Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der verfall des historischen Romans

ziehen will. Aber was im Umriß vorgezeichnet ist, ist seiner Willkür entrückt,
verlangt Leben, muß zum Bilde werden, wenn wir nicht in die Barbarei einer
aus lauter Fragmenten bestehenden Kunst zurückfallen sollen und wollen.

Auch auf den Stil des Buches hat der Wechsel von Geschichte und Dichtung
den ungünstigsten Einfluß gehabt. Die Schreibweise Jenscus neigt ohnehin
zum Manierismus, geht aller schlichten Bestimmtheit des Ausdrucks aus dem
Wege; hier wird durch das Bestreben, die Nüchternheit der Berichterstattung
zu erhöhen, eine geschwollne und pretiöse poetisirende Prosa gezeitigt. Eine
Probe ster hundert: "Vom Sturm lag der hundertjährige Riesenbauin zer¬
schmettert und entwurzelt. Den Epigonen der "Sieben gegen Theben" war
es einst gelungen, während den Ruhm ihrer Väter neu zu beleben, doch den
nachgebornen der großen schwäbischen Kaiser hatte ihr Ringen um die Märchen¬
krone der Schlange des Südens den Untergang gebracht. Richard von Corn-
wallis auch jetzt zu den Toten legend, gebar zugleich die Zeit neues aus ihrem
Schoß. Ein Kanonikus in Lyon, Tebaldo ti Visconti, ward zum Papst er¬
hoben, setzte sich die weiße Tiara aufs Haupt, den Namen jenes Gregors
annehmend, der einst hohnvoll vom Söller zu Canossa auf den drunten im
Büßerhemd von Schnee umstarrten deutschen Kaiser Heinrich den Vierten hinab¬
geblickt hatte. Doch nicht allein den Namen trug Gregor der Zehnte, auch
das oberste Lebenswerk jenes Verwesers auf dem heiligen Stuhl, die Lähmung
und Ertötung deutscher Geisteskraft nahm er schleunig wieder in Angriff. Nur
verfluchte er keinen Kaiser, sondern segnete einen." Mit dem Auge läßt sich
ja über dergleichen hingleiten; aber man versuche einmal in diesem Tone lant
zu erzählen. Und Erzählung sollen doch Geschichte wie Dichtung, soll wenigstens
der historische Roman bleiben.

Gewiß, der historische Roman ist auf dem besten oder vielmehr schlimmsten
Wege, sein unverdientes Schicksal in ein verdientes zu wandeln. Wir vergessen
nicht, daß, von manchem andern zu schweigen, erst vor ein paar Jahren Hans
Hofmann den trefflichen Roman "Wider den Kurfürsten" geschrieben hat, wissen
auch recht gut. daß Unkraut und Ähren aus verschiednen Wurzeln wachsen.
Wenn aber das Unkraut so lustig und so wohlgepflegt wuchert, kommen die
Ähren doch in Gefahr, zu verkümmern. Heute gilt wirklich vom historischen
Roman Uhlcmds Kehrreim:


Unter, Nuß, vor allem aber
Schwindelhnber, Divvelhaber!



Der verfall des historischen Romans

ziehen will. Aber was im Umriß vorgezeichnet ist, ist seiner Willkür entrückt,
verlangt Leben, muß zum Bilde werden, wenn wir nicht in die Barbarei einer
aus lauter Fragmenten bestehenden Kunst zurückfallen sollen und wollen.

Auch auf den Stil des Buches hat der Wechsel von Geschichte und Dichtung
den ungünstigsten Einfluß gehabt. Die Schreibweise Jenscus neigt ohnehin
zum Manierismus, geht aller schlichten Bestimmtheit des Ausdrucks aus dem
Wege; hier wird durch das Bestreben, die Nüchternheit der Berichterstattung
zu erhöhen, eine geschwollne und pretiöse poetisirende Prosa gezeitigt. Eine
Probe ster hundert: „Vom Sturm lag der hundertjährige Riesenbauin zer¬
schmettert und entwurzelt. Den Epigonen der »Sieben gegen Theben« war
es einst gelungen, während den Ruhm ihrer Väter neu zu beleben, doch den
nachgebornen der großen schwäbischen Kaiser hatte ihr Ringen um die Märchen¬
krone der Schlange des Südens den Untergang gebracht. Richard von Corn-
wallis auch jetzt zu den Toten legend, gebar zugleich die Zeit neues aus ihrem
Schoß. Ein Kanonikus in Lyon, Tebaldo ti Visconti, ward zum Papst er¬
hoben, setzte sich die weiße Tiara aufs Haupt, den Namen jenes Gregors
annehmend, der einst hohnvoll vom Söller zu Canossa auf den drunten im
Büßerhemd von Schnee umstarrten deutschen Kaiser Heinrich den Vierten hinab¬
geblickt hatte. Doch nicht allein den Namen trug Gregor der Zehnte, auch
das oberste Lebenswerk jenes Verwesers auf dem heiligen Stuhl, die Lähmung
und Ertötung deutscher Geisteskraft nahm er schleunig wieder in Angriff. Nur
verfluchte er keinen Kaiser, sondern segnete einen." Mit dem Auge läßt sich
ja über dergleichen hingleiten; aber man versuche einmal in diesem Tone lant
zu erzählen. Und Erzählung sollen doch Geschichte wie Dichtung, soll wenigstens
der historische Roman bleiben.

Gewiß, der historische Roman ist auf dem besten oder vielmehr schlimmsten
Wege, sein unverdientes Schicksal in ein verdientes zu wandeln. Wir vergessen
nicht, daß, von manchem andern zu schweigen, erst vor ein paar Jahren Hans
Hofmann den trefflichen Roman „Wider den Kurfürsten" geschrieben hat, wissen
auch recht gut. daß Unkraut und Ähren aus verschiednen Wurzeln wachsen.
Wenn aber das Unkraut so lustig und so wohlgepflegt wuchert, kommen die
Ähren doch in Gefahr, zu verkümmern. Heute gilt wirklich vom historischen
Roman Uhlcmds Kehrreim:


Unter, Nuß, vor allem aber
Schwindelhnber, Divvelhaber!



