Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Die Großen und die Kleinen man zu Leibe gehen will, die Rede, so wird sorgfältig ein "Groß" davor- Aber sind denn die Großen wirklich so schlimm, wie man sie macht, und Die Großen und die Kleinen man zu Leibe gehen will, die Rede, so wird sorgfältig ein „Groß" davor- Aber sind denn die Großen wirklich so schlimm, wie man sie macht, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223650"/> <fw type="header" place="top"> Die Großen und die Kleinen</fw><lb/> <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> man zu Leibe gehen will, die Rede, so wird sorgfältig ein „Groß" davor-<lb/> gesetzt. Der kleine Kapitalist oder Händler wird in die Zahl derer eingeschlossen,<lb/> die man „schützen" will. Andrerseits soll zugegeben werden, daß auch die<lb/> Gegner der Agrarier mitunter wohl des Guten zu viel thun, wenn sie so thun,<lb/> als ob nur der Großgrundbesitz die von der Gesetzgebung für die Landwirtschaft<lb/> erlangten Bevorzugungen genösse. Gewiß, der Großgrundbesitz hat den Haupt¬<lb/> anteil daran, und manche der ihm zugewandten Vorteile kommen den Klein¬<lb/> besitzern gar nicht zu gute. Aber Steuererlasse kommen doch auch den kleinen<lb/> Besitzern — natürlich wegen des geringen Umfanges ihres Besitzes in ge¬<lb/> ringerm Maße — zu gute. Die ganze Politik der Sonderinteresfen ist ver¬<lb/> werflich. Sie schädigt das Volkswohl und dadurch mittelbar auch die Land¬<lb/> wirtschaft selbst. Aber das einzusehen, dazu gehört schou ein weiterer Blick<lb/> für den Stimmenfang, bei den Massen eignet sich besser die Berufung an die<lb/> Selbstsucht, der Hinweis darauf, was bei gesetzgeberischen Maßregeln der<lb/> Einzelne unmittelbar zu gewinnen hoffen oder zu verlieren fürchten kann.<lb/> Darum heißt es stets: „für die Kleinen und gegen die Großen"; darum wird<lb/> den Kleinen gesagt: „ihr seid ausgeschlossen von dem Gewinnst der Großen."<lb/> Traurig genug: in dem Zeitalter der sozialen Fürsorge lassen sich die<lb/> Einzelnen für eine Politik der Kleinen nnr so weit erwärmen, als sie selbst<lb/> sich gerade zu der Klasse der Kleinen rechnen zu können meinen, der die Für¬<lb/> sorge versprochen wird. Daß es auch noch kleinere giebt, ans die zu allererst<lb/> Rücksicht genommen werden sollte, diese Vorstellung ist trotz alles Redens von<lb/> sozialen Pflichten nicht populär.</p><lb/> <p xml:id="ID_179" next="#ID_180"> Aber sind denn die Großen wirklich so schlimm, wie man sie macht, und<lb/> sind die Kleinen so hilfsbedürftig, wie man sie hinstellt? Es hat sich ein gut<lb/> Teil Unwahrheit in unser Parteileben eingeschlichen, und die aufgestellten Be¬<lb/> hauptungen sind zum großen Teil nicht ernst zu nehmen. In dem Bestreben,<lb/> einander durch Versprechungen zu überbieten, tritt der sozialistische Gedanke<lb/> von der Möglichkeit einer Ausgleichung hervor. Es läßt sich sür die Kleinen,<lb/> selbst sür die Kleinsten, gar nicht so viel thun, wie angegeben wird. Sie sind<lb/> aber auch gar nicht so schlimm dran, wie behauptet wird. Nicht nur die<lb/> Lage des Arbeiters hat sich verbessert; auch der kleine Unternehmer ist auf<lb/> manchen Gebieten noch lebensfähig. Eben weil der Arbeitslohn gestiegen und<lb/> der Unternehmergewinn zurückgegangen ist, liegt in der Verbindung von Arbeit<lb/> und Unternehmertum, in dem Ersparen fremder und Einsetzen der eignen<lb/> Arbeitskraft für den kleinen Unternehmer ein Vorteil, den der größere nicht<lb/> hat. Mancher kleiner Gewerbetreibende hält sich und arbeitet sich empor<lb/> während in größern Unternehmungen Kapitalien verloren gehen. Der kleine<lb/> Höker, der einen Keller mietet, einfach lebt und selbst oder mit Hilfe seiner<lb/> Frau und Kindern sein Geschäft betreibt, hat nicht so viel Abzug vom Ver¬<lb/> dienst durch Miete, Arbeitslohn usw., wie der aus bessern Kreisen stammende</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Die Großen und die Kleinen
