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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Englische Gffeuherzigkeite"

Angesichts dieser Thatsachen dürfen wir uns nicht verhehlen, daß unsre
maritimen Kräfte zum Schutze unsers Handels und unsrer Industrie völlig
unzureichend sind. Unsre Parteien müssen sich darüber klar werden, ob sie
für Deutschland Exportindustrie und Seehandel haben wollen oder nicht. Halten
sie beides für notwendige Lebensbedingungen des neuen Deutschlands, so würde
die Ablehnung der Flottenvermehrung einfach keinen Sinn haben. Gerade die
Klassen der Bevölkerung, die den Hnuptvorteil von Handel und Industrie
haben, müssen hierbei in Opferwilligkeit vorangehen, wenn sie nicht ihre
völlige politische Unreife verraten wollen. Ohne Blüte der nationalen Industrie
giebt es weder gute Unternehmergewinne, noch gute Arbeitslöhne; Unternehmer
wie Arbeiter sind also gemeinsam an dem Schutz des Exporthandels interessirt.
Das "uferlose" Geschwätz muß endlich verstummen und handlichem Erwägungen
Platz machen. Parteien, die notwendige Forderungen ablehnen und mit Rück¬
sicht auf den Wühlerfaug immer nur Einschränkung der Staatsausgaben als
höchste Weisheit zu predigen wisse", zeigen das Gegenteil von politischer Klug¬
heit. Ihr Standpunkt ist genau derselbe, wie der des vielbelachten Herzogs
von Mecklenburg, der kurz vor dem Kriege 1806 auf ein von Preußen ge¬
stelltes Urhunde", zu den Verpslegungskvsteu der Armee beizutragen, erwiderte:
so dankbar er den preußischen Schutz benutzen würde, wenn er sich in Gefahr
glaube, so dringend müsse er sich unter den gegenwärtigen Umständen eine
Beitragsleistnng verbitten!

Wir feiern bald den hundertste" Geburtstag des ersten Kaisers unsers neuen
deutschen Reichs, wir feiern in diesem Jahre auch die hnndertjührige Thron¬
besteigung Friedrich Wilhelms III. Er war eiuer der edelsten und besten
deutschen Monarchen aller Zeiten, und doch hat Preußen unter ihm die entsetz¬
liche Demütigung von Jena, die Schmach und den finanziellen Druck der sieben¬
jährigen Fremdherrschaft zu tragen gehabt. Dann aber konnte, schon zwei
Wochen nach dem Tilsiter Frieden, das Neorganisativnswerk beginnen, weil kein
Einsichtiger mehr im Zweifel war, was geschehen müsse; dem junge" Könige
hatten nur in den erste" zch" Jahre" seiner Regierung die Festigkeit und der
Entschluß gefehlt, die notwendige" Opfer vo" seinem Volke zu fordern. Sind
wir im Laufe dieses Jahrhunders soweit politisch gereift, daß wir die nötige"
Opfer freiwillig bringen, oder wollen wir wieder warten, bis uns eine fremde
Macht das Ungenügende unsrer Rüstung in empfindlichster Weise fühlbar macht?

Daß wir uns in absehbarer Zeit als ebenbürtige Seemacht neben Eng¬
land stellen könnten, ist ja vornherein ausgeschlossen; aber wir müssen unsre
Marine in einen Stand setzen, der uns einem Gegner Englands als respektabel"
und wünschenswerten Bundesgenossen erscheinen läßt.

Noch etwas andres scheint uns England gegenüber für unsre Politik
dringend nötig zu sein, was ihm die Lust, unsern Seehandel zu vergewaltigen,
verderben könnte. An eine" Seeangriff ans englisches Festland oder an eine"


Englische Gffeuherzigkeite»

Angesichts dieser Thatsachen dürfen wir uns nicht verhehlen, daß unsre
maritimen Kräfte zum Schutze unsers Handels und unsrer Industrie völlig
unzureichend sind. Unsre Parteien müssen sich darüber klar werden, ob sie
für Deutschland Exportindustrie und Seehandel haben wollen oder nicht. Halten
sie beides für notwendige Lebensbedingungen des neuen Deutschlands, so würde
die Ablehnung der Flottenvermehrung einfach keinen Sinn haben. Gerade die
Klassen der Bevölkerung, die den Hnuptvorteil von Handel und Industrie
haben, müssen hierbei in Opferwilligkeit vorangehen, wenn sie nicht ihre
völlige politische Unreife verraten wollen. Ohne Blüte der nationalen Industrie
giebt es weder gute Unternehmergewinne, noch gute Arbeitslöhne; Unternehmer
wie Arbeiter sind also gemeinsam an dem Schutz des Exporthandels interessirt.
Das „uferlose" Geschwätz muß endlich verstummen und handlichem Erwägungen
Platz machen. Parteien, die notwendige Forderungen ablehnen und mit Rück¬
sicht auf den Wühlerfaug immer nur Einschränkung der Staatsausgaben als
höchste Weisheit zu predigen wisse», zeigen das Gegenteil von politischer Klug¬
heit. Ihr Standpunkt ist genau derselbe, wie der des vielbelachten Herzogs
von Mecklenburg, der kurz vor dem Kriege 1806 auf ein von Preußen ge¬
stelltes Urhunde», zu den Verpslegungskvsteu der Armee beizutragen, erwiderte:
so dankbar er den preußischen Schutz benutzen würde, wenn er sich in Gefahr
glaube, so dringend müsse er sich unter den gegenwärtigen Umständen eine
Beitragsleistnng verbitten!

