Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches haben. Als ob, würden sie ausgerufen haben, die Berufsthätigkeit des Lehrers Und die Befriedigung der Eitelkeit kostet Geld, und darin steckt nun auch so Maßgebliches und Unmaßgebliches haben. Als ob, würden sie ausgerufen haben, die Berufsthätigkeit des Lehrers Und die Befriedigung der Eitelkeit kostet Geld, und darin steckt nun auch so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0645" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224229"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1900" prev="#ID_1899"> haben. Als ob, würden sie ausgerufen haben, die Berufsthätigkeit des Lehrers<lb/> mit der eines Amtsdieners, Hausmeisters oder Weichenstellers zu vergleichen wäre!<lb/> Als ob der Lehrerberuf nicht jugendliche Frische und Begeisterung, eine lebhafte<lb/> Phantasie, eine außerordentliche Spannkraft, ein empfängliches Gemüt und einen<lb/> starken Trieb zur Fortbildung forderte, lauter Eigenschaften, die den bloß mechanisch<lb/> arbeitenden mehr hinderlich als förderlich sein würden! Als ob uns mit Greisen<lb/> gedient wäre, die, unter Entbehrungen alt und mißmutig geworden, ihr Amt nur<lb/> noch handwerksmäßig verrichten! Herbart stellte als Ideal des Gymnasiallehrers<lb/> einen Mann auf, der die Schüler von der Sexta bis zum Abitnrientcnexcimen führe.<lb/> Aber, meinte er, öfter als zweimal werde er das nicht gut können; das erstemal<lb/> übe er die Sache ein, das zweitemal vollbringe er sie vollkommen, damit werde<lb/> aber seine Kraft erschöpft sein, und beim dritten male werde er schon mechanischem<lb/> Schlendrian verfallen. Damals war die Forderung, den Gymnasiallehrer nnr etwa<lb/> zwanzig Jahre im Dienste zu lassen, noch nicht so unausführbar, wie sie heute sein<lb/> würde; es gab z. B. viele Geistliche, die in jüngern Jahren eine Zeit lang<lb/> schulmeisterten und sich erst später um ein Pfarramt bewarben. Einigermaßen,<lb/> vielleicht sogar in noch höherm Grade gilt das, was Herbart sagt, doch auch<lb/> für die Volksschullehrer, und wenn wir uns nicht schon ganz an den Gedanken<lb/> eines rein fabrikmäßigen Schulbetriebes gewohnt hätten, würden wir es ungehörig<lb/> finden, daß der Lehrer erst in einem Lebensalter, wo er wahrscheinlich schon dem<lb/> Schlendrian verfallen ist, ein Einkommen erreicht, bei dem es sich einigermaßen<lb/> lohnt, zu leben, sodaß er natürlich von dem Wunsche beseelt ist, dieses spät erreichte<lb/> Glück festzuhalten, so lange er nur krabbeln kann. In Österreich, wo man von<lb/> der Begeisterung für die Volksbildung erst nach Königgrätz erfaßt wurde — sie<lb/> ist heute schon wieder gründlich verflogen —, hat man jenen Erwägungen wenigstens<lb/> in der Art Rechnung getragen, daß der Volksschullehrer, er mag wollen oder nicht,<lb/> nach vierzig Dienstjahren in Ruhestand versetzt wird, aber — mit vollem Gehalt.<lb/> Wir stellen gar nicht in Abrede, daß die idealistische Auffassung des Volksbildungs-<lb/> wesens auf allerlei Ab- und Irrwege geführt hat, zu denen aber eine reichliche<lb/> Ausstattung der Volksschule sicherlich nicht gehört. Einen wirklichen Abweg hat der<lb/> Finanzminister in der Debatte über das Fortbildungsschulwesen am 10. Dezember<lb/> bekämpft, indem er forderte, daß die Jungen in der Fortbildungsschule, die durch¬<lb/> aus Fachschule sein müßte, das für ihren Beruf notwendige lernten und nicht<lb/> allerlei „Wissenschaften," und indem er es tadelte, daß zukünftige Bauern die Be¬<lb/> rechtigung für den einjährigen Dienst erwürben; „wenn sie als Einjährig-Freiwillige<lb/> gedient haben, werden sie für ihre Wirtschaften nicht mehr, sondern weniger geeignet<lb/> sein." Sehr richtig! sagen wir dazu mit den Herren von der Rechten und vom<lb/> Zentrum. Die Herren „Rustikalen," oder wie sich die Hofbesitzer sonst tituliren<lb/> lassen, wird freilich das Wort des Finanzministers stark verschnupft haben. Doch<lb/> das gehört eigentlich nicht mehr zu unserm Thema, denn an solchen Übelständen<lb/> ist ja nicht der Idealismus, sondern bloß die Eitelkeit schuld.</p><lb/> <p xml:id="ID_1901" next="#ID_1902"> Und die Befriedigung der Eitelkeit kostet Geld, und darin steckt nun auch so<lb/> ein Stückchen Not der Landwirtschaft. Ihren Weihnachtskuchen, das neue Börsen¬<lb/> gesetz, haben die Agrarier schon im Sommer bekommen, aber er ist noch nicht<lb/> ganz gar und wird erst von Neujahr ab verspeist werden können. Die Herren<lb/> fürchten offenbar, es werde nicht viel zu verspeisen geben, und das Gebäck werde<lb/> beim Tageslichte besehen nur Schaum sein; deswegen bemühen sie sich jetzt schon,<lb/> die Schuld der wahrscheinlichen Enttäuschung auf die Ausführung zu schieben, zu¬<lb/> nächst auf die Zusammensetzung der Börsenkommission. Es war in der Herren¬<lb/> haussitzung am 17. Dezember spaßig anzusehen, wie sich die Herren anstrengten,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0645]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
haben. Als ob, würden sie ausgerufen haben, die Berufsthätigkeit des Lehrers
mit der eines Amtsdieners, Hausmeisters oder Weichenstellers zu vergleichen wäre!
