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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Antiker und moderner Militarismus

Personalunion verbunden, das Elsaß mit Straßburg eben französisch geworden
ist. Der König von England ist als Kurfürst von Hannover, der König von
Polen als Kurfürst von Sachsen, die Herrscher von Schweden und Dänemark
sind als Besitzer deutscher Territorien deutsche Reichsstände, von den nicht¬
deutschen Interessen des habsburgischen Kaisers zu schweigen; es ist sogar ernstlich
die Frage erwogen worden, den König von Frankreich als Besitzer des Elsaß
in den Kreis deutscher Fürsten aufzunehmen. Diesen Thatsachen entspricht
es, daß, soweit von politischen Interessen in Deutschland überhaupt noch die
Rede ist, diese Interessen fast ausschließlich fremdländische sind. Ist es nicht
fast ein Wunder zu nennen, wie sich dieses Chaos in dem Zeitraum von etwa
anderthalb Jahrhunderten zu einer starken nationalen Organisation geklärt hat?
Was hat diesen Wandel herbeigeführt? Der staatlich zusammengefaßte Wille des
Volkes unter Führung der Hohenzollern! Was ist das Mittel gewesen? Die
Waffen und nur die Waffen. Der Traum vom ewigen Frieden ist schon alt,
hat sich aber bei Interessenkonflikten noch immer nicht verwirkliche,? lassen. Zur
Zeit der Bauernbewegung gingen die Forderungen auch schon auf Herstellung
von Ruhe und Frieden, die alten Bauern hatten radikal, und einsichtiger als
Frau von Suttner, gleich hinzugesetzt: wer nicht für den allgemeinen Frieden
ist, wird totgeschlagen, wenn er nicht gegen den Türken ziehen will.

Der große Vorläufer des deutschen Nationalstaates ist niemand anders
als König Friedrich der Große. Wer die politisch-militärische Korrespondenz
des Königs aus dem siebenjährigen Kriege durchsieht, ist überrascht von der
klaren Erfassung der deutschen Frage; sein Eintreten für das Hans Wittels-
bach, sein letztes Werk, der Fürstenbund, alles ist von dem gleichen nationalen
Geiste durchweht. Thörichterweise hat gerade der Liberalismus an der Vor¬
liebe des Königs für die französische Sprache und französische Einrichtungen
gern gemäkelt. Als ob der westdeutsche Liberalismus nicht bis 1848 und noch
länger in französischen Mustern sein Vorbild gesehen hätte. Und beides von
Rechts wegen! Denn Frankreich war uns seinerzeit in diesen Dingen voraus,
und der Zusammenhang der westeuropäischen Kultur ist eine Thatsache, an der
heute wohl niemand mehr zweifelt.

Der zweite Große, der hier zu nennen ist, der eigentliche Fortsetzer
Friedrichs auf militärischem Gebiet ist Scharnhorst. Er mit seinen Freunden
und Schülern hat im Anfange dieses Jahrhunderts die noch heute bestehenden
Grundlagen des nationalen Heeres geschaffen.

"Alle Bewohner des Staates sind geborne Verteidiger desselben," das ist
der Z 1 seines Entwurfs für die Bildung einer Reservearmee, und damit ist
das französische Prinzip der Konskription, das Stellvertretung und Loskauf ge¬
stattet, durch das höhere der wirklichen allgemeinen Wehrpflicht überholt. Auch
das Krümpershstem ist nur eine neue Rekrutirung; man entließ nicht die Nen-
eingestellten nach wenigen Monaten, sondern statt ihrer die ältesten Soldaten.


Antiker und moderner Militarismus

Personalunion verbunden, das Elsaß mit Straßburg eben französisch geworden
ist. Der König von England ist als Kurfürst von Hannover, der König von
Polen als Kurfürst von Sachsen, die Herrscher von Schweden und Dänemark
sind als Besitzer deutscher Territorien deutsche Reichsstände, von den nicht¬
deutschen Interessen des habsburgischen Kaisers zu schweigen; es ist sogar ernstlich
die Frage erwogen worden, den König von Frankreich als Besitzer des Elsaß
in den Kreis deutscher Fürsten aufzunehmen. Diesen Thatsachen entspricht
es, daß, soweit von politischen Interessen in Deutschland überhaupt noch die
Rede ist, diese Interessen fast ausschließlich fremdländische sind. Ist es nicht
fast ein Wunder zu nennen, wie sich dieses Chaos in dem Zeitraum von etwa
anderthalb Jahrhunderten zu einer starken nationalen Organisation geklärt hat?
Was hat diesen Wandel herbeigeführt? Der staatlich zusammengefaßte Wille des
Volkes unter Führung der Hohenzollern! Was ist das Mittel gewesen? Die
Waffen und nur die Waffen. Der Traum vom ewigen Frieden ist schon alt,
hat sich aber bei Interessenkonflikten noch immer nicht verwirkliche,? lassen. Zur
Zeit der Bauernbewegung gingen die Forderungen auch schon auf Herstellung
von Ruhe und Frieden, die alten Bauern hatten radikal, und einsichtiger als
Frau von Suttner, gleich hinzugesetzt: wer nicht für den allgemeinen Frieden
ist, wird totgeschlagen, wenn er nicht gegen den Türken ziehen will.

