamid gemacht hat. Das weiß er sehr wohl, und er wird sich natürlich hüten, seinen günstigen Ruf selbst zu zerstören. Im persönlichen Verkehr mit Ausländern ist er daher von ge¬ winnender Liebenswürdigkeit, und namentlich die Botschafter sucht er sich durch ausgesucht höfliches Wesen zu verpflichten. Aber sein Verhalten ist keineswegs aufrichtig, es foll ihm nur dazu dienen, daß er thun und lassen kann, was er will. Die Thatsachen aber sprechen nur zu deutlich dafür, daß der Einfluß der europäischen Vertreter am Goldner Horn ganz illusorisch ist. Sie alle lassen sich immer noch von dem schlauen Intriganten im Indiz Kiosk täuschen, sie glauben seinen Versicherungen und denken immer noch, dnrch ihn etwas erreichen zu können. Kommen irgend welche streitigen Fälle, dann verspricht der Sultan alles, was von ihm verlangt wird, und die sich „versammelnden" Botschafter glauben, etwas erreicht zu haben. Es entgeht ihnen aber, daß Effendimis schon lange alle Anordnungen getroffen hat, um im Geheimen seine Befehle zu widerrufen. Es liegt ein gewisser Hohn in der Art, wie der Sultan mit den Mächten umspringt. Aber was kann ihm denn geschehen? In der Zwietracht der six iiQMisWNLW wurzelt seine Kraft. Und die Diplomatie am Goldner Horn muß verlogen sein, sonst würde sie sehr bald den Konflikt heraufbeschwören. Sie muß eben glauben, was ihr der Sultan sagt. Solange dieser Diplomat xg,r öxvölleiuzs auf dem osmanischen Throne sitzt, ist an eine Lösung der orien¬ talischen Frage nicht zu denken. Das etwa sind nach Küntzers Ansicht der Charakter des jetzigen Sultans und die Ursachen der jetzigen Zustände in der Türkei. An Reformen darf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/135>, abgerufen am 23.07.2024.