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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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richtigen Essays, zerstört uns aber thatsächlich die Freude nun Genuß seines
Kunstwerks dadurch, daß er sich gern als "Dilettant" in dem betreffenden
Gegenstande bezeichnet und dann einem sogenannten Fachmann das Wort
giebt. Lese ich denn aber dazu Heigels Aufsatz über den französischen Historiker
Taine, um plötzlich bei der Ernährung eines philosophischen Buches zu
hören: "Ich selbst habe dieses Werk als Dilettant in diesen Disziplinen
gelesen, würde daher wie ein Dilettant darüber urteilen. Ein Berufner sagt
von diesem Werke usw." Und nun wird das Urteil eines Professors der
Philosophie angeführt. Ist deun jeder, der dem Fache, in dem ein Werk ge¬
schrieben ist, angehört, darum schon ein Berufner? Und kauft man sich dazu
ein Buch von Heigel, um anstatt seiner an entscheidenden Stellen solche "Be¬
rufne" zu hören, und hätte er sich selbst nicht eher soweit über den Gegen¬
stand unterrichten müssen, daß er sich in einem "gemeinverständlichen" Buche
einwandfrei darüber aussprechen konnte, oder aber, wenn er daran verzweifelte,
den Gegenstand besser ganz aus seinen Essays wegließ? In dem Aufsatze
"Die französische Revolution und die bildende Kunst" bekommen wir diesem
Grundsatze zuliebe ellenlange Zitate aus bekannten kunstgeschichtlichen Büchern
zu lesen (Falke und Julius Meyer), an die wir uns ja dann, wenn wir
konsequent sein wollten, ganz allein mit Umgehung des Essayisten hätten
halten können. Eine gutgeschriebne Abhandlung muß eine viel größere Stil¬
einheit haben, als daß sie solches Zusammenstoppeln vertrüge. Meint aber
ein Schriftsteller dadurch an Vertrauen bei seinen Lesern zu gewinnen, daß er
sich aller Augenblicke als "nicht zuständig" bekennt (der Verfasser macht bei
dem Aufsatze "Ein Reich -- ein Recht" sogar den Juristen zu Ehren aus¬
drücklich auf das "dilettantische Gepräge der Arbeit" aufmerksam), so ist das
entweder falsche Bescheidenheit oder unrichtige Rechnung. Alle diese Disso¬
nanzen und Zufälligkeiten, die die Art des Arbeitens mit sich bringt, müssen
in dem Endergebnis, wenn es sich mit dem Namen Essay schmücken will,
überwunden sein. Der Leser darf nur den Gegenstand, und was etwa diesen
heben kann, zu fühlen bekommen. Treitschkes kleine Abhandlungen sind so
vollendet in der Form wie seine Bücher. Unter denen Heigels ist keine einzige,
die wir in der Form als ein kleines Kunstwerk bezeichnen konnten. Essays in
dem Sinne, wie wir den Ausdruck verstehen, sind sie alle mit einander nicht.

Was die Sache betrifft, so kann bei der großen Kürze der einzelnen Auf¬
sätze wohl nur schwer ein tieferes Interesse geweckt werden. "Ein deutscher
Bericht über den Hof Peter(s!) des Großen," "Die Wittelsbacher Hausunion
von 1724," "Der angebliche Mannheimer Verrat von 1791" usw. sind zu
kleine Abschnitte, die in dieser Beschränkung auch bei tieferer "Schürfung"
vielleicht keinen größern Ertrag gegeben hätten. Andres ist in dieser Ver¬
einzelung wertlos, wie die wenig interessanten "Erinnerungen eines alten
Soldaten von 1809 bis 1815," oder paßt nicht hierher, wie "Archivwescn


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richtigen Essays, zerstört uns aber thatsächlich die Freude nun Genuß seines
Kunstwerks dadurch, daß er sich gern als „Dilettant" in dem betreffenden
Gegenstande bezeichnet und dann einem sogenannten Fachmann das Wort
giebt. Lese ich denn aber dazu Heigels Aufsatz über den französischen Historiker
Taine, um plötzlich bei der Ernährung eines philosophischen Buches zu
hören: „Ich selbst habe dieses Werk als Dilettant in diesen Disziplinen
gelesen, würde daher wie ein Dilettant darüber urteilen. Ein Berufner sagt
von diesem Werke usw." Und nun wird das Urteil eines Professors der
Philosophie angeführt. Ist deun jeder, der dem Fache, in dem ein Werk ge¬
schrieben ist, angehört, darum schon ein Berufner? Und kauft man sich dazu
ein Buch von Heigel, um anstatt seiner an entscheidenden Stellen solche „Be¬
rufne" zu hören, und hätte er sich selbst nicht eher soweit über den Gegen¬
stand unterrichten müssen, daß er sich in einem „gemeinverständlichen" Buche
einwandfrei darüber aussprechen konnte, oder aber, wenn er daran verzweifelte,
den Gegenstand besser ganz aus seinen Essays wegließ? In dem Aufsatze
„Die französische Revolution und die bildende Kunst" bekommen wir diesem
Grundsatze zuliebe ellenlange Zitate aus bekannten kunstgeschichtlichen Büchern
zu lesen (Falke und Julius Meyer), an die wir uns ja dann, wenn wir
konsequent sein wollten, ganz allein mit Umgehung des Essayisten hätten
halten können. Eine gutgeschriebne Abhandlung muß eine viel größere Stil¬
einheit haben, als daß sie solches Zusammenstoppeln vertrüge. Meint aber
ein Schriftsteller dadurch an Vertrauen bei seinen Lesern zu gewinnen, daß er
sich aller Augenblicke als „nicht zuständig" bekennt (der Verfasser macht bei
dem Aufsatze „Ein Reich — ein Recht" sogar den Juristen zu Ehren aus¬
drücklich auf das „dilettantische Gepräge der Arbeit" aufmerksam), so ist das
entweder falsche Bescheidenheit oder unrichtige Rechnung. Alle diese Disso¬
nanzen und Zufälligkeiten, die die Art des Arbeitens mit sich bringt, müssen
in dem Endergebnis, wenn es sich mit dem Namen Essay schmücken will,
überwunden sein. Der Leser darf nur den Gegenstand, und was etwa diesen
heben kann, zu fühlen bekommen. Treitschkes kleine Abhandlungen sind so
vollendet in der Form wie seine Bücher. Unter denen Heigels ist keine einzige,
die wir in der Form als ein kleines Kunstwerk bezeichnen konnten. Essays in
dem Sinne, wie wir den Ausdruck verstehen, sind sie alle mit einander nicht.

