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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr.

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Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

Vor, und die Forderung, daß mehr als die Hauptsumme, das LÄMt, zurück¬
gezahlt werden solle, trug aus zwei Gründen den Charakter des Wuchers,
erstens, weil sie die Not des Nächsten zur Erzielung eines Gewinns mi߬
brauchte, zweitens, weil der Darleiher das Geld, das er seinem Bruder ver¬
weigert hätte, im Kasten hätte liegen lassen müssen, ohne irgend etwas davon
zu haben.

Mit steigendem Verkehr und fortschreitender Arbeitsteilung fand sich all¬
mählich die Geldwirtschaft wieder ein, und es ergaben sich allerlei Gelegenheiten
zu nutzbringender Geldanlage. Wenn die Kirche, führt Ashley aus, der dabei
vielfach gegen Endcmanus Werk (Studien in der romanisch-kanonistischen
Wirtschafts- und Rechtslehre) polemisirt, wenn die Kirche den Gewinn aus
solchen Anlagen gestattete, so verwickelte sie sich keineswegs in einen Wider¬
spruch mit ihren eignen Grundsätzen, und die mancherlei "Titel," unter denen
sie Zins zu nehmen erlaubte, waren durchaus uicht eben so viel Sophismen
zur Umgehung ihrer eignen Gesetze. Sie blieb stets ihren beiden wirtschaft¬
lichen Grundsätzen tren, daß jedermann das Recht habe, die Früchte seines
Eigentums zu genießen, und daß es nur zwei rechtmüßige Einkommenquellen
gebe: Arbeit und Boden, oder, sofern man die Thätigkeit des Menschen allein
ins Auge faßt, nur eine: die Arbeit. Die Kirche that weiter nichts, als daß
sie die im Laufe der Zeit hervortretenden neuen Arten von Eigentumsnutzung
und Arbeitsertrag legalisirte.

Es waren das vorzugsweise drei, die zusammenwirkten, das Geld in ein
Ertrag abwerfendes Vesitzstück, in Kapital zu verwandeln. Erstens der Renten¬
kauf. Anfänglich wurden nur wirkliche Renten verkauft. Der Gutsherr, der
eine Geldsumme brauchte, verkaufte dafür den Zins, den ihm einer seiner
Bauern zu zahlen hatte, und über den er doch, als über sein rechtmüßiges
Eigentum, verfügen durfte. Von dieser Seite her war also kein Einwand zu
erheben. Wohl aber von Seiten des Käufers der Rente, modern gesprochen
des Hypothekengläubigers, dem dadurch ein arbeitsloses Einkommen gesichert
wurde, was nach dem kirchlichen Grundsätze nicht erlaubt war. Kirchliche
Lehrer erklärten daher, der Rentenkauf sei erlaubt, wenn sich damit jemand
eine Altersversorgung verschaffen wollte, und wenn er dazu diene, im Kirchen¬
oder Staatsdienst angestellten Personen ein festes Einkommen zu sichern; sünd¬
haft sei er dagegen in allen Fällen, wo sich Arbeitsfähige damit der Pflicht
und Notwendigkeit, zu arbeiten, entzögen. Außerdem ließ der überHand
nehmende Nentenkauf übermäßige Belastung des Grundbesitzes befürchten.
Natürlich blieben die Bemühungen der Obrigkeiten, ihn aus diesem Grunde
einzuschränken, erfolglos. Doch hielten die kirchlichen wie die weltlichen Obrig¬
keiten darauf, daß wenigstens keine ewigen Renten entstünden, indem sie dem
Verkäufer, modern gesprochen dem Schuldner, das Recht des Rückkaufs oder
der Ablösung sicherten. Wenn wir vernehmen, daß der Zins in Preußen mit


Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte

Vor, und die Forderung, daß mehr als die Hauptsumme, das LÄMt, zurück¬
gezahlt werden solle, trug aus zwei Gründen den Charakter des Wuchers,
erstens, weil sie die Not des Nächsten zur Erzielung eines Gewinns mi߬
brauchte, zweitens, weil der Darleiher das Geld, das er seinem Bruder ver¬
weigert hätte, im Kasten hätte liegen lassen müssen, ohne irgend etwas davon
zu haben.

Mit steigendem Verkehr und fortschreitender Arbeitsteilung fand sich all¬
mählich die Geldwirtschaft wieder ein, und es ergaben sich allerlei Gelegenheiten
zu nutzbringender Geldanlage. Wenn die Kirche, führt Ashley aus, der dabei
vielfach gegen Endcmanus Werk (Studien in der romanisch-kanonistischen
Wirtschafts- und Rechtslehre) polemisirt, wenn die Kirche den Gewinn aus
solchen Anlagen gestattete, so verwickelte sie sich keineswegs in einen Wider¬
spruch mit ihren eignen Grundsätzen, und die mancherlei „Titel," unter denen
sie Zins zu nehmen erlaubte, waren durchaus uicht eben so viel Sophismen
zur Umgehung ihrer eignen Gesetze. Sie blieb stets ihren beiden wirtschaft¬
lichen Grundsätzen tren, daß jedermann das Recht habe, die Früchte seines
Eigentums zu genießen, und daß es nur zwei rechtmüßige Einkommenquellen
gebe: Arbeit und Boden, oder, sofern man die Thätigkeit des Menschen allein
ins Auge faßt, nur eine: die Arbeit. Die Kirche that weiter nichts, als daß
sie die im Laufe der Zeit hervortretenden neuen Arten von Eigentumsnutzung
und Arbeitsertrag legalisirte.

