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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Jenseits der Mainlinie

Leibe haben mögen, ob sie zornig werden, ob sie hart, boshaft und nieder¬
trächtig sein können? Schon früher einmal, in einem böhmischen Bade, war
mir der Gedanke gekommen, als ich die Wirtstochter das Stubenmädchen rufen
hörte. Reesi (o abwärts) sang sie mit ihrer wirklich wunderschönen Stimme,
ein halbes oder ganzes Dutzend mal. Erst das letztemal wählte sie die Melodie
a> v (aufwärts), wobei das i ein klein wenig scharf und spitz herauskam. Na,
dachte ich, das müßte eine norddeutsche Hausfrau oder Hausjungfrau sein!
Der ihr Anranzen läßt sich schlechterdings nicht auf Noten setzen. Nun, daß
die Alemannen keine Engel sind, habe ich ja mit der Zeit erfahren, aber auch
im Streit behält das Wechselgespräch den Gesangton, und ich glaube doch,
daß der Sprachgesang größere Milde der Gemütsart bekundet und es auch
bei ausgebrochnem Streit nicht so leicht zum äußersten kommen läßt wie in
Gegenden, wo der scharfe Klang der erbitterten Gegenrede schon an sich reizt.

Aber eben dieser Weichheit wegen, die vielleicht von der Beimischung
keltischen und romanischen Blutes, vielleicht auch von der milden Luft kommt,
scheint der Alemannenstamm nicht zur Herrschaft in Deutschland berufen zu
sein und würde sie wahrscheinlich auch dann nicht erlangt haben, wenn ihm
die geographische Lage und die geschichtliche Entwicklung günstiger gewesen
wären. Weder das Kommando, das zum Drill und zur Leitung gewaltiger
Heere erfordert wird, noch der Lapidarstil, der sich für welterschütternde Kund¬
gebungen geziemt, läßt sich im gemütlichen Dialekt und nach einer Melodie
abgeleiert denken; der am meisten pathetische von unsern großen Dichtern Hütte
die Wirkungen, die er erzielt hat, nimmermehr erzielen können, wenn sich ihm
nicht das Hochdeutsche als angemessenes Ausdrucksmittel dargeboten hätte und
er aus seinen schwäbischen Dialekt angewiesen gewesen wäre; bekanntlich durfte
er seine Dramen nicht selbst vorlesen, wenn er nicht von vornherein ein un¬
günstiges Vorurteil dagegen erwecken wollte. Und wie wäre es denkbar, daß
die alten Römer italienisch gesprochen oder gesungen hätten! Alban Stolz
hat das Italienische ganz treffend ein Latein genannt, dem die Knochen heraus¬
gebrochen worden sind. Es ist gut, um Liebeslieder zu girren, um angenehm zu
plaudern, um lustige oder gefühlvolle Geschichten zu erzählen, und auch zum
Jntriguiren und zum Schächern eignet es sich vortrefflich, aber es ist keine Sprache
für Imperatoren, die Völker unterjochen und der Welt Gesetze auferlegen. Wo
wir, wie bei Dante, härteres Metall erklingen hören, da ist an die Beimischung
germanischen Blutes zu denken, das am Ende des dreizehnten Jahrhunderts noch
nicht bis zum Verschwinden verdünnt war. Die Erben der römischen Weltherr¬
schaft, die Päpste, verkünden ihre Gesetze und Entscheidungen bis auf deu heutigen
Tag in lateinischer Sprache. Freilich hat dieses salbungsvolle Kirchenlatein
nichts mehr von der Straffheit, Korrektheit und Kraft des alten Latein,
während sich diese Eigenschaften in den alten Kirchengebeten noch einigermaßen
erhalten haben. Je mehr die Päpste auf den Gebrauch des körperlichen


Jenseits der Mainlinie

Leibe haben mögen, ob sie zornig werden, ob sie hart, boshaft und nieder¬
trächtig sein können? Schon früher einmal, in einem böhmischen Bade, war
mir der Gedanke gekommen, als ich die Wirtstochter das Stubenmädchen rufen
hörte. Reesi (o abwärts) sang sie mit ihrer wirklich wunderschönen Stimme,
ein halbes oder ganzes Dutzend mal. Erst das letztemal wählte sie die Melodie
a> v (aufwärts), wobei das i ein klein wenig scharf und spitz herauskam. Na,
dachte ich, das müßte eine norddeutsche Hausfrau oder Hausjungfrau sein!
Der ihr Anranzen läßt sich schlechterdings nicht auf Noten setzen. Nun, daß
die Alemannen keine Engel sind, habe ich ja mit der Zeit erfahren, aber auch
im Streit behält das Wechselgespräch den Gesangton, und ich glaube doch,
daß der Sprachgesang größere Milde der Gemütsart bekundet und es auch
bei ausgebrochnem Streit nicht so leicht zum äußersten kommen läßt wie in
Gegenden, wo der scharfe Klang der erbitterten Gegenrede schon an sich reizt.