Als ob der Lehrerberuf nicht jugendliche Frische und Begeisterung, eine lebhafte
Phantasie, eine außerordentliche Spannkraft, ein empfängliches Gemüt und einen
starken Trieb zur Fortbildung forderte, lauter Eigenschaften, die den bloß mechanisch
arbeitenden mehr hinderlich als förderlich sein würden! Als ob uns mit Greisen
gedient wäre, die, unter Entbehrungen alt und mißmutig geworden, ihr Amt nur
noch handwerksmäßig verrichten! Herbart stellte als Ideal des Gymnasiallehrers
einen Mann auf, der die Schüler von der Sexta bis zum Abitnrientcnexcimen führe.
Aber, meinte er, öfter als zweimal werde er das nicht gut können; das erstemal
übe er die Sache ein, das zweitemal vollbringe er sie vollkommen, damit werde
aber seine Kraft erschöpft sein, und beim dritten male werde er schon mechanischem
Schlendrian verfallen. Damals war die Forderung, den Gymnasiallehrer nnr etwa
zwanzig Jahre im Dienste zu lassen, noch nicht so unausführbar, wie sie heute sein
würde; es gab z. B. viele Geistliche, die in jüngern Jahren eine Zeit lang
schulmeisterten und sich erst später um ein Pfarramt bewarben. Einigermaßen,
vielleicht sogar in noch höherm Grade gilt das, was Herbart sagt, doch auch
für die Volksschullehrer, und wenn wir uns nicht schon ganz an den Gedanken
eines rein fabrikmäßigen Schulbetriebes gewohnt hätten, würden wir es ungehörig
finden, daß der Lehrer erst in einem Lebensalter, wo er wahrscheinlich schon dem
Schlendrian verfallen ist, ein Einkommen erreicht, bei dem es sich einigermaßen
lohnt, zu leben, sodaß er natürlich von dem Wunsche beseelt ist, dieses spät erreichte
Glück festzuhalten, so lange er nur krabbeln kann. In Österreich, wo man von
der Begeisterung für die Volksbildung erst nach Königgrätz erfaßt wurde — sie
ist heute schon wieder gründlich verflogen —, hat man jenen Erwägungen wenigstens
in der Art Rechnung getragen, daß der Volksschullehrer, er mag wollen oder nicht,
nach vierzig Dienstjahren in Ruhestand versetzt wird, aber — mit vollem Gehalt.
Wir stellen gar nicht in Abrede, daß die idealistische Auffassung des Volksbildungs-
wesens auf allerlei Ab- und Irrwege geführt hat, zu denen aber eine reichliche
Ausstattung der Volksschule sicherlich nicht gehört. Einen wirklichen Abweg hat der
Finanzminister in der Debatte über das Fortbildungsschulwesen am 10. Dezember
bekämpft, indem er forderte, daß die Jungen in der Fortbildungsschule, die durch¬
aus Fachschule sein müßte, das für ihren Beruf notwendige lernten und nicht
allerlei „Wissenschaften," und indem er es tadelte, daß zukünftige Bauern die Be¬
rechtigung für den einjährigen Dienst erwürben; „wenn sie als Einjährig-Freiwillige
gedient haben, werden sie für ihre Wirtschaften nicht mehr, sondern weniger geeignet
sein." Sehr richtig! sagen wir dazu mit den Herren von der Rechten und vom
Zentrum. Die Herren „Rustikalen," oder wie sich die Hofbesitzer sonst tituliren
lassen, wird freilich das Wort des Finanzministers stark verschnupft haben. Doch
das gehört eigentlich nicht mehr zu unserm Thema, denn an solchen Übelständen
ist ja nicht der Idealismus, sondern bloß die Eitelkeit schuld.
Und die Befriedigung der Eitelkeit kostet Geld, und darin steckt nun auch so
ein Stückchen Not der Landwirtschaft. Ihren Weihnachtskuchen, das neue Börsen¬
gesetz, haben die Agrarier schon im Sommer bekommen, aber er ist noch nicht
ganz gar und wird erst von Neujahr ab verspeist werden können. Die Herren
fürchten offenbar, es werde nicht viel zu verspeisen geben, und das Gebäck werde
beim Tageslichte besehen nur Schaum sein