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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Abdlll Hamid II. und die Reformen in der Türkei

er mit dem Siege des Despoten; Nbdul Hamid II. ist jetzt dank seines un¬
gemein diplomatischen Geschicks und seiner hervorragenden Fähigkeiten mehr,
als es irgend einer seiner Vorgänger war, der unumschränkte Heer über sein
Volk, trotz der Reformpartei, trotz der Signaturmächte, die von den Levcmtinern
schon lange die six ilnxuiZLiweW genannt werden. In den ersten Zeiten seiner
Negierung findet man nun allerdings manche Ansätze zu Reformen, und daraus
hat man eben jene Schlußfolgerung gezogen, daß der Sultan Reformen gewollt
habe, aber unfähig gewesen sei, sie durchzuführen. Aber er hat damals nur
mit den Wölfen heulen müssen. Die wahre Ursache jener Reformfreundlichkcit
war, daß sich der Sultan noch zu schwach fühlte, es fehlte ihm noch an den
willenlosen Werkzeugen, um heimlich das zu hintertreiben, was er offiziell an¬
ordnen mußte. Er betrachtete es nun als seine Lebensaufgabe, sich einen
Beamtenstand zu schaffen, der keine eigne Ansicht hatte, der willenlos und blind¬
lings das that, was er befahl. Wenn schon in modernen Staatswesen willens¬
kräftige und zugleich ehrgeizige Herrscher und willcnskräftigc, selbständige Staats¬
diener nicht zu einander Passen, um wieviel gefährlicher müssen einem Despoten
auf schwankendem Throne geistig hervorragende Unterthanen scheinen! So war
es denn von vornherein Abdul Hamids Streben, alles zu unterdrücken und zu
beseitigen, was sich irgendwie auszeichnete, und durch willenlose Werkzeuge zu
ersetzen. Dieses Streben trat schon zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt
zutage. Im russisch-türkischen Kriege waren die Türken anfangs siegreich.
Siegreiche Feldherren aber waren und sind dem in steter Sorge um seinen
Thron lebenden Sultan ein Greuel, er vernichtete ihre Erfolge durch will¬
kürliches Eingreifen in die Operationen und durch öftern Wechsel der Höchst-
kommandirenden. "Wirklich wohl war ihm erst, als die Russen vor den
Thoren seiner Hauptstadt standen, während gleichzeitig die englische Flotte
bei Prinkipo vor Anker ging. Nun konnte ihm nichts mehr begegnen, denn
von den beiden europäischen Großmächten hielt die eine die andre im Zaume,
und von der eignen demoralisirten Armee hatte er erst recht nichts zu be¬
fürchten." Ein grelles Schlaglicht wirft auf den Charakter und die politische
Art des Sultans der Umstand, daß er alle hervorragenden Persönlichkeiten
dieses Krieges nach und nach aus dem öffentlichen Leben entfernt hat. Osman,
Fuad und Mukhtar Pascha genießen zwar alle äußern Ehren, aber sie sind
Privatleute geworden. Im Gegensatz zu ihrer Laufbahn steht die des heutigen
Marineministers. Er hat sich bei allen Kabinetswechseln auf seinem Posten ge¬
halten, denn er hat die Absichten seines Herrn verstanden. Murad V. war durch
eine Flottendemonstration zur Abdankung gezwungen worden. Etwas derartiges
durfte sich nicht wiederholen, und so wurde denn durch den Marineminister die
Flotte planmäßig zu rascher Thätigkeit unfähig gemacht. Äußerlich sind die
Schiffe gut gehalten, aber überall fehlt etwas, sodciß kein einziges Kriegsschiff
sofort in See gehen kann: hier ein Kessel, dort ein Schornstein, bei einem