Aber eben dieser Weichheit wegen, die vielleicht von der Beimischung
keltischen und romanischen Blutes, vielleicht auch von der milden Luft kommt,
scheint der Alemannenstamm nicht zur Herrschaft in Deutschland berufen zu
sein und würde sie wahrscheinlich auch dann nicht erlangt haben, wenn ihm
die geographische Lage und die geschichtliche Entwicklung günstiger gewesen
wären. Weder das Kommando, das zum Drill und zur Leitung gewaltiger
Heere erfordert wird, noch der Lapidarstil, der sich für welterschütternde Kund¬
gebungen geziemt, läßt sich im gemütlichen Dialekt und nach einer Melodie
abgeleiert denken; der am meisten pathetische von unsern großen Dichtern Hütte
die Wirkungen, die er erzielt hat, nimmermehr erzielen können, wenn sich ihm
nicht das Hochdeutsche als angemessenes Ausdrucksmittel dargeboten hätte und
er aus seinen schwäbischen Dialekt angewiesen gewesen wäre; bekanntlich durfte
er seine Dramen nicht selbst vorlesen, wenn er nicht von vornherein ein un¬
günstiges Vorurteil dagegen erwecken wollte. Und wie wäre es denkbar, daß
die alten Römer italienisch gesprochen oder gesungen hätten! Alban Stolz
hat das Italienische ganz treffend ein Latein genannt, dem die Knochen heraus¬
gebrochen worden sind. Es ist gut, um Liebeslieder zu girren, um angenehm zu
plaudern, um lustige oder gefühlvolle Geschichten zu erzählen, und auch zum
Jntriguiren und zum Schächern eignet es sich vortrefflich, aber es ist keine Sprache
für Imperatoren, die Völker unterjochen und der Welt Gesetze auferlegen. Wo
wir, wie bei Dante, härteres Metall erklingen hören, da ist an die Beimischung
germanischen Blutes zu denken, das am Ende des dreizehnten Jahrhunderts noch
nicht bis zum Verschwinden verdünnt war. Die Erben der römischen Weltherr¬
schaft, die Päpste, verkünden ihre Gesetze und Entscheidungen bis auf deu heutigen
Tag in lateinischer Sprache. Freilich hat dieses salbungsvolle Kirchenlatein
nichts mehr von der Straffheit, Korrektheit und Kraft des alten Latein,
während sich diese Eigenschaften in den alten Kirchengebeten noch einigermaßen
erhalten haben. Je mehr die Päpste auf den Gebrauch des körperlichen


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[0244] Jenseits der Mainlinie Leibe haben mögen, ob sie zornig werden, ob sie hart, boshaft und nieder¬ trächtig sein können? Schon früher einmal, in einem böhmischen Bade, war mir der Gedanke gekommen, als ich die Wirtstochter das Stubenmädchen rufen hörte. Reesi (o abwärts) sang sie mit ihrer wirklich wunderschönen Stimme, ein halbes oder ganzes Dutzend mal. Erst das letztemal wählte sie die Melodie a> v (aufwärts), wobei das i ein klein wenig scharf und spitz herauskam. Na, dachte ich, das müßte eine norddeutsche Hausfrau oder Hausjungfrau sein! Der ihr Anranzen läßt sich schlechterdings nicht auf Noten setzen. Nun, daß die Alemannen keine Engel sind, habe ich ja mit der Zeit erfahren, aber auch im Streit behält das Wechselgespräch den Gesangton, und ich glaube doch, daß der Sprachgesang größere Milde der Gemütsart bekundet und es auch bei ausgebrochnem Streit nicht so leicht zum äußersten kommen läßt wie in Gegenden, wo der scharfe Klang der erbitterten Gegenrede schon an sich reizt. Aber eben dieser Weichheit wegen, die vielleicht von der Beimischung keltischen und romanischen Blutes, vielleicht auch von der milden Luft kommt, scheint der Alemannenstamm nicht zur Herrschaft in Deutschland berufen zu sein und würde sie wahrscheinlich auch dann nicht erlangt haben, wenn ihm die geographische Lage und die geschichtliche Entwicklung günstiger gewesen wären. Weder das Kommando, das zum Drill und zur Leitung gewaltiger Heere erfordert wird, noch der Lapidarstil, der sich für welterschütternde Kund¬ gebungen geziemt, läßt sich im gemütlichen Dialekt und nach einer Melodie abgeleiert denken; der am meisten pathetische von unsern großen Dichtern Hütte die Wirkungen, die er erzielt hat, nimmermehr erzielen können, wenn sich ihm nicht das Hochdeutsche als angemessenes Ausdrucksmittel dargeboten hätte und er aus seinen schwäbischen Dialekt angewiesen gewesen wäre; bekanntlich durfte er seine Dramen nicht selbst vorlesen, wenn er nicht von vornherein ein un¬ günstiges Vorurteil dagegen erwecken wollte. Und wie wäre es denkbar, daß die alten Römer italienisch gesprochen oder gesungen hätten! Alban Stolz hat das Italienische ganz treffend ein Latein genannt, dem die Knochen heraus¬ gebrochen worden sind. Es ist gut, um Liebeslieder zu girren, um angenehm zu plaudern, um lustige oder gefühlvolle Geschichten zu erzählen, und auch zum Jntriguiren und zum Schächern eignet es sich vortrefflich, aber es ist keine Sprache für Imperatoren, die Völker unterjochen und der Welt Gesetze auferlegen. Wo wir, wie bei Dante, härteres Metall erklingen hören, da ist an die Beimischung germanischen Blutes zu denken, das am Ende des dreizehnten Jahrhunderts noch nicht bis zum Verschwinden verdünnt war. Die Erben der römischen Weltherr¬ schaft, die Päpste, verkünden ihre Gesetze und Entscheidungen bis auf deu heutigen Tag in lateinischer Sprache. Freilich hat dieses salbungsvolle Kirchenlatein nichts mehr von der Straffheit, Korrektheit und Kraft des alten Latein, während sich diese Eigenschaften in den alten Kirchengebeten noch einigermaßen erhalten haben. Je mehr die Päpste auf den Gebrauch des körperlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/244>, abgerufen am 19.10.2024.