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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze

die Frage, o.b der Verdacht schließlich thatsächlich Recht gehabt habe oder nicht
-- er hat gewiß Unrecht gehabt --, sondern nur darum, ob es die Behörden
an dem gebotnen Maße einsichtiger Überlegung haben fehlen lassen, als sie
dem auf diesem Wege gewonnenen Verdachte Beachtung schenkten.

Über die vielbesprvchnen Löschblätter, die den Verdacht gegen Herrn
v. Kotze in so verhängnisvoller Weise verstärkten, daß ihre Auffindung den
unmittelbaren Anlaß zu seiner Verhaftung gegeben habe" soll, kann man schwer
urteilen, ohne sie gesehen zu haben. Beschreibungen sind in solche" Fällen ganz
wertlos. Aus Friedmanns Mitteilungen ist hierüber folgendes zu entnehmen.
I" den Räumen eines Klubs, in dem Herr v. Kotze viel verkehrte und häufig
seine Briefe schrieb, sowie in den von ihm dienstlich benutzten Räumen des
Zcremonienmeisteramts -- in welchem bestimmten Raume, erfahren wir wiederum
nicht -- wurde je ein benutztes Löschblatt aufgefunden, auf denen sich mehrere
Namen, die in den anonymen Briefen häufig wiederkehrten, und sogar die
Adresse des einen dieser Briefe teilweise abgedrückt fanden, und zwar in denselben
charakteristischen lateinischen Majuskeln, in denen die Mehrzahl der anordnen
Briefe geschrieben ist. Auf dem zweiten dieser Blätter fand sich überdies der
Name des Herrn v. Kotze, und zwar geschrieben, nicht etwa verkehrt abgedrückt
wie die übrigen Namen. Beide Löschblätter wurden mit Beschlag belegt, das
zweite von dem Zeremonienmeister v. Schröder, wie es scheint in Gegenwart
der Grafen Eulenburg und v. Kanitz; wem die Auffindung und Beschlag¬
nahme des andern Blattes zu verdanken ist, erfahren wir leider nicht.

Auch Friedmann scheint anzunehmen, daß die Frage nach der Schuld
seines Klienten von der Frage nach der Echtheit dieser Blätter abhänge. Denn
er läßt sich gar nicht darauf ein, nachzuweisen, daß diese beiden Löschblätter
ebensogut auch von irgend einer andern Person beim Schreiben hätten benutzt
worden sein können, daß sie also selbst im Falle ihrer Echtheit gegen Herrn
v. Kotze gar nichts bewiesen haben würden. Er beschränkt sich darauf, ihre
Echtheit mit großer Entschiedenheit und, wie mir scheint, mit guten und über¬
zeugenden Gründen zu bestreiten, Gründen, die allem Anscheine nach auch das
Kriegsgericht überzeugt haben.

Soviel leuchtet aus allem ein: waren die Blätter echt, so wurde dadurch
der Verdacht gegen Herrn v. Kotze fast zur Gewißheit erhoben. Daß sie aber
auf ernste und welterfahrue Mäuner wie die Grafen Eulenburg und v. Kcmitz
und den Fürsten Stolberg- den vollen Eindruck der Echtheit gemacht haben,
ergiebt sich aus Friedmanns eignen Mitteilungen. Sie sind ja offenbar der
entscheidende Anlaß gewesen, ans dem der Kaiser nach dem Vortrage des
Fürsten Stolberg die Verhaftung Kvtzes befahl.

Friedmnuu ist mit dem Vorwürfe persönlicher Feindschaft stets überaus
schnell bei der Hand. Glaubt er etwa, daß auch die Grafen Eulenburg und
v. Kanitz, sowie Fürst Stolberg persönlichen Haß gegen seinen Klienten gehegt


Juristische Randbemerkungen zum Fall Rotze

die Frage, o.b der Verdacht schließlich thatsächlich Recht gehabt habe oder nicht
— er hat gewiß Unrecht gehabt —, sondern nur darum, ob es die Behörden
an dem gebotnen Maße einsichtiger Überlegung haben fehlen lassen, als sie
dem auf diesem Wege gewonnenen Verdachte Beachtung schenkten.

Über die vielbesprvchnen Löschblätter, die den Verdacht gegen Herrn
v. Kotze in so verhängnisvoller Weise verstärkten, daß ihre Auffindung den
unmittelbaren Anlaß zu seiner Verhaftung gegeben habe» soll, kann man schwer
urteilen, ohne sie gesehen zu haben. Beschreibungen sind in solche» Fällen ganz
wertlos. Aus Friedmanns Mitteilungen ist hierüber folgendes zu entnehmen.
I» den Räumen eines Klubs, in dem Herr v. Kotze viel verkehrte und häufig
seine Briefe schrieb, sowie in den von ihm dienstlich benutzten Räumen des
Zcremonienmeisteramts — in welchem bestimmten Raume, erfahren wir wiederum
nicht — wurde je ein benutztes Löschblatt aufgefunden, auf denen sich mehrere
Namen, die in den anonymen Briefen häufig wiederkehrten, und sogar die
Adresse des einen dieser Briefe teilweise abgedrückt fanden, und zwar in denselben
charakteristischen lateinischen Majuskeln, in denen die Mehrzahl der anordnen
Briefe geschrieben ist. Auf dem zweiten dieser Blätter fand sich überdies der
Name des Herrn v. Kotze, und zwar geschrieben, nicht etwa verkehrt abgedrückt
wie die übrigen Namen. Beide Löschblätter wurden mit Beschlag belegt, das
zweite von dem Zeremonienmeister v. Schröder, wie es scheint in Gegenwart
der Grafen Eulenburg und v. Kanitz; wem die Auffindung und Beschlag¬
nahme des andern Blattes zu verdanken ist, erfahren wir leider nicht.

Auch Friedmann scheint anzunehmen, daß die Frage nach der Schuld
seines Klienten von der Frage nach der Echtheit dieser Blätter abhänge. Denn
er läßt sich gar nicht darauf ein, nachzuweisen, daß diese beiden Löschblätter
ebensogut auch von irgend einer andern Person beim Schreiben hätten benutzt
worden sein können, daß sie also selbst im Falle ihrer Echtheit gegen Herrn
v. Kotze gar nichts bewiesen haben würden. Er beschränkt sich darauf, ihre
Echtheit mit großer Entschiedenheit und, wie mir scheint, mit guten und über¬
zeugenden Gründen zu bestreiten, Gründen, die allem Anscheine nach auch das
Kriegsgericht überzeugt haben.

Soviel leuchtet aus allem ein: waren die Blätter echt, so wurde dadurch
der Verdacht gegen Herrn v. Kotze fast zur Gewißheit erhoben. Daß sie aber
auf ernste und welterfahrue Mäuner wie die Grafen Eulenburg und v. Kcmitz
und den Fürsten Stolberg- den vollen Eindruck der Echtheit gemacht haben,
ergiebt sich aus Friedmanns eignen Mitteilungen. Sie sind ja offenbar der
entscheidende Anlaß gewesen, ans dem der Kaiser nach dem Vortrage des
Fürsten Stolberg die Verhaftung Kvtzes befahl.

Friedmnuu ist mit dem Vorwürfe persönlicher Feindschaft stets überaus
schnell bei der Hand. Glaubt er etwa, daß auch die Grafen Eulenburg und
v. Kanitz, sowie Fürst Stolberg persönlichen Haß gegen seinen Klienten gehegt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/74>, abgerufen am 08.01.2025.