Wir feiern bald den hundertste» Geburtstag des ersten Kaisers unsers neuen
deutschen Reichs, wir feiern in diesem Jahre auch die hnndertjührige Thron¬
besteigung Friedrich Wilhelms III. Er war eiuer der edelsten und besten
deutschen Monarchen aller Zeiten, und doch hat Preußen unter ihm die entsetz¬
liche Demütigung von Jena, die Schmach und den finanziellen Druck der sieben¬
jährigen Fremdherrschaft zu tragen gehabt. Dann aber konnte, schon zwei
Wochen nach dem Tilsiter Frieden, das Neorganisativnswerk beginnen, weil kein
Einsichtiger mehr im Zweifel war, was geschehen müsse; dem junge» Könige
hatten nur in den erste» zch» Jahre» seiner Regierung die Festigkeit und der
Entschluß gefehlt, die notwendige» Opfer vo» seinem Volke zu fordern. Sind
wir im Laufe dieses Jahrhunders soweit politisch gereift, daß wir die nötige»
Opfer freiwillig bringen, oder wollen wir wieder warten, bis uns eine fremde
Macht das Ungenügende unsrer Rüstung in empfindlichster Weise fühlbar macht?

Daß wir uns in absehbarer Zeit als ebenbürtige Seemacht neben Eng¬
land stellen könnten, ist ja vornherein ausgeschlossen; aber wir müssen unsre
Marine in einen Stand setzen, der uns einem Gegner Englands als respektabel»
und wünschenswerten Bundesgenossen erscheinen läßt.

Noch etwas andres scheint uns England gegenüber für unsre Politik
dringend nötig zu sein, was ihm die Lust, unsern Seehandel zu vergewaltigen,
verderben könnte. An eine» Seeangriff ans englisches Festland oder an eine»


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[0426] Englische Gffeuherzigkeite» Angesichts dieser Thatsachen dürfen wir uns nicht verhehlen, daß unsre maritimen Kräfte zum Schutze unsers Handels und unsrer Industrie völlig unzureichend sind. Unsre Parteien müssen sich darüber klar werden, ob sie für Deutschland Exportindustrie und Seehandel haben wollen oder nicht. Halten sie beides für notwendige Lebensbedingungen des neuen Deutschlands, so würde die Ablehnung der Flottenvermehrung einfach keinen Sinn haben. Gerade die Klassen der Bevölkerung, die den Hnuptvorteil von Handel und Industrie haben, müssen hierbei in Opferwilligkeit vorangehen, wenn sie nicht ihre völlige politische Unreife verraten wollen. Ohne Blüte der nationalen Industrie giebt es weder gute Unternehmergewinne, noch gute Arbeitslöhne; Unternehmer wie Arbeiter sind also gemeinsam an dem Schutz des Exporthandels interessirt. Das „uferlose" Geschwätz muß endlich verstummen und handlichem Erwägungen Platz machen. Parteien, die notwendige Forderungen ablehnen und mit Rück¬ sicht auf den Wühlerfaug immer nur Einschränkung der Staatsausgaben als höchste Weisheit zu predigen wisse», zeigen das Gegenteil von politischer Klug¬ heit. Ihr Standpunkt ist genau derselbe, wie der des vielbelachten Herzogs von Mecklenburg, der kurz vor dem Kriege 1806 auf ein von Preußen ge¬ stelltes Urhunde», zu den Verpslegungskvsteu der Armee beizutragen, erwiderte: so dankbar er den preußischen Schutz benutzen würde, wenn er sich in Gefahr glaube, so dringend müsse er sich unter den gegenwärtigen Umständen eine Beitragsleistnng verbitten! Wir feiern bald den hundertste» Geburtstag des ersten Kaisers unsers neuen deutschen Reichs, wir feiern in diesem Jahre auch die hnndertjührige Thron¬ besteigung Friedrich Wilhelms III. Er war eiuer der edelsten und besten deutschen Monarchen aller Zeiten, und doch hat Preußen unter ihm die entsetz¬ liche Demütigung von Jena, die Schmach und den finanziellen Druck der sieben¬ jährigen Fremdherrschaft zu tragen gehabt. Dann aber konnte, schon zwei Wochen nach dem Tilsiter Frieden, das Neorganisativnswerk beginnen, weil kein Einsichtiger mehr im Zweifel war, was geschehen müsse; dem junge» Könige hatten nur in den erste» zch» Jahre» seiner Regierung die Festigkeit und der Entschluß gefehlt, die notwendige» Opfer vo» seinem Volke zu fordern. Sind wir im Laufe dieses Jahrhunders soweit politisch gereift, daß wir die nötige» Opfer freiwillig bringen, oder wollen wir wieder warten, bis uns eine fremde Macht das Ungenügende unsrer Rüstung in empfindlichster Weise fühlbar macht? Daß wir uns in absehbarer Zeit als ebenbürtige Seemacht neben Eng¬ land stellen könnten, ist ja vornherein ausgeschlossen; aber wir müssen unsre Marine in einen Stand setzen, der uns einem Gegner Englands als respektabel» und wünschenswerten Bundesgenossen erscheinen läßt. Noch etwas andres scheint uns England gegenüber für unsre Politik dringend nötig zu sein, was ihm die Lust, unsern Seehandel zu vergewaltigen, verderben könnte. An eine» Seeangriff ans englisches Festland oder an eine»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/426>, abgerufen am 26.06.2024.