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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Aufstand in Hamburg

dem Augenblick der Abfahrt des Arbeiters vom Lande bis zum Augenblick der
Rückkehr ans Land. Es soll also die Fahrt vom Lande bis zur Arbeitsstelle,
d. h. zu dem zu befrachtenden oder zu löschenden Schiffe, in die Arbeitszeit ein¬
gerechnet werden. Zehn der größten Stauer haben dies, wie A. von Elm
mitteilt, schon "länger durchgeführt," sie haben "eigne Fährschiffe zur Ver¬
fügung, mit denen sie die Arbeiter vom Lande abholen und uach beendeter
Arbeit auch wieder ans Land setzen." Bei den Stanern, die solche Schiffe
nicht hätten, stünde "die Sache für die Arbeiter sehr ungünstig." Die Fahr¬
gelegenheit im Hafen sei sehr schlecht. Die Schiffe seien bei Ankunft an den
Haltestellen voll besetzt, die Arbeiter müßten warten, "nachher mitunter an zwei
Haltestellen wieder umsteigen," und es verginge eine bis anderthalbe Stunde,
bis sie an Bord des Schiffes seien. "Der Stauer verlangt aber, daß sie bei
Beginn der Arbeitszeit dort sind, auf Erklärungen läßt er sich nicht ein."
Tolle Kerls, fürwahr, diese Stauer, so etwas zu verlangen! Es fällt doch
in Berlin. Leipzig, München keinem Arbeitgeber ein, wenn die Arbeiter wegen
ungünstiger Pferdebahnverbindung von ihrer Wohnung nach dem Geschäft täg¬
lich eine bis zwei Stunden zu spät kommen, eine Miene zu verziehen. In
der That verdienen solche, im Vergleich mit dem Aufstand kleinliche und sicht¬
lich bei den Haaren herbeigezogne Beschwerdepunkte -- so sehr sich Hamburg über
seine Fährgelegenheiten, wenn sie so sind, schämen müßte -- nur Spott, ja es über¬
steigt eigentlich alles Maß von erträglicher Dreistigkeit, wenn eine Leuchte der
Partei damit und nur damit einen Aufstand wie den, um den es sich hier
handelt, rechtfertigen zu wollen wagen kann. Doch daß wir nichts verschweigen:
Herr A. von Elm fügt noch etwas hinzu: "Bei der Lohnauszahlung wünschen
die Arbeiter das Ticketsystem eingeführt, d. h. daß sie, sobald die Arbeit, wofür
sie angenommen wurden, beendigt ist, auf Grund einer Lohnanweisung ihr Geld
sofort ausgezahlt erhalten und nicht erst am Sonnabend in einer Wirtschaft.
Am angenehmsten würde es ihnen sein, wenn sie sofort an Bord ihr Geld
erhielten. Dieses System der Lohnauszahlung ist bei einigen Stauern schon
eingeführt, ein Beweis dafür, daß es sich sehr gut durchführen läßt."

Und diese "Mißstände" -- so will man uns glauben machen -- haben
die Hamburger Schnuerleute und deren Gefolgschaft, alle die andern nicht ein¬
mal von diesen Mißstündeu berührten Hafenarbeiter, bestimmt, mit der pro-
vozirendsten Rücksichtslosigkeit den Arbeitgebern die Pistole auf die Brust zu
setzen und, wenn die Forderungen in einer ganz unzureichend -- nur auf
Stunden -- bemessenen Frist nicht vollständig bewilligt würden, mit sofortiger
Arbeitseinstellung zu drohen und diese Drohung dann auch wirklich auszu¬
führen! Muß man da nicht von vornherein, gerade bei voller Sympathie für die
Arbeiter, auf den Verdacht kommen, daß hier fremde Einflüsse im Spiele, daß
die Arbeiter selbst das Opfer fremder Interessen seien? War es zu verwundern,
wenn die Arbeitgeber von vornherein, aber auch uns wohlbekannte, durchaus