Der große Vorläufer des deutschen Nationalstaates ist niemand anders
als König Friedrich der Große. Wer die politisch-militärische Korrespondenz
des Königs aus dem siebenjährigen Kriege durchsieht, ist überrascht von der
klaren Erfassung der deutschen Frage; sein Eintreten für das Hans Wittels-
bach, sein letztes Werk, der Fürstenbund, alles ist von dem gleichen nationalen
Geiste durchweht. Thörichterweise hat gerade der Liberalismus an der Vor¬
liebe des Königs für die französische Sprache und französische Einrichtungen
gern gemäkelt. Als ob der westdeutsche Liberalismus nicht bis 1848 und noch
länger in französischen Mustern sein Vorbild gesehen hätte. Und beides von
Rechts wegen! Denn Frankreich war uns seinerzeit in diesen Dingen voraus,
und der Zusammenhang der westeuropäischen Kultur ist eine Thatsache, an der
heute wohl niemand mehr zweifelt.

Der zweite Große, der hier zu nennen ist, der eigentliche Fortsetzer
Friedrichs auf militärischem Gebiet ist Scharnhorst. Er mit seinen Freunden
und Schülern hat im Anfange dieses Jahrhunderts die noch heute bestehenden
Grundlagen des nationalen Heeres geschaffen.

„Alle Bewohner des Staates sind geborne Verteidiger desselben," das ist
der Z 1 seines Entwurfs für die Bildung einer Reservearmee, und damit ist
das französische Prinzip der Konskription, das Stellvertretung und Loskauf ge¬
stattet, durch das höhere der wirklichen allgemeinen Wehrpflicht überholt. Auch
das Krümpershstem ist nur eine neue Rekrutirung; man entließ nicht die Nen-
eingestellten nach wenigen Monaten, sondern statt ihrer die ältesten Soldaten.


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[0330] Antiker und moderner Militarismus Personalunion verbunden, das Elsaß mit Straßburg eben französisch geworden ist. Der König von England ist als Kurfürst von Hannover, der König von Polen als Kurfürst von Sachsen, die Herrscher von Schweden und Dänemark sind als Besitzer deutscher Territorien deutsche Reichsstände, von den nicht¬ deutschen Interessen des habsburgischen Kaisers zu schweigen; es ist sogar ernstlich die Frage erwogen worden, den König von Frankreich als Besitzer des Elsaß in den Kreis deutscher Fürsten aufzunehmen. Diesen Thatsachen entspricht es, daß, soweit von politischen Interessen in Deutschland überhaupt noch die Rede ist, diese Interessen fast ausschließlich fremdländische sind. Ist es nicht fast ein Wunder zu nennen, wie sich dieses Chaos in dem Zeitraum von etwa anderthalb Jahrhunderten zu einer starken nationalen Organisation geklärt hat? Was hat diesen Wandel herbeigeführt? Der staatlich zusammengefaßte Wille des Volkes unter Führung der Hohenzollern! Was ist das Mittel gewesen? Die Waffen und nur die Waffen. Der Traum vom ewigen Frieden ist schon alt, hat sich aber bei Interessenkonflikten noch immer nicht verwirkliche,? lassen. Zur Zeit der Bauernbewegung gingen die Forderungen auch schon auf Herstellung von Ruhe und Frieden, die alten Bauern hatten radikal, und einsichtiger als Frau von Suttner, gleich hinzugesetzt: wer nicht für den allgemeinen Frieden ist, wird totgeschlagen, wenn er nicht gegen den Türken ziehen will. Der große Vorläufer des deutschen Nationalstaates ist niemand anders als König Friedrich der Große. Wer die politisch-militärische Korrespondenz des Königs aus dem siebenjährigen Kriege durchsieht, ist überrascht von der klaren Erfassung der deutschen Frage; sein Eintreten für das Hans Wittels- bach, sein letztes Werk, der Fürstenbund, alles ist von dem gleichen nationalen Geiste durchweht. Thörichterweise hat gerade der Liberalismus an der Vor¬ liebe des Königs für die französische Sprache und französische Einrichtungen gern gemäkelt. Als ob der westdeutsche Liberalismus nicht bis 1848 und noch länger in französischen Mustern sein Vorbild gesehen hätte. Und beides von Rechts wegen! Denn Frankreich war uns seinerzeit in diesen Dingen voraus, und der Zusammenhang der westeuropäischen Kultur ist eine Thatsache, an der heute wohl niemand mehr zweifelt. Der zweite Große, der hier zu nennen ist, der eigentliche Fortsetzer Friedrichs auf militärischem Gebiet ist Scharnhorst. Er mit seinen Freunden und Schülern hat im Anfange dieses Jahrhunderts die noch heute bestehenden Grundlagen des nationalen Heeres geschaffen. „Alle Bewohner des Staates sind geborne Verteidiger desselben," das ist der Z 1 seines Entwurfs für die Bildung einer Reservearmee, und damit ist das französische Prinzip der Konskription, das Stellvertretung und Loskauf ge¬ stattet, durch das höhere der wirklichen allgemeinen Wehrpflicht überholt. Auch das Krümpershstem ist nur eine neue Rekrutirung; man entließ nicht die Nen- eingestellten nach wenigen Monaten, sondern statt ihrer die ältesten Soldaten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/330>, abgerufen am 26.06.2024.