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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

Arbeitsmaßes getroffnen Bestimmungen nicht mit demselben Nachdruck über¬
wacht, wie sie es sonst auch bei weniger wichtigen Dingen zu thun Pflegt. Die
Oberpostdirektionen wissen dies sehr wohl und setzen daher der Vermehrung der
Arbeitskräfte einen mindestens passiven Widerstand entgegen, während die Amts¬
vorsteher, deren Hauptpflicht es sein sollte, das ihnen untergebne Personal vor
Überlastung zu schützen, leider oft in dem Bewußtsein, daß Anträge auf Per¬
sonalvermehrung oben nicht gern gesehen werden, diese so lange als möglich
hinzuhalten pflegen.

Verkürzung der Normalarbeitszeit auf 52 Stunden wöchentlich für die
Beamten und 65 für die Unterbeamten, das ist eine mäßige Forderung, deren
Erfüllung auch die Durchführung der Sonntagsruhe in bescheidnen Grenzen
ermöglichen würde. Natürlich kann dieses Ziel nur durch eine mit nicht un¬
bedeutenden Kosten verknüpfte Personalvermehrnng erreicht werden. Aber sollte
sich hierfür nicht eine Million aus den reichen Überschüssen flüssig machen
lassen, die nach dem vom Staatssekretär des Reichspostamts erstatteten Ver¬
waltungsbericht in dem Zeitraume von 1891 bis 1895 95^ Millionen be¬
tragen haben?

Achtzehn Jahre sind vergangen, seitdem die Sonntagsruhe der Post¬
beamten zum erstenmal im Reichstage zu Erörterungen Anlaß gab. Viele Reden
sind gehalten, viele Antrüge gestellt, unzählige Verfügungen erlassen und Berichte
erstattet worden, viele Arbeitsstunden mußten zweckloserweise zur Aufstellung
neuer Stundenpläne und Anfertigung von Nachweisungen verwendet worden --
aber erreicht worden ist bis jetzt so gut wie nichts. Das unwürdige Spiel mit
der scheinbaren, sogenannten Sonntagsruhe wird fortgesetzt.

Der Abgeordnete Hüpeden durfte deshalb in der Reichstagssitzung vom
24. März vorigen Jahres mit Recht sagen: "Man soll nicht fortwährend thun,
als wenn alles Erforderliche schon geschehen wäre, während es in Wahrheit
nicht geschehen ist; dadurch wird der wirkliche Sachverhalt nur verschleiert und
verdunkelt: es wird Unzufriedenheit und Verbitterung erzeugt. Ich wiederhole
darum, mein dringender Wunsch ist: mehr Licht in die Sache."

Vielleicht tragen diese Zeilen etwas dazu bei, das Dunkel aufzuhellen.




Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten

Arbeitsmaßes getroffnen Bestimmungen nicht mit demselben Nachdruck über¬
wacht, wie sie es sonst auch bei weniger wichtigen Dingen zu thun Pflegt. Die
Oberpostdirektionen wissen dies sehr wohl und setzen daher der Vermehrung der
Arbeitskräfte einen mindestens passiven Widerstand entgegen, während die Amts¬
vorsteher, deren Hauptpflicht es sein sollte, das ihnen untergebne Personal vor
Überlastung zu schützen, leider oft in dem Bewußtsein, daß Anträge auf Per¬
sonalvermehrung oben nicht gern gesehen werden, diese so lange als möglich
hinzuhalten pflegen.

Verkürzung der Normalarbeitszeit auf 52 Stunden wöchentlich für die
Beamten und 65 für die Unterbeamten, das ist eine mäßige Forderung, deren
Erfüllung auch die Durchführung der Sonntagsruhe in bescheidnen Grenzen
ermöglichen würde. Natürlich kann dieses Ziel nur durch eine mit nicht un¬
bedeutenden Kosten verknüpfte Personalvermehrnng erreicht werden. Aber sollte
sich hierfür nicht eine Million aus den reichen Überschüssen flüssig machen
lassen, die nach dem vom Staatssekretär des Reichspostamts erstatteten Ver¬
waltungsbericht in dem Zeitraume von 1891 bis 1895 95^ Millionen be¬
tragen haben?