man zu Leibe gehen will, die Rede, so wird sorgfältig ein „Groß" davor-
gesetzt. Der kleine Kapitalist oder Händler wird in die Zahl derer eingeschlossen,
die man „schützen" will. Andrerseits soll zugegeben werden, daß auch die
Gegner der Agrarier mitunter wohl des Guten zu viel thun, wenn sie so thun,
als ob nur der Großgrundbesitz die von der Gesetzgebung für die Landwirtschaft
erlangten Bevorzugungen genösse. Gewiß, der Großgrundbesitz hat den Haupt¬
anteil daran, und manche der ihm zugewandten Vorteile kommen den Klein¬
besitzern gar nicht zu gute. Aber Steuererlasse kommen doch auch den kleinen
Besitzern — natürlich wegen des geringen Umfanges ihres Besitzes in ge¬
ringerm Maße — zu gute. Die ganze Politik der Sonderinteresfen ist ver¬
werflich. Sie schädigt das Volkswohl und dadurch mittelbar auch die Land¬
wirtschaft selbst. Aber das einzusehen, dazu gehört schou ein weiterer Blick
für den Stimmenfang, bei den Massen eignet sich besser die Berufung an die
Selbstsucht, der Hinweis darauf, was bei gesetzgeberischen Maßregeln der
Einzelne unmittelbar zu gewinnen hoffen oder zu verlieren fürchten kann.
Darum heißt es stets: „für die Kleinen und gegen die Großen"; darum wird
den Kleinen gesagt: „ihr seid ausgeschlossen von dem Gewinnst der Großen."
Traurig genug: in dem Zeitalter der sozialen Fürsorge lassen sich die
Einzelnen für eine Politik der Kleinen nnr so weit erwärmen, als sie selbst
sich gerade zu der Klasse der Kleinen rechnen zu können meinen, der die Für¬
sorge versprochen wird. Daß es auch noch kleinere giebt, ans die zu allererst
Rücksicht genommen werden sollte, diese Vorstellung ist trotz alles Redens von
sozialen Pflichten nicht populär.
Aber sind denn die Großen wirklich so schlimm, wie man sie macht, und
sind die Kleinen so hilfsbedürftig, wie man sie hinstellt? Es hat sich ein gut
Teil Unwahrheit in unser Parteileben eingeschlichen, und die aufgestellten Be¬
hauptungen sind zum großen Teil nicht ernst zu nehmen. In dem Bestreben,
einander durch Versprechungen zu überbieten, tritt der sozialistische Gedanke
von der Möglichkeit einer Ausgleichung hervor. Es läßt sich sür die Kleinen,
selbst sür die Kleinsten, gar nicht so viel thun, wie angegeben wird. Sie sind
aber auch gar nicht so schlimm dran, wie behauptet wird. Nicht nur die
Lage des Arbeiters hat sich verbessert; auch der kleine Unternehmer ist auf
manchen Gebieten noch lebensfähig. Eben weil der Arbeitslohn gestiegen und
der Unternehmergewinn zurückgegangen ist, liegt in der Verbindung von Arbeit
und Unternehmertum, in dem Ersparen fremder und Einsetzen der eignen
Arbeitskraft für den kleinen Unternehmer ein Vorteil, den der größere nicht
hat. Mancher kleiner Gewerbetreibende hält sich und arbeitet sich empor
während in größern Unternehmungen Kapitalien verloren gehen. Der kleine
Höker, der einen Keller mietet, einfach lebt und selbst oder mit Hilfe seiner
Frau und Kindern sein Geschäft betreibt, hat nicht so viel Abzug vom Ver¬
dienst durch Miete, Arbeitslohn usw., wie der aus bessern Kreisen stammende
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