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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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dem Zwecke gegenüber, den er im Auge hatte, müssen wir zugeben: alles ist
fein überlegt und vorzüglich ausgedrückt. Man fühlt sich wie in einer edeln
Umgebung. Wir Hütten gern mehr solche Bücher.

Kuno Fischers Art, über einzelne Schriften Shakespeares und Goethes
in gutgeschriebneu kleinen Bänden zu sprechen, ist bekannt. Uns liegt ein
Bändchen über Hamlet vor (Heidelberg, Winter). Der Verfasser beurteilt die
frühern Auslegungen, giebt ihre Abwege an und entwickelt seine Auffassung.
Man liest bei ihm immer angenehm und lernt auch etwas. Übrigens ist
Deutschland nicht nur Hamlet, wie es im Eingang des bekannten Freiligrathschen
Gedichts heißt, sondern es schreibt vor allem über Hamlet und wird auch
wohl darüber schreiben, so lauge es noch Feder und Tinte zu kaufen giebt.
Berger, der in seinem Buche ebenfalls zwei Aufsätze über Hamlet hat, sagt
über ihn: "Bei einem lebendigen Kunstwerke giebt es keine ausschließlich richtige
authentische Auslegung. Streng eindeutig ist nur ein mathematischer Lehrsatz."
Ob das für jedes "lebendige" Kunstwerk zutrifft, ist uns fraglich, aber in
Bezug auf den Hamlet ist es sicher richtig, und wir meinen, daß sich das
heutige gebildete Publikum solche Dinge lieber in dem Tone Bergers vortragen
läßt. Bei Fischer spürt es öfter, als ihm behaglich ist, jene Strenge, die von
der "Eindeutigkeit" kommt.

Fischer erwähnt auch Bacon, über den er, wie man weiß, sich eingehend
ausgesprochen hat. Das bestimmte Wort des angeschrien Mannes wird gut
thun. Wir persönlich möchten hier nicht die "Baeonfrage" streifen, da wir
sie für uns längst abgethan haben und nicht einmal -- historisch -- zugeben
können, daß die bekannte Theorie mit besondern: Scharfsinn eingeführt worden
sei. Uns liegt eine neuere Beurteilung vor von einem Fachmanne: Der
Bacon-Bacillus von I. Schipper (Wien und Leipzig, Vraumüller), kurz,
klar, gründlich, überzeugend. Nur eins haben wir vermißt: das Lachen des
Humors. Wer polemifirt, darf sich nicht ärgern, vollends wenn er so unan¬
greifbar dasteht, wie ein bewährter Gelehrter auf seinem Gebiete. Der Leser,
auf den so etwas wirken soll, will vor allen Dingen ein gewisses geistiges
Vergnügen dabei haben, und Witz ist auch ein ganz besondrer Saft. Ist denn
z. B. der Titel so originell, daß er die lange Bemerkung über die Priorität
des "Bacon-Bacillus" S. 6 aushält? "So etwas sage ich täglich dreimal,
pflegt ein wirklich geistreicher Mensch zu sagen, und wers brauchen kann, mag
es nehmen."

Wie ein guter deutscher Essay sein soll, und was er leisten kann, zeigt
ein Buch, das uns gerade zu rechter Zeit noch zuletzt ein glücklicher Zufall
auf den Tisch legte: Essays von Otto Gildemeister. Herausgegeben von
Freunden, erster Band (Berlin, Hertz). Fragen des Lebens, die jeden inter-
essiren, scheinbar ganz gewöhnliche Dinge, werden hier in überraschend
interessanter Weise an uns vorübergeführt, weil der Verfasser, was Schopen-


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dem Zwecke gegenüber, den er im Auge hatte, müssen wir zugeben: alles ist
fein überlegt und vorzüglich ausgedrückt. Man fühlt sich wie in einer edeln
Umgebung. Wir Hütten gern mehr solche Bücher.

Kuno Fischers Art, über einzelne Schriften Shakespeares und Goethes
in gutgeschriebneu kleinen Bänden zu sprechen, ist bekannt. Uns liegt ein
Bändchen über Hamlet vor (Heidelberg, Winter). Der Verfasser beurteilt die
frühern Auslegungen, giebt ihre Abwege an und entwickelt seine Auffassung.
Man liest bei ihm immer angenehm und lernt auch etwas. Übrigens ist
Deutschland nicht nur Hamlet, wie es im Eingang des bekannten Freiligrathschen
Gedichts heißt, sondern es schreibt vor allem über Hamlet und wird auch
wohl darüber schreiben, so lauge es noch Feder und Tinte zu kaufen giebt.
Berger, der in seinem Buche ebenfalls zwei Aufsätze über Hamlet hat, sagt
über ihn: „Bei einem lebendigen Kunstwerke giebt es keine ausschließlich richtige
authentische Auslegung. Streng eindeutig ist nur ein mathematischer Lehrsatz."
Ob das für jedes „lebendige" Kunstwerk zutrifft, ist uns fraglich, aber in
Bezug auf den Hamlet ist es sicher richtig, und wir meinen, daß sich das
heutige gebildete Publikum solche Dinge lieber in dem Tone Bergers vortragen
läßt. Bei Fischer spürt es öfter, als ihm behaglich ist, jene Strenge, die von
der „Eindeutigkeit" kommt.

Fischer erwähnt auch Bacon, über den er, wie man weiß, sich eingehend
ausgesprochen hat. Das bestimmte Wort des angeschrien Mannes wird gut
thun. Wir persönlich möchten hier nicht die „Baeonfrage" streifen, da wir
sie für uns längst abgethan haben und nicht einmal — historisch — zugeben
können, daß die bekannte Theorie mit besondern: Scharfsinn eingeführt worden
sei. Uns liegt eine neuere Beurteilung vor von einem Fachmanne: Der
Bacon-Bacillus von I. Schipper (Wien und Leipzig, Vraumüller), kurz,
klar, gründlich, überzeugend. Nur eins haben wir vermißt: das Lachen des
Humors. Wer polemifirt, darf sich nicht ärgern, vollends wenn er so unan¬
greifbar dasteht, wie ein bewährter Gelehrter auf seinem Gebiete. Der Leser,
auf den so etwas wirken soll, will vor allen Dingen ein gewisses geistiges
Vergnügen dabei haben, und Witz ist auch ein ganz besondrer Saft. Ist denn
z. B. der Titel so originell, daß er die lange Bemerkung über die Priorität
des „Bacon-Bacillus" S. 6 aushält? „So etwas sage ich täglich dreimal,
pflegt ein wirklich geistreicher Mensch zu sagen, und wers brauchen kann, mag
es nehmen."

Wie ein guter deutscher Essay sein soll, und was er leisten kann, zeigt
ein Buch, das uns gerade zu rechter Zeit noch zuletzt ein glücklicher Zufall
auf den Tisch legte: Essays von Otto Gildemeister. Herausgegeben von
Freunden, erster Band (Berlin, Hertz). Fragen des Lebens, die jeden inter-
essiren, scheinbar ganz gewöhnliche Dinge, werden hier in überraschend
interessanter Weise an uns vorübergeführt, weil der Verfasser, was Schopen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/45>, abgerufen am 18.06.2024.