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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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gleitet, wie die Elektrizität, an der Stange des sittlichen Pathos bequem
in den Erdboden. Es hat auch unsern vollen Beifall, wenn wir weiter hören,
wie durch solche irreleitenden Phrasen dem Arbeiter in den Kopf gesetzt wird,
seine Thätigkeit, die doch zuletzt auf dem berechtigten eignen Interesse beruht,
sei etwas besonders würdiges und verdienstliches, woraus sich dann seine
gesteigerten Ansprüche von selbst ergeben. Und die klassische Nationalökonomie
Adam Smiths, die "trostlose Wissenschaft," wie sie vor fast fünfzig Jahren
der einflußreiche Romantiker Nuskin nannte, weil sie ihn nicht zu erheitern
vermochte, wie seine alten Bilder und Volkslieder, hat ohnehin zu viel Wert
gelegt auf die grobe Handarbeit; wir erhalten bei diesem Anlaß einen Hinweis
auf die Geschichte der entgegengesetzten Begriffe (geistige Arbeit, Unternehmer¬
gewinn usw.) in der Form der allerleichtesten Unterhaltung, und äußerlich
wenigstens scheint plötzlich tue clisraal soiknoiz verwandelt in ig. Mis soiknoo
durch einen Künstler des Wortes.

Aber einstweilen mögen uns noch seine Gedanken ein wenig beschäftigen.
Der Verfasser ist, was sich bei ihm von selbst versteht, Freihändler, und
politisch sowohl wie kirchlich ist er sehr freisinnig. Zwei Aufsätze, "Praktisches
Christentum" und "Christliches und Unchristliches," bringen viel interessantes
über soziale Dinge. Der Verfasser ist gegen die Zwangseinrichtungen des
Staats ,in Bezug auf Versicherung, er hält die freie Methode für richtig,
obwohl er zugeben muß, daß sie langsam arbeitet. Das ist ja nun nicht neu,
denn zahlreiche Menschen denken ebenso, aber doch wichtig, denn Gildemeister
zählt für seine Person mehr als viele. Was unsre Aufmerksamkeit auf sich
zieht, ist seine Kritik der heutigen Bezeichnungen für derlei Sachen. Wenn
wir in dem Aufsatze über den "Jargon" lesen, auf besagtem Kongreß habe
ein Generalsuperintendent einen Antrag gestellt, dahin zu wirken, "daß die
Arbeitgeber den sittlich ebenbürtigen Wert der Arbeit anerkennen, die Arbeiter
aber in ihr einen sittlichen Beruf erblicken lernen," so denken wir uns
sowohl dies wie den Herrn Generalsuperintendenten, so oft er vorkommt,
mit einem feinen Lächeln, Wenns möglich wäre, geschrieben. Etwas ver¬
drießlicher klingt es, wenn es in einem der beiden andern Aufsätze beinahe
als Unfug angesehen wird, daß man seit zehn Jahren die Arbeitergesetz¬
gebung unter das "praktische Christentum" rechnet. Ja, meint Gildemeister,
wenn das die Mittelparteien und Protestantenvereinler sagen, die sich das
Christentum nach ihrem Bedcirfe zurecht machen, so hat das etwas für sich. Aber
die kirchliche Richtung, die Orthodoxen, für die es in Sachen des Glaubens
heißt: was geschrieben ist, das ist geschrieben, die haben doch kein Recht, als
Sozialpolitiker plötzlich Deutungen und Anpassungen an das geänderte praktische
Leben vorzunehmen und zu behaupten, was der Staat thut und wozu er sie
zwingt, sei in ihrem Sinne und sei praktisches Christentum. Die sollen auch
praktisch Ernst machen und ihre Güter hergeben, wie es Christus vorschreibt usw.


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gleitet, wie die Elektrizität, an der Stange des sittlichen Pathos bequem
in den Erdboden. Es hat auch unsern vollen Beifall, wenn wir weiter hören,
wie durch solche irreleitenden Phrasen dem Arbeiter in den Kopf gesetzt wird,
seine Thätigkeit, die doch zuletzt auf dem berechtigten eignen Interesse beruht,
sei etwas besonders würdiges und verdienstliches, woraus sich dann seine
gesteigerten Ansprüche von selbst ergeben. Und die klassische Nationalökonomie
Adam Smiths, die „trostlose Wissenschaft," wie sie vor fast fünfzig Jahren
der einflußreiche Romantiker Nuskin nannte, weil sie ihn nicht zu erheitern
vermochte, wie seine alten Bilder und Volkslieder, hat ohnehin zu viel Wert
gelegt auf die grobe Handarbeit; wir erhalten bei diesem Anlaß einen Hinweis
auf die Geschichte der entgegengesetzten Begriffe (geistige Arbeit, Unternehmer¬
gewinn usw.) in der Form der allerleichtesten Unterhaltung, und äußerlich
wenigstens scheint plötzlich tue clisraal soiknoiz verwandelt in ig. Mis soiknoo
durch einen Künstler des Wortes.

Aber einstweilen mögen uns noch seine Gedanken ein wenig beschäftigen.
Der Verfasser ist, was sich bei ihm von selbst versteht, Freihändler, und
politisch sowohl wie kirchlich ist er sehr freisinnig. Zwei Aufsätze, „Praktisches
Christentum" und „Christliches und Unchristliches," bringen viel interessantes
über soziale Dinge. Der Verfasser ist gegen die Zwangseinrichtungen des
Staats ,in Bezug auf Versicherung, er hält die freie Methode für richtig,
obwohl er zugeben muß, daß sie langsam arbeitet. Das ist ja nun nicht neu,
denn zahlreiche Menschen denken ebenso, aber doch wichtig, denn Gildemeister
zählt für seine Person mehr als viele. Was unsre Aufmerksamkeit auf sich
zieht, ist seine Kritik der heutigen Bezeichnungen für derlei Sachen. Wenn
wir in dem Aufsatze über den „Jargon" lesen, auf besagtem Kongreß habe
ein Generalsuperintendent einen Antrag gestellt, dahin zu wirken, „daß die
Arbeitgeber den sittlich ebenbürtigen Wert der Arbeit anerkennen, die Arbeiter
aber in ihr einen sittlichen Beruf erblicken lernen," so denken wir uns
sowohl dies wie den Herrn Generalsuperintendenten, so oft er vorkommt,
mit einem feinen Lächeln, Wenns möglich wäre, geschrieben. Etwas ver¬
drießlicher klingt es, wenn es in einem der beiden andern Aufsätze beinahe
als Unfug angesehen wird, daß man seit zehn Jahren die Arbeitergesetz¬
gebung unter das „praktische Christentum" rechnet. Ja, meint Gildemeister,
wenn das die Mittelparteien und Protestantenvereinler sagen, die sich das
Christentum nach ihrem Bedcirfe zurecht machen, so hat das etwas für sich. Aber
die kirchliche Richtung, die Orthodoxen, für die es in Sachen des Glaubens
heißt: was geschrieben ist, das ist geschrieben, die haben doch kein Recht, als
Sozialpolitiker plötzlich Deutungen und Anpassungen an das geänderte praktische
Leben vorzunehmen und zu behaupten, was der Staat thut und wozu er sie
zwingt, sei in ihrem Sinne und sei praktisches Christentum. Die sollen auch
praktisch Ernst machen und ihre Güter hergeben, wie es Christus vorschreibt usw.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/48>, abgerufen am 19.10.2024.