Der Aufstand in Hamburg

dem Augenblick der Abfahrt des Arbeiters vom Lande bis zum Augenblick der
Rückkehr ans Land. Es soll also die Fahrt vom Lande bis zur Arbeitsstelle,
d. h. zu dem zu befrachtenden oder zu löschenden Schiffe, in die Arbeitszeit ein¬
gerechnet werden. Zehn der größten Stauer haben dies, wie A. von Elm
mitteilt, schon „länger durchgeführt," sie haben „eigne Fährschiffe zur Ver¬
fügung, mit denen sie die Arbeiter vom Lande abholen und uach beendeter
Arbeit auch wieder ans Land setzen." Bei den Stanern, die solche Schiffe
nicht hätten, stünde „die Sache für die Arbeiter sehr ungünstig." Die Fahr¬
gelegenheit im Hafen sei sehr schlecht. Die Schiffe seien bei Ankunft an den
Haltestellen voll besetzt, die Arbeiter müßten warten, „nachher mitunter an zwei
Haltestellen wieder umsteigen," und es verginge eine bis anderthalbe Stunde,
bis sie an Bord des Schiffes seien. „Der Stauer verlangt aber, daß sie bei
Beginn der Arbeitszeit dort sind, auf Erklärungen läßt er sich nicht ein."
Tolle Kerls, fürwahr, diese Stauer, so etwas zu verlangen! Es fällt doch
in Berlin. Leipzig, München keinem Arbeitgeber ein, wenn die Arbeiter wegen
ungünstiger Pferdebahnverbindung von ihrer Wohnung nach dem Geschäft täg¬
lich eine bis zwei Stunden zu spät kommen, eine Miene zu verziehen. In
der That verdienen solche, im Vergleich mit dem Aufstand kleinliche und sicht¬
lich bei den Haaren herbeigezogne Beschwerdepunkte — so sehr sich Hamburg über
seine Fährgelegenheiten, wenn sie so sind, schämen müßte — nur Spott, ja es über¬
steigt eigentlich alles Maß von erträglicher Dreistigkeit, wenn eine Leuchte der
Partei damit und nur damit einen Aufstand wie den, um den es sich hier
handelt, rechtfertigen zu wollen wagen kann. Doch daß wir nichts verschweigen:
Herr A. von Elm fügt noch etwas hinzu: „Bei der Lohnauszahlung wünschen
die Arbeiter das Ticketsystem eingeführt, d. h. daß sie, sobald die Arbeit, wofür
sie angenommen wurden, beendigt ist, auf Grund einer Lohnanweisung ihr Geld
sofort ausgezahlt erhalten und nicht erst am Sonnabend in einer Wirtschaft.
Am angenehmsten würde es ihnen sein, wenn sie sofort an Bord ihr Geld
erhielten. Dieses System der Lohnauszahlung ist bei einigen Stauern schon
eingeführt, ein Beweis dafür, daß es sich sehr gut durchführen läßt."

Und diese „Mißstände" — so will man uns glauben machen — haben
die Hamburger Schnuerleute und deren Gefolgschaft, alle die andern nicht ein¬
mal von diesen Mißstündeu berührten Hafenarbeiter, bestimmt, mit der pro-
vozirendsten Rücksichtslosigkeit den Arbeitgebern die Pistole auf die Brust zu
setzen und, wenn die Forderungen in einer ganz unzureichend — nur auf
Stunden — bemessenen Frist nicht vollständig bewilligt würden, mit sofortiger
Arbeitseinstellung zu drohen und diese Drohung dann auch wirklich auszu¬
führen! Muß man da nicht von vornherein, gerade bei voller Sympathie für die
Arbeiter, auf den Verdacht kommen, daß hier fremde Einflüsse im Spiele, daß
die Arbeiter selbst das Opfer fremder Interessen seien? War es zu verwundern,
wenn die Arbeitgeber von vornherein, aber auch uns wohlbekannte, durchaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/52>, abgerufen am 18.06.2024.