Was die Sache betrifft, so kann bei der großen Kürze der einzelnen Auf¬
sätze wohl nur schwer ein tieferes Interesse geweckt werden. „Ein deutscher
Bericht über den Hof Peter(s!) des Großen," „Die Wittelsbacher Hausunion
von 1724," „Der angebliche Mannheimer Verrat von 1791" usw. sind zu
kleine Abschnitte, die in dieser Beschränkung auch bei tieferer „Schürfung"
vielleicht keinen größern Ertrag gegeben hätten. Andres ist in dieser Ver¬
einzelung wertlos, wie die wenig interessanten „Erinnerungen eines alten
Soldaten von 1809 bis 1815," oder paßt nicht hierher, wie „Archivwescn


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[0043] Lssays richtigen Essays, zerstört uns aber thatsächlich die Freude nun Genuß seines Kunstwerks dadurch, daß er sich gern als „Dilettant" in dem betreffenden Gegenstande bezeichnet und dann einem sogenannten Fachmann das Wort giebt. Lese ich denn aber dazu Heigels Aufsatz über den französischen Historiker Taine, um plötzlich bei der Ernährung eines philosophischen Buches zu hören: „Ich selbst habe dieses Werk als Dilettant in diesen Disziplinen gelesen, würde daher wie ein Dilettant darüber urteilen. Ein Berufner sagt von diesem Werke usw." Und nun wird das Urteil eines Professors der Philosophie angeführt. Ist deun jeder, der dem Fache, in dem ein Werk ge¬ schrieben ist, angehört, darum schon ein Berufner? Und kauft man sich dazu ein Buch von Heigel, um anstatt seiner an entscheidenden Stellen solche „Be¬ rufne" zu hören, und hätte er sich selbst nicht eher soweit über den Gegen¬ stand unterrichten müssen, daß er sich in einem „gemeinverständlichen" Buche einwandfrei darüber aussprechen konnte, oder aber, wenn er daran verzweifelte, den Gegenstand besser ganz aus seinen Essays wegließ? In dem Aufsatze „Die französische Revolution und die bildende Kunst" bekommen wir diesem Grundsatze zuliebe ellenlange Zitate aus bekannten kunstgeschichtlichen Büchern zu lesen (Falke und Julius Meyer), an die wir uns ja dann, wenn wir konsequent sein wollten, ganz allein mit Umgehung des Essayisten hätten halten können. Eine gutgeschriebne Abhandlung muß eine viel größere Stil¬ einheit haben, als daß sie solches Zusammenstoppeln vertrüge. Meint aber ein Schriftsteller dadurch an Vertrauen bei seinen Lesern zu gewinnen, daß er sich aller Augenblicke als „nicht zuständig" bekennt (der Verfasser macht bei dem Aufsatze „Ein Reich — ein Recht" sogar den Juristen zu Ehren aus¬ drücklich auf das „dilettantische Gepräge der Arbeit" aufmerksam), so ist das entweder falsche Bescheidenheit oder unrichtige Rechnung. Alle diese Disso¬ nanzen und Zufälligkeiten, die die Art des Arbeitens mit sich bringt, müssen in dem Endergebnis, wenn es sich mit dem Namen Essay schmücken will, überwunden sein. Der Leser darf nur den Gegenstand, und was etwa diesen heben kann, zu fühlen bekommen. Treitschkes kleine Abhandlungen sind so vollendet in der Form wie seine Bücher. Unter denen Heigels ist keine einzige, die wir in der Form als ein kleines Kunstwerk bezeichnen konnten. Essays in dem Sinne, wie wir den Ausdruck verstehen, sind sie alle mit einander nicht. Was die Sache betrifft, so kann bei der großen Kürze der einzelnen Auf¬ sätze wohl nur schwer ein tieferes Interesse geweckt werden. „Ein deutscher Bericht über den Hof Peter(s!) des Großen," „Die Wittelsbacher Hausunion von 1724," „Der angebliche Mannheimer Verrat von 1791" usw. sind zu kleine Abschnitte, die in dieser Beschränkung auch bei tieferer „Schürfung" vielleicht keinen größern Ertrag gegeben hätten. Andres ist in dieser Ver¬ einzelung wertlos, wie die wenig interessanten „Erinnerungen eines alten Soldaten von 1809 bis 1815," oder paßt nicht hierher, wie „Archivwescn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/43>, abgerufen am 18.06.2024.