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224344"/>
          <fw type="header" place="top"> Der verfall des historischen Romans</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_279" prev="#ID_278"> ziehen will. Aber was im Umriß vorgezeichnet ist, ist seiner Willkür entrückt,<lb/>
verlangt Leben, muß zum Bilde werden, wenn wir nicht in die Barbarei einer<lb/>
aus lauter Fragmenten bestehenden Kunst zurückfallen sollen und wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_280"> Auch auf den Stil des Buches hat der Wechsel von Geschichte und Dichtung<lb/>
den ungünstigsten Einfluß gehabt. Die Schreibweise Jenscus neigt ohnehin<lb/>
zum Manierismus, geht aller schlichten Bestimmtheit des Ausdrucks aus dem<lb/>
Wege; hier wird durch das Bestreben, die Nüchternheit der Berichterstattung<lb/>
zu erhöhen, eine geschwollne und pretiöse poetisirende Prosa gezeitigt. Eine<lb/>
Probe ster hundert: &#x201E;Vom Sturm lag der hundertjährige Riesenbauin zer¬<lb/>
schmettert und entwurzelt. Den Epigonen der »Sieben gegen Theben« war<lb/>
es einst gelungen, während den Ruhm ihrer Väter neu zu beleben, doch den<lb/>
nachgebornen der großen schwäbischen Kaiser hatte ihr Ringen um die Märchen¬<lb/>
krone der Schlange des Südens den Untergang gebracht. Richard von Corn-<lb/>
wallis auch jetzt zu den Toten legend, gebar zugleich die Zeit neues aus ihrem<lb/>
Schoß. Ein Kanonikus in Lyon, Tebaldo ti Visconti, ward zum Papst er¬<lb/>
hoben, setzte sich die weiße Tiara aufs Haupt, den Namen jenes Gregors<lb/>
annehmend, der einst hohnvoll vom Söller zu Canossa auf den drunten im<lb/>
Büßerhemd von Schnee umstarrten deutschen Kaiser Heinrich den Vierten hinab¬<lb/>
geblickt hatte. Doch nicht allein den Namen trug Gregor der Zehnte, auch<lb/>
das oberste Lebenswerk jenes Verwesers auf dem heiligen Stuhl, die Lähmung<lb/>
und Ertötung deutscher Geisteskraft nahm er schleunig wieder in Angriff. Nur<lb/>
verfluchte er keinen Kaiser, sondern segnete einen." Mit dem Auge läßt sich<lb/>
ja über dergleichen hingleiten; aber man versuche einmal in diesem Tone lant<lb/>
zu erzählen. Und Erzählung sollen doch Geschichte wie Dichtung, soll wenigstens<lb/>
der historische Roman bleiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_281"> Gewiß, der historische Roman ist auf dem besten oder vielmehr schlimmsten<lb/>
Wege, sein unverdientes Schicksal in ein verdientes zu wandeln. Wir vergessen<lb/>
nicht, daß, von manchem andern zu schweigen, erst vor ein paar Jahren Hans<lb/>
Hofmann den trefflichen Roman &#x201E;Wider den Kurfürsten" geschrieben hat, wissen<lb/>
auch recht gut. daß Unkraut und Ähren aus verschiednen Wurzeln wachsen.<lb/>
Wenn aber das Unkraut so lustig und so wohlgepflegt wuchert, kommen die<lb/>
Ähren doch in Gefahr, zu verkümmern. Heute gilt wirklich vom historischen<lb/>
Roman Uhlcmds Kehrreim:</p><lb/>
          <quote> Unter, Nuß, vor allem aber<lb/>
Schwindelhnber, Divvelhaber!</quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] Der verfall des historischen Romans ziehen will. Aber was im Umriß vorgezeichnet ist, ist seiner Willkür entrückt, verlangt Leben, muß zum Bilde werden, wenn wir nicht in die Barbarei einer aus lauter Fragmenten bestehenden Kunst zurückfallen sollen und wollen. Auch auf den Stil des Buches hat der Wechsel von Geschichte und Dichtung den ungünstigsten Einfluß gehabt. Die Schreibweise Jenscus neigt ohnehin zum Manierismus, geht aller schlichten Bestimmtheit des Ausdrucks aus dem Wege; hier wird durch das Bestreben, die Nüchternheit der Berichterstattung zu erhöhen, eine geschwollne und pretiöse poetisirende Prosa gezeitigt. Eine Probe ster hundert: „Vom Sturm lag der hundertjährige Riesenbauin zer¬ schmettert und entwurzelt. Den Epigonen der »Sieben gegen Theben« war es einst gelungen, während den Ruhm ihrer Väter neu zu beleben, doch den nachgebornen der großen schwäbischen Kaiser hatte ihr Ringen um die Märchen¬ krone der Schlange des Südens den Untergang gebracht. Richard von Corn- wallis auch jetzt zu den Toten legend, gebar zugleich die Zeit neues aus ihrem Schoß. Ein Kanonikus in Lyon, Tebaldo ti Visconti, ward zum Papst er¬ hoben, setzte sich die weiße Tiara aufs Haupt, den Namen jenes Gregors annehmend, der einst hohnvoll vom Söller zu Canossa auf den drunten im Büßerhemd von Schnee umstarrten deutschen Kaiser Heinrich den Vierten hinab¬ geblickt hatte. Doch nicht allein den Namen trug Gregor der Zehnte, auch das oberste Lebenswerk jenes Verwesers auf dem heiligen Stuhl, die Lähmung und Ertötung deutscher Geisteskraft nahm er schleunig wieder in Angriff. Nur verfluchte er keinen Kaiser, sondern segnete einen." Mit dem Auge läßt sich ja über dergleichen hingleiten; aber man versuche einmal in diesem Tone lant zu erzählen. Und Erzählung sollen doch Geschichte wie Dichtung, soll wenigstens der historische Roman bleiben. Gewiß, der historische Roman ist auf dem besten oder vielmehr schlimmsten Wege, sein unverdientes Schicksal in ein verdientes zu wandeln. Wir vergessen nicht, daß, von manchem andern zu schweigen, erst vor ein paar Jahren Hans Hofmann den trefflichen Roman „Wider den Kurfürsten" geschrieben hat, wissen auch recht gut. daß Unkraut und Ähren aus verschiednen Wurzeln wachsen. Wenn aber das Unkraut so lustig und so wohlgepflegt wuchert, kommen die Ähren doch in Gefahr, zu verkümmern. Heute gilt wirklich vom historischen Roman Uhlcmds Kehrreim: Unter, Nuß, vor allem aber Schwindelhnber, Divvelhaber!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/98>, abgerufen am 18.06.2024.