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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

an dem starren Festhalten Rudinis an seinem Verlangen scheiterten im Früh¬
jahr die fast schon zum guten Ende geführten Friedensverhandlungen. Damals
lauteten die Bedingungen Meneliks hinsichtlich der Grenze günstiger als heute,
und es ist nicht zu leugnen, daß die jetzige Nachgiebigkeit in dem Punkte der
fremden Schutzherrschaft einen diplomatischen Mißerfolg des Kabinetts Rudini
bedeutet. Die Regierungsblätter geben das nicht zu und behaupten ebenso
wie der Verkehrsminister Sineo in einer kurz nach dem Friedensschluß an
seine Wähler gehaltnen Programmrede: die Erklärung der absoluten Unabhängig¬
keit Abessiniens schließe eben die Möglichkeit irgend einer fremdstaatlichen
Schutzherrschaft aus. Im Ernst kann das wohl kaum behauptet werden.

Vielleicht ist Menelik aber auch von einem andern Gedanken geleitet
worden. Wenn auch die italienische Schutzherrschaft aufgegeben ist, so bleibt
doch die Thatsache bestehen, daß das ganze Abessinien auf Grund internationaler
Verträge in den italienischen Einflußbereich eingeschlossen wurde. Es scheint
fast, als solle der Artikel 3 sich hiergegen wenden und für das abessinische
Reich eine Sonderstellung gegenüber andern afrikanischen Staaten, wie z.B.
Sansibar, Dahome, Madagaskar u. ni., beanspruchen. Ohne internationale
Vereinbarung kann das nicht geschehen, und so wußten französische Blätter
flugs von einer bevorstehenden europäischen Konferenz zur Regelung dieser
Frage zu berichten. Auch von dem Allheilmittel politischer Weltverbesserer,
einer etwaigen Neutralisation Abessiniens, sprachen sie schon. Von weitern
Früchten des Artikel 3 wird noch die Rede sein.

Artikel 4. Da ein Einverständnis der beiden vertragschließenden Parteien
über die endgiltige Festsetzung der Grenze nicht hat erzielt werden können, und da
sie den Wunsch hege", trotzdem ohne Verzug Frieden zu schließen und ihren Ländern
die Segnungen des Friedens zu sichern, wird vereinbart, daß innerhalb eines
Jahres vom Vertragsschlusse an gerechnet Vertrauensmänner S. M. des Königs
von Italien und S. M. des Kaisers von Äthiopier die endgiltige Greuze in
freundschaftlichem Einvernehmen festlegen sollen. Bis dahin soll der solus "iuo
toto in Geltung bleiben und beiden Parteien streng untersagt sein, die vorläufige
Greuze, d. i. die Linie der Flußläufe March-Belesa-Multa, zu überschreiten.

Dieser Artikel bildet den dunkeln Punkt des Vertrags, denn die Grenz-
berichtiguug kann leicht zur Trübung des guten Einvernehmens führen, wenn
Italien sie nicht vielleicht durch freiwillige Räumung der Grenzprovinzen
Serao und Okulö Kusai kurzer Hand erledigt. Gleich nach der unglücklichen
Schlacht bei Ätna dachte die italienische Regierung nicht an solche Nachgiebig¬
keit; tadelte sie doch scharf den damaligen Friedensunterhändler Major Salsa,
weil er eigenmächtig (?) dem Negus Regest gesagt hatte: Italien verlange nur
seiner Ehre wegen die March-Belesa-Multa-Grenze, werde sich aber voraus¬
sichtlich später freiwillig weiter nach Norden zurückziehen. Und vor der Volks¬
vertretung erklärte die Negierung feierlich: lieber einen neuen, opferreichen
Krieg, als die Aufgabe auch nur einer Handbreit von dem Gebiete nördlich


Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen

an dem starren Festhalten Rudinis an seinem Verlangen scheiterten im Früh¬
jahr die fast schon zum guten Ende geführten Friedensverhandlungen. Damals
lauteten die Bedingungen Meneliks hinsichtlich der Grenze günstiger als heute,
und es ist nicht zu leugnen, daß die jetzige Nachgiebigkeit in dem Punkte der
fremden Schutzherrschaft einen diplomatischen Mißerfolg des Kabinetts Rudini
bedeutet. Die Regierungsblätter geben das nicht zu und behaupten ebenso
wie der Verkehrsminister Sineo in einer kurz nach dem Friedensschluß an
seine Wähler gehaltnen Programmrede: die Erklärung der absoluten Unabhängig¬
keit Abessiniens schließe eben die Möglichkeit irgend einer fremdstaatlichen
Schutzherrschaft aus. Im Ernst kann das wohl kaum behauptet werden.

Vielleicht ist Menelik aber auch von einem andern Gedanken geleitet
worden. Wenn auch die italienische Schutzherrschaft aufgegeben ist, so bleibt
doch die Thatsache bestehen, daß das ganze Abessinien auf Grund internationaler
Verträge in den italienischen Einflußbereich eingeschlossen wurde. Es scheint
fast, als solle der Artikel 3 sich hiergegen wenden und für das abessinische
Reich eine Sonderstellung gegenüber andern afrikanischen Staaten, wie z.B.
Sansibar, Dahome, Madagaskar u. ni., beanspruchen. Ohne internationale
Vereinbarung kann das nicht geschehen, und so wußten französische Blätter
flugs von einer bevorstehenden europäischen Konferenz zur Regelung dieser
Frage zu berichten. Auch von dem Allheilmittel politischer Weltverbesserer,
einer etwaigen Neutralisation Abessiniens, sprachen sie schon. Von weitern
Früchten des Artikel 3 wird noch die Rede sein.

