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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

auf die zwei Bände, in denen er diese Dinge darstellt, "das Zeitalter der
Fugger" setzen und so das Zeitalter der Reformation umlaufen.") Mehr noch
als die Zeit, die er beschreibt, berechtigt ihn das dazu, was darauf gefolgt ist.
Wer wagt wohl zu behaupten, daß Luther, wenn er wiederkäme, von dem in
den verschiedensten Stilarten weitergeführten Ausbau seines Werks befriedigt
sein würde? Dagegen würde der große Geldmann, fein Zeitgenosse und
Gegner, beim Anblick unsers heutigen Finanzwesens sicherlich voll Entzücken
ausrufen: Das übertrifft meine kühnsten Träume! Und dann: welche Rolle
spielen denn heute im Völkerleben die christliche Religion, die protestantische
Theologie und die evangelische Kirche, und welche Rolle spielt das Geld?
Über den ersten Band, der die Geschichte der großen Bankhäuser des sechzehnten
Jahrhunderts, besonders der deutschen, der Augsburger, erzählt, soll von
einem andern Mitarbeiter berichtet werden. Darum wollen wir hier die Haupt¬
ergebnisse des zweiten, der "die Weltbörsen und Finanzkrisen des sechzehnten
Jahrhunderts" behandelt, kurz zusammenfassen. Wer auf den Namen eines
Geschichtskenners Anspruch machen will, der muß das die historische Forschung
ein gut Stück weiter fördernde Werk selbst studiren.

Die mittelalterliche Naturalwirtschaft in die Geld- und Kreditwirtschaft
übergeführt zu haben, ist bekanntlich das Verdienst der Italiener, namentlich
der Florentiner. Nicht wenig ist ihnen dabei die römische Kurie behilflich ge¬
wesen, die erste und längere Zeit hindurch die einzige große Geldsammlerin
und Kapitalsmacht des Mittelalters. Die Medici und ihre heimischen Kon¬
kurrenten wurden von den Augsburger Häusern, unter denen das Fuggersche
das größte war, abgelöst. Gleich den Florentinern verwerteten die Augsburger
das im Warenhandel erworbne Geldkapital durch Darlehen an die Fürsten.
Und es traf sich, daß dem über den Umfang früherer Zeiten hinausgehenden
Angebot eine gewaltige, stetig steigende Nachfrage entsprach: die kriegführenden
Mächte bedurften immer größerer Söldnerheere, und mit Ausnahme des Königs
von Frankreich hatte kein Fürst unmittelbaren Zugang zu den Geldbeuteln
seiner Unterthanen. Die Fugger, die Antwerpner Börse, dann die Genueser
hatten das Geld aufzubringen, das die spanischen Habsburger brauchten, sich
selbst und ihre Länder zu ruiniren, während die Florentiner, jetzt nicht mehr
Geldmächte, sondern nur noch Finanzkünstler, das französische Finanzwesen
organisierten. Den Gläubigern Spaniens dienten die spanischen Silberflotten,
die verpfändeten Staatseinkünfte, die Quecksilberbergwerke von Alander als
Deckung, und die meisten dieser Deckungsmittel mußten erst von Fuggerschen
Und Genueser Agenten in Spanien selbst verwirklicht werden, was oft nur



Das Zeitalter der Fugger, Gcldknpitnl und Kreditverkehr im sechzehnten Jahr¬
hundert, Von Dr, Richard Ehrenberg, 1. Band: Die Gcldmitchte des sechzehnten Jahr¬
hunderts, 2, Band: Die Weltbörsen und Finanzkrisen des sechzehnten Jahrhunderts, Jena,
Gustav Fischer,
Die Entstehung des Staatsschuldenwesens und der Börsen

auf die zwei Bände, in denen er diese Dinge darstellt, „das Zeitalter der
Fugger" setzen und so das Zeitalter der Reformation umlaufen.") Mehr noch
als die Zeit, die er beschreibt, berechtigt ihn das dazu, was darauf gefolgt ist.
Wer wagt wohl zu behaupten, daß Luther, wenn er wiederkäme, von dem in
den verschiedensten Stilarten weitergeführten Ausbau seines Werks befriedigt
sein würde? Dagegen würde der große Geldmann, fein Zeitgenosse und
Gegner, beim Anblick unsers heutigen Finanzwesens sicherlich voll Entzücken
ausrufen: Das übertrifft meine kühnsten Träume! Und dann: welche Rolle
spielen denn heute im Völkerleben die christliche Religion, die protestantische
Theologie und die evangelische Kirche, und welche Rolle spielt das Geld?
Über den ersten Band, der die Geschichte der großen Bankhäuser des sechzehnten
Jahrhunderts, besonders der deutschen, der Augsburger, erzählt, soll von
einem andern Mitarbeiter berichtet werden. Darum wollen wir hier die Haupt¬
ergebnisse des zweiten, der „die Weltbörsen und Finanzkrisen des sechzehnten
Jahrhunderts" behandelt, kurz zusammenfassen. Wer auf den Namen eines
Geschichtskenners Anspruch machen will, der muß das die historische Forschung
ein gut Stück weiter fördernde Werk selbst studiren.

Die mittelalterliche Naturalwirtschaft in die Geld- und Kreditwirtschaft
übergeführt zu haben, ist bekanntlich das Verdienst der Italiener, namentlich
der Florentiner. Nicht wenig ist ihnen dabei die römische Kurie behilflich ge¬
wesen, die erste und längere Zeit hindurch die einzige große Geldsammlerin
und Kapitalsmacht des Mittelalters. Die Medici und ihre heimischen Kon¬
kurrenten wurden von den Augsburger Häusern, unter denen das Fuggersche
das größte war, abgelöst. Gleich den Florentinern verwerteten die Augsburger
das im Warenhandel erworbne Geldkapital durch Darlehen an die Fürsten.
Und es traf sich, daß dem über den Umfang früherer Zeiten hinausgehenden
Angebot eine gewaltige, stetig steigende Nachfrage entsprach: die kriegführenden
Mächte bedurften immer größerer Söldnerheere, und mit Ausnahme des Königs
von Frankreich hatte kein Fürst unmittelbaren Zugang zu den Geldbeuteln
seiner Unterthanen. Die Fugger, die Antwerpner Börse, dann die Genueser
hatten das Geld aufzubringen, das die spanischen Habsburger brauchten, sich
selbst und ihre Länder zu ruiniren, während die Florentiner, jetzt nicht mehr
Geldmächte, sondern nur noch Finanzkünstler, das französische Finanzwesen
organisierten. Den Gläubigern Spaniens dienten die spanischen Silberflotten,
die verpfändeten Staatseinkünfte, die Quecksilberbergwerke von Alander als
Deckung, und die meisten dieser Deckungsmittel mußten erst von Fuggerschen
Und Genueser Agenten in Spanien selbst verwirklicht werden, was oft nur



Das Zeitalter der Fugger, Gcldknpitnl und Kreditverkehr im sechzehnten Jahr¬
hundert, Von Dr, Richard Ehrenberg, 1. Band: Die Gcldmitchte des sechzehnten Jahr¬
hunderts, 2, Band: Die Weltbörsen und Finanzkrisen des sechzehnten Jahrhunderts, Jena,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/283>, abgerufen am 19.10.2024.