Es waren das vorzugsweise drei, die zusammenwirkten, das Geld in ein
Ertrag abwerfendes Vesitzstück, in Kapital zu verwandeln. Erstens der Renten¬
kauf. Anfänglich wurden nur wirkliche Renten verkauft. Der Gutsherr, der
eine Geldsumme brauchte, verkaufte dafür den Zins, den ihm einer seiner
Bauern zu zahlen hatte, und über den er doch, als über sein rechtmüßiges
Eigentum, verfügen durfte. Von dieser Seite her war also kein Einwand zu
erheben. Wohl aber von Seiten des Käufers der Rente, modern gesprochen
des Hypothekengläubigers, dem dadurch ein arbeitsloses Einkommen gesichert
wurde, was nach dem kirchlichen Grundsätze nicht erlaubt war. Kirchliche
Lehrer erklärten daher, der Rentenkauf sei erlaubt, wenn sich damit jemand
eine Altersversorgung verschaffen wollte, und wenn er dazu diene, im Kirchen¬
oder Staatsdienst angestellten Personen ein festes Einkommen zu sichern; sünd¬
haft sei er dagegen in allen Fällen, wo sich Arbeitsfähige damit der Pflicht
und Notwendigkeit, zu arbeiten, entzögen. Außerdem ließ der überHand
nehmende Nentenkauf übermäßige Belastung des Grundbesitzes befürchten.
Natürlich blieben die Bemühungen der Obrigkeiten, ihn aus diesem Grunde
einzuschränken, erfolglos. Doch hielten die kirchlichen wie die weltlichen Obrig¬
keiten darauf, daß wenigstens keine ewigen Renten entstünden, indem sie dem
Verkäufer, modern gesprochen dem Schuldner, das Recht des Rückkaufs oder
der Ablösung sicherten. Wenn wir vernehmen, daß der Zins in Preußen mit


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[0175] Zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte Vor, und die Forderung, daß mehr als die Hauptsumme, das LÄMt, zurück¬ gezahlt werden solle, trug aus zwei Gründen den Charakter des Wuchers, erstens, weil sie die Not des Nächsten zur Erzielung eines Gewinns mi߬ brauchte, zweitens, weil der Darleiher das Geld, das er seinem Bruder ver¬ weigert hätte, im Kasten hätte liegen lassen müssen, ohne irgend etwas davon zu haben. Mit steigendem Verkehr und fortschreitender Arbeitsteilung fand sich all¬ mählich die Geldwirtschaft wieder ein, und es ergaben sich allerlei Gelegenheiten zu nutzbringender Geldanlage. Wenn die Kirche, führt Ashley aus, der dabei vielfach gegen Endcmanus Werk (Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre) polemisirt, wenn die Kirche den Gewinn aus solchen Anlagen gestattete, so verwickelte sie sich keineswegs in einen Wider¬ spruch mit ihren eignen Grundsätzen, und die mancherlei „Titel," unter denen sie Zins zu nehmen erlaubte, waren durchaus uicht eben so viel Sophismen zur Umgehung ihrer eignen Gesetze. Sie blieb stets ihren beiden wirtschaft¬ lichen Grundsätzen tren, daß jedermann das Recht habe, die Früchte seines Eigentums zu genießen, und daß es nur zwei rechtmüßige Einkommenquellen gebe: Arbeit und Boden, oder, sofern man die Thätigkeit des Menschen allein ins Auge faßt, nur eine: die Arbeit. Die Kirche that weiter nichts, als daß sie die im Laufe der Zeit hervortretenden neuen Arten von Eigentumsnutzung und Arbeitsertrag legalisirte. Es waren das vorzugsweise drei, die zusammenwirkten, das Geld in ein Ertrag abwerfendes Vesitzstück, in Kapital zu verwandeln. Erstens der Renten¬ kauf. Anfänglich wurden nur wirkliche Renten verkauft. Der Gutsherr, der eine Geldsumme brauchte, verkaufte dafür den Zins, den ihm einer seiner Bauern zu zahlen hatte, und über den er doch, als über sein rechtmüßiges Eigentum, verfügen durfte. Von dieser Seite her war also kein Einwand zu erheben. Wohl aber von Seiten des Käufers der Rente, modern gesprochen des Hypothekengläubigers, dem dadurch ein arbeitsloses Einkommen gesichert wurde, was nach dem kirchlichen Grundsätze nicht erlaubt war. Kirchliche Lehrer erklärten daher, der Rentenkauf sei erlaubt, wenn sich damit jemand eine Altersversorgung verschaffen wollte, und wenn er dazu diene, im Kirchen¬ oder Staatsdienst angestellten Personen ein festes Einkommen zu sichern; sünd¬ haft sei er dagegen in allen Fällen, wo sich Arbeitsfähige damit der Pflicht und Notwendigkeit, zu arbeiten, entzögen. Außerdem ließ der überHand nehmende Nentenkauf übermäßige Belastung des Grundbesitzes befürchten. Natürlich blieben die Bemühungen der Obrigkeiten, ihn aus diesem Grunde einzuschränken, erfolglos. Doch hielten die kirchlichen wie die weltlichen Obrig¬ keiten darauf, daß wenigstens keine ewigen Renten entstünden, indem sie dem Verkäufer, modern gesprochen dem Schuldner, das Recht des Rückkaufs oder der Ablösung sicherten. Wenn wir vernehmen, daß der Zins in Preußen mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224245/175>, abgerufen am 18.06.2024.