Achtzehn Jahre sind vergangen, seitdem die Sonntagsruhe der Post¬
beamten zum erstenmal im Reichstage zu Erörterungen Anlaß gab. Viele Reden
sind gehalten, viele Antrüge gestellt, unzählige Verfügungen erlassen und Berichte
erstattet worden, viele Arbeitsstunden mußten zweckloserweise zur Aufstellung
neuer Stundenpläne und Anfertigung von Nachweisungen verwendet worden —
aber erreicht worden ist bis jetzt so gut wie nichts. Das unwürdige Spiel mit
der scheinbaren, sogenannten Sonntagsruhe wird fortgesetzt.

Der Abgeordnete Hüpeden durfte deshalb in der Reichstagssitzung vom
24. März vorigen Jahres mit Recht sagen: „Man soll nicht fortwährend thun,
als wenn alles Erforderliche schon geschehen wäre, während es in Wahrheit
nicht geschehen ist; dadurch wird der wirkliche Sachverhalt nur verschleiert und
verdunkelt: es wird Unzufriedenheit und Verbitterung erzeugt. Ich wiederhole
darum, mein dringender Wunsch ist: mehr Licht in die Sache."

Vielleicht tragen diese Zeilen etwas dazu bei, das Dunkel aufzuhellen.




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[0090] Die sogenannte Sonntagsruhe der Postbeamten Arbeitsmaßes getroffnen Bestimmungen nicht mit demselben Nachdruck über¬ wacht, wie sie es sonst auch bei weniger wichtigen Dingen zu thun Pflegt. Die Oberpostdirektionen wissen dies sehr wohl und setzen daher der Vermehrung der Arbeitskräfte einen mindestens passiven Widerstand entgegen, während die Amts¬ vorsteher, deren Hauptpflicht es sein sollte, das ihnen untergebne Personal vor Überlastung zu schützen, leider oft in dem Bewußtsein, daß Anträge auf Per¬ sonalvermehrung oben nicht gern gesehen werden, diese so lange als möglich hinzuhalten pflegen. Verkürzung der Normalarbeitszeit auf 52 Stunden wöchentlich für die Beamten und 65 für die Unterbeamten, das ist eine mäßige Forderung, deren Erfüllung auch die Durchführung der Sonntagsruhe in bescheidnen Grenzen ermöglichen würde. Natürlich kann dieses Ziel nur durch eine mit nicht un¬ bedeutenden Kosten verknüpfte Personalvermehrnng erreicht werden. Aber sollte sich hierfür nicht eine Million aus den reichen Überschüssen flüssig machen lassen, die nach dem vom Staatssekretär des Reichspostamts erstatteten Ver¬ waltungsbericht in dem Zeitraume von 1891 bis 1895 95^ Millionen be¬ tragen haben? Achtzehn Jahre sind vergangen, seitdem die Sonntagsruhe der Post¬ beamten zum erstenmal im Reichstage zu Erörterungen Anlaß gab. Viele Reden sind gehalten, viele Antrüge gestellt, unzählige Verfügungen erlassen und Berichte erstattet worden, viele Arbeitsstunden mußten zweckloserweise zur Aufstellung neuer Stundenpläne und Anfertigung von Nachweisungen verwendet worden — aber erreicht worden ist bis jetzt so gut wie nichts. Das unwürdige Spiel mit der scheinbaren, sogenannten Sonntagsruhe wird fortgesetzt. Der Abgeordnete Hüpeden durfte deshalb in der Reichstagssitzung vom 24. März vorigen Jahres mit Recht sagen: „Man soll nicht fortwährend thun, als wenn alles Erforderliche schon geschehen wäre, während es in Wahrheit nicht geschehen ist; dadurch wird der wirkliche Sachverhalt nur verschleiert und verdunkelt: es wird Unzufriedenheit und Verbitterung erzeugt. Ich wiederhole darum, mein dringender Wunsch ist: mehr Licht in die Sache." Vielleicht tragen diese Zeilen etwas dazu bei, das Dunkel aufzuhellen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/90>, abgerufen am 20.10.2024.