Abdlll Hamid II. und die Reformen in der Türkei

er mit dem Siege des Despoten; Nbdul Hamid II. ist jetzt dank seines un¬
gemein diplomatischen Geschicks und seiner hervorragenden Fähigkeiten mehr,
als es irgend einer seiner Vorgänger war, der unumschränkte Heer über sein
Volk, trotz der Reformpartei, trotz der Signaturmächte, die von den Levcmtinern
schon lange die six ilnxuiZLiweW genannt werden. In den ersten Zeiten seiner
Negierung findet man nun allerdings manche Ansätze zu Reformen, und daraus
hat man eben jene Schlußfolgerung gezogen, daß der Sultan Reformen gewollt
habe, aber unfähig gewesen sei, sie durchzuführen. Aber er hat damals nur
mit den Wölfen heulen müssen. Die wahre Ursache jener Reformfreundlichkcit
war, daß sich der Sultan noch zu schwach fühlte, es fehlte ihm noch an den
willenlosen Werkzeugen, um heimlich das zu hintertreiben, was er offiziell an¬
ordnen mußte. Er betrachtete es nun als seine Lebensaufgabe, sich einen
Beamtenstand zu schaffen, der keine eigne Ansicht hatte, der willenlos und blind¬
lings das that, was er befahl. Wenn schon in modernen Staatswesen willens¬
kräftige und zugleich ehrgeizige Herrscher und willcnskräftigc, selbständige Staats¬
diener nicht zu einander Passen, um wieviel gefährlicher müssen einem Despoten
auf schwankendem Throne geistig hervorragende Unterthanen scheinen! So war
es denn von vornherein Abdul Hamids Streben, alles zu unterdrücken und zu
beseitigen, was sich irgendwie auszeichnete, und durch willenlose Werkzeuge zu
ersetzen. Dieses Streben trat schon zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt
zutage. Im russisch-türkischen Kriege waren die Türken anfangs siegreich.
Siegreiche Feldherren aber waren und sind dem in steter Sorge um seinen
Thron lebenden Sultan ein Greuel, er vernichtete ihre Erfolge durch will¬
kürliches Eingreifen in die Operationen und durch öftern Wechsel der Höchst-
kommandirenden. „Wirklich wohl war ihm erst, als die Russen vor den
Thoren seiner Hauptstadt standen, während gleichzeitig die englische Flotte
bei Prinkipo vor Anker ging. Nun konnte ihm nichts mehr begegnen, denn
von den beiden europäischen Großmächten hielt die eine die andre im Zaume,
und von der eignen demoralisirten Armee hatte er erst recht nichts zu be¬
fürchten." Ein grelles Schlaglicht wirft auf den Charakter und die politische
Art des Sultans der Umstand, daß er alle hervorragenden Persönlichkeiten
dieses Krieges nach und nach aus dem öffentlichen Leben entfernt hat. Osman,
Fuad und Mukhtar Pascha genießen zwar alle äußern Ehren, aber sie sind
Privatleute geworden. Im Gegensatz zu ihrer Laufbahn steht die des heutigen
Marineministers. Er hat sich bei allen Kabinetswechseln auf seinem Posten ge¬
halten, denn er hat die Absichten seines Herrn verstanden. Murad V. war durch
eine Flottendemonstration zur Abdankung gezwungen worden. Etwas derartiges
durfte sich nicht wiederholen, und so wurde denn durch den Marineminister die
Flotte planmäßig zu rascher Thätigkeit unfähig gemacht. Äußerlich sind die
Schiffe gut gehalten, aber überall fehlt etwas, sodciß kein einziges Kriegsschiff
sofort in See gehen kann: hier ein Kessel, dort ein Schornstein, bei einem


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[0130] Abdlll Hamid II. und die Reformen in der Türkei er mit dem Siege des Despoten; Nbdul Hamid II. ist jetzt dank seines un¬ gemein diplomatischen Geschicks und seiner hervorragenden Fähigkeiten mehr, als es irgend einer seiner Vorgänger war, der unumschränkte Heer über sein Volk, trotz der Reformpartei, trotz der Signaturmächte, die von den Levcmtinern schon lange die six ilnxuiZLiweW genannt werden. In den ersten Zeiten seiner Negierung findet man nun allerdings manche Ansätze zu Reformen, und daraus hat man eben jene Schlußfolgerung gezogen, daß der Sultan Reformen gewollt habe, aber unfähig gewesen sei, sie durchzuführen. Aber er hat damals nur mit den Wölfen heulen müssen. Die wahre Ursache jener Reformfreundlichkcit war, daß sich der Sultan noch zu schwach fühlte, es fehlte ihm noch an den willenlosen Werkzeugen, um heimlich das zu hintertreiben, was er offiziell an¬ ordnen mußte. Er betrachtete es nun als seine Lebensaufgabe, sich einen Beamtenstand zu schaffen, der keine eigne Ansicht hatte, der willenlos und blind¬ lings das that, was er befahl. Wenn schon in modernen Staatswesen willens¬ kräftige und zugleich ehrgeizige Herrscher und willcnskräftigc, selbständige Staats¬ diener nicht zu einander Passen, um wieviel gefährlicher müssen einem Despoten auf schwankendem Throne geistig hervorragende Unterthanen scheinen! So war es denn von vornherein Abdul Hamids Streben, alles zu unterdrücken und zu beseitigen, was sich irgendwie auszeichnete, und durch willenlose Werkzeuge zu ersetzen. Dieses Streben trat schon zwei Jahre nach seinem Regierungsantritt zutage. Im russisch-türkischen Kriege waren die Türken anfangs siegreich. Siegreiche Feldherren aber waren und sind dem in steter Sorge um seinen Thron lebenden Sultan ein Greuel, er vernichtete ihre Erfolge durch will¬ kürliches Eingreifen in die Operationen und durch öftern Wechsel der Höchst- kommandirenden. „Wirklich wohl war ihm erst, als die Russen vor den Thoren seiner Hauptstadt standen, während gleichzeitig die englische Flotte bei Prinkipo vor Anker ging. Nun konnte ihm nichts mehr begegnen, denn von den beiden europäischen Großmächten hielt die eine die andre im Zaume, und von der eignen demoralisirten Armee hatte er erst recht nichts zu be¬ fürchten." Ein grelles Schlaglicht wirft auf den Charakter und die politische Art des Sultans der Umstand, daß er alle hervorragenden Persönlichkeiten dieses Krieges nach und nach aus dem öffentlichen Leben entfernt hat. Osman, Fuad und Mukhtar Pascha genießen zwar alle äußern Ehren, aber sie sind Privatleute geworden. Im Gegensatz zu ihrer Laufbahn steht die des heutigen Marineministers. Er hat sich bei allen Kabinetswechseln auf seinem Posten ge¬ halten, denn er hat die Absichten seines Herrn verstanden. Murad V. war durch eine Flottendemonstration zur Abdankung gezwungen worden. Etwas derartiges durfte sich nicht wiederholen, und so wurde denn durch den Marineminister die Flotte planmäßig zu rascher Thätigkeit unfähig gemacht. Äußerlich sind die Schiffe gut gehalten, aber überall fehlt etwas, sodciß kein einziges Kriegsschiff sofort in See gehen kann: hier ein Kessel, dort ein Schornstein, bei einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/130>, abgerufen am 23.07.2024.