Artikel 4. Da ein Einverständnis der beiden vertragschließenden Parteien
über die endgiltige Festsetzung der Grenze nicht hat erzielt werden können, und da
sie den Wunsch hege», trotzdem ohne Verzug Frieden zu schließen und ihren Ländern
die Segnungen des Friedens zu sichern, wird vereinbart, daß innerhalb eines
Jahres vom Vertragsschlusse an gerechnet Vertrauensmänner S. M. des Königs
von Italien und S. M. des Kaisers von Äthiopier die endgiltige Greuze in
freundschaftlichem Einvernehmen festlegen sollen. Bis dahin soll der solus «iuo
toto in Geltung bleiben und beiden Parteien streng untersagt sein, die vorläufige
Greuze, d. i. die Linie der Flußläufe March-Belesa-Multa, zu überschreiten.

Dieser Artikel bildet den dunkeln Punkt des Vertrags, denn die Grenz-
berichtiguug kann leicht zur Trübung des guten Einvernehmens führen, wenn
Italien sie nicht vielleicht durch freiwillige Räumung der Grenzprovinzen
Serao und Okulö Kusai kurzer Hand erledigt. Gleich nach der unglücklichen
Schlacht bei Ätna dachte die italienische Regierung nicht an solche Nachgiebig¬
keit; tadelte sie doch scharf den damaligen Friedensunterhändler Major Salsa,
weil er eigenmächtig (?) dem Negus Regest gesagt hatte: Italien verlange nur
seiner Ehre wegen die March-Belesa-Multa-Grenze, werde sich aber voraus¬
sichtlich später freiwillig weiter nach Norden zurückziehen. Und vor der Volks¬
vertretung erklärte die Negierung feierlich: lieber einen neuen, opferreichen
Krieg, als die Aufgabe auch nur einer Handbreit von dem Gebiete nördlich


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[0276] Der Friede von Abif Abeba und seine Folgen an dem starren Festhalten Rudinis an seinem Verlangen scheiterten im Früh¬ jahr die fast schon zum guten Ende geführten Friedensverhandlungen. Damals lauteten die Bedingungen Meneliks hinsichtlich der Grenze günstiger als heute, und es ist nicht zu leugnen, daß die jetzige Nachgiebigkeit in dem Punkte der fremden Schutzherrschaft einen diplomatischen Mißerfolg des Kabinetts Rudini bedeutet. Die Regierungsblätter geben das nicht zu und behaupten ebenso wie der Verkehrsminister Sineo in einer kurz nach dem Friedensschluß an seine Wähler gehaltnen Programmrede: die Erklärung der absoluten Unabhängig¬ keit Abessiniens schließe eben die Möglichkeit irgend einer fremdstaatlichen Schutzherrschaft aus. Im Ernst kann das wohl kaum behauptet werden. Vielleicht ist Menelik aber auch von einem andern Gedanken geleitet worden. Wenn auch die italienische Schutzherrschaft aufgegeben ist, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß das ganze Abessinien auf Grund internationaler Verträge in den italienischen Einflußbereich eingeschlossen wurde. Es scheint fast, als solle der Artikel 3 sich hiergegen wenden und für das abessinische Reich eine Sonderstellung gegenüber andern afrikanischen Staaten, wie z.B. Sansibar, Dahome, Madagaskar u. ni., beanspruchen. Ohne internationale Vereinbarung kann das nicht geschehen, und so wußten französische Blätter flugs von einer bevorstehenden europäischen Konferenz zur Regelung dieser Frage zu berichten. Auch von dem Allheilmittel politischer Weltverbesserer, einer etwaigen Neutralisation Abessiniens, sprachen sie schon. Von weitern Früchten des Artikel 3 wird noch die Rede sein. Artikel 4. Da ein Einverständnis der beiden vertragschließenden Parteien über die endgiltige Festsetzung der Grenze nicht hat erzielt werden können, und da sie den Wunsch hege», trotzdem ohne Verzug Frieden zu schließen und ihren Ländern die Segnungen des Friedens zu sichern, wird vereinbart, daß innerhalb eines Jahres vom Vertragsschlusse an gerechnet Vertrauensmänner S. M. des Königs von Italien und S. M. des Kaisers von Äthiopier die endgiltige Greuze in freundschaftlichem Einvernehmen festlegen sollen. Bis dahin soll der solus «iuo toto in Geltung bleiben und beiden Parteien streng untersagt sein, die vorläufige Greuze, d. i. die Linie der Flußläufe March-Belesa-Multa, zu überschreiten. Dieser Artikel bildet den dunkeln Punkt des Vertrags, denn die Grenz- berichtiguug kann leicht zur Trübung des guten Einvernehmens führen, wenn Italien sie nicht vielleicht durch freiwillige Räumung der Grenzprovinzen Serao und Okulö Kusai kurzer Hand erledigt. Gleich nach der unglücklichen Schlacht bei Ätna dachte die italienische Regierung nicht an solche Nachgiebig¬ keit; tadelte sie doch scharf den damaligen Friedensunterhändler Major Salsa, weil er eigenmächtig (?) dem Negus Regest gesagt hatte: Italien verlange nur seiner Ehre wegen die March-Belesa-Multa-Grenze, werde sich aber voraus¬ sichtlich später freiwillig weiter nach Norden zurückziehen. Und vor der Volks¬ vertretung erklärte die Negierung feierlich: lieber einen neuen, opferreichen Krieg, als die Aufgabe auch nur einer Handbreit von dem Gebiete nördlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/276>, abgerufen am 18.06.2024.