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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Großen und die Kleinen

Und welche Entstellung ist es, daß sich das bewegliche Kapital fast aus¬
schließlich in den Händen der "Großen" befinde! Je mehr neuerdings der
Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung in die Städte und die industrielle"
Mittelpunkte verlegt worden ist. desto mehr hat auch die Zahl der kleinen
Kapitalisten zugenommen. Und diese werden unvermeidlich von dem "Kampf
gegen das Kapital" mitbetrvfsen. Das wird am klarsten, wenn wir uns die
Folgen vergegenwärtigen, die von der Einführung der Doppelwährung zu
erwarten sein würden. Wenn Schulden, die nach der Goldwährung auf¬
genommen worden sind, gesetzlich in Silber zurückbezahlt werden können, so
wird eine große Zahl kleiner Sparer und Kapitalisten, die ihr Geld in Spar¬
kassen und Hypotheken angelegt haben, eines beträchtlichen Teils ihres Ver¬
mögens beraubt. Und die im Interesse deS Hhpothekenglänbigers verlangte
Erleichterung würde diesem um so mehr zu teil werden, je größer die von
ihm aufgenommene Summe, je größer dem entsprechend auch durchweg sein
Besitz ist. Der Großgrundbesitz würde den Löwenanteil auch von dieser Beute
bekommen.

Die Vertreter der Berufsstände lassen sich ebenso wenig in Große und
Kleine, wie in Gute und Böse sondern. Es giebt Vermögende und Unver¬
mögende in allen Berufsständen, und wem? die Wirtschaftspolitik zu Gunsten
einzelner Berufsstände eingerichtet wird, unter dem Vorwande, daß diese von
allen die bedürftigsten seien, so ist es unvermeidlich, daß solche, die der Hilfe
nicht bedürftig sind, begünstigt werden auf Kosten andrer, die weniger leistungs¬
fähig und widerstandskräftig sind, als sie selbst. Sogar die Arbeiter sind
nicht unbedingt die "Kleinen" zu nennen in dem Sinne, daß jeder einzelne
von ihnen der fremden Hilfe mehr bedürfe, als jeder Vertreter andrer Berufs-
stäude. Freilich sind sie durchweg mit irdischen Gütern am wenigsten bedacht,
daher sollte auf sie in der Gesetzgebung am meisten Rücksicht genommen werden.
Jedenfalls sollte nicht unter dem Vorgeben, damit den "Kleinen" zu dienen,
eine Gesetzgebung eingeführt werden, die geradezu die Interessen der Arbeiter
schädigt. Überhaupt sollte immer nur auf das gesehen werden, was der Ge¬
samtheit dient, denn das Bestreben, ein Ausgleichung zu beschaffen, ist in der
Gesetzgebung schwer zu verwirklichen.




Die Großen und die Kleinen

Und welche Entstellung ist es, daß sich das bewegliche Kapital fast aus¬
schließlich in den Händen der „Großen" befinde! Je mehr neuerdings der
Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung in die Städte und die industrielle»
Mittelpunkte verlegt worden ist. desto mehr hat auch die Zahl der kleinen
Kapitalisten zugenommen. Und diese werden unvermeidlich von dem „Kampf
gegen das Kapital" mitbetrvfsen. Das wird am klarsten, wenn wir uns die
Folgen vergegenwärtigen, die von der Einführung der Doppelwährung zu
erwarten sein würden. Wenn Schulden, die nach der Goldwährung auf¬
genommen worden sind, gesetzlich in Silber zurückbezahlt werden können, so
wird eine große Zahl kleiner Sparer und Kapitalisten, die ihr Geld in Spar¬
kassen und Hypotheken angelegt haben, eines beträchtlichen Teils ihres Ver¬
mögens beraubt. Und die im Interesse deS Hhpothekenglänbigers verlangte
Erleichterung würde diesem um so mehr zu teil werden, je größer die von
ihm aufgenommene Summe, je größer dem entsprechend auch durchweg sein
Besitz ist. Der Großgrundbesitz würde den Löwenanteil auch von dieser Beute
bekommen.

Die Vertreter der Berufsstände lassen sich ebenso wenig in Große und
Kleine, wie in Gute und Böse sondern. Es giebt Vermögende und Unver¬
mögende in allen Berufsständen, und wem? die Wirtschaftspolitik zu Gunsten
einzelner Berufsstände eingerichtet wird, unter dem Vorwande, daß diese von
allen die bedürftigsten seien, so ist es unvermeidlich, daß solche, die der Hilfe
nicht bedürftig sind, begünstigt werden auf Kosten andrer, die weniger leistungs¬
fähig und widerstandskräftig sind, als sie selbst. Sogar die Arbeiter sind
nicht unbedingt die „Kleinen" zu nennen in dem Sinne, daß jeder einzelne
von ihnen der fremden Hilfe mehr bedürfe, als jeder Vertreter andrer Berufs-
stäude. Freilich sind sie durchweg mit irdischen Gütern am wenigsten bedacht,
daher sollte auf sie in der Gesetzgebung am meisten Rücksicht genommen werden.
Jedenfalls sollte nicht unter dem Vorgeben, damit den „Kleinen" zu dienen,
eine Gesetzgebung eingeführt werden, die geradezu die Interessen der Arbeiter
schädigt. Überhaupt sollte immer nur auf das gesehen werden, was der Ge¬
samtheit dient, denn das Bestreben, ein Ausgleichung zu beschaffen, ist in der
Gesetzgebung schwer zu verwirklichen.




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[0068] Die Großen und die Kleinen Und welche Entstellung ist es, daß sich das bewegliche Kapital fast aus¬ schließlich in den Händen der „Großen" befinde! Je mehr neuerdings der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Entwicklung in die Städte und die industrielle» Mittelpunkte verlegt worden ist. desto mehr hat auch die Zahl der kleinen Kapitalisten zugenommen. Und diese werden unvermeidlich von dem „Kampf gegen das Kapital" mitbetrvfsen. Das wird am klarsten, wenn wir uns die Folgen vergegenwärtigen, die von der Einführung der Doppelwährung zu erwarten sein würden. Wenn Schulden, die nach der Goldwährung auf¬ genommen worden sind, gesetzlich in Silber zurückbezahlt werden können, so wird eine große Zahl kleiner Sparer und Kapitalisten, die ihr Geld in Spar¬ kassen und Hypotheken angelegt haben, eines beträchtlichen Teils ihres Ver¬ mögens beraubt. Und die im Interesse deS Hhpothekenglänbigers verlangte Erleichterung würde diesem um so mehr zu teil werden, je größer die von ihm aufgenommene Summe, je größer dem entsprechend auch durchweg sein Besitz ist. Der Großgrundbesitz würde den Löwenanteil auch von dieser Beute bekommen. Die Vertreter der Berufsstände lassen sich ebenso wenig in Große und Kleine, wie in Gute und Böse sondern. Es giebt Vermögende und Unver¬ mögende in allen Berufsständen, und wem? die Wirtschaftspolitik zu Gunsten einzelner Berufsstände eingerichtet wird, unter dem Vorwande, daß diese von allen die bedürftigsten seien, so ist es unvermeidlich, daß solche, die der Hilfe nicht bedürftig sind, begünstigt werden auf Kosten andrer, die weniger leistungs¬ fähig und widerstandskräftig sind, als sie selbst. Sogar die Arbeiter sind nicht unbedingt die „Kleinen" zu nennen in dem Sinne, daß jeder einzelne von ihnen der fremden Hilfe mehr bedürfe, als jeder Vertreter andrer Berufs- stäude. Freilich sind sie durchweg mit irdischen Gütern am wenigsten bedacht, daher sollte auf sie in der Gesetzgebung am meisten Rücksicht genommen werden. Jedenfalls sollte nicht unter dem Vorgeben, damit den „Kleinen" zu dienen, eine Gesetzgebung eingeführt werden, die geradezu die Interessen der Arbeiter schädigt. Überhaupt sollte immer nur auf das gesehen werden, was der Ge¬ samtheit dient, denn das Bestreben, ein Ausgleichung zu beschaffen, ist in der Gesetzgebung schwer zu verwirklichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/68>, abgerufen am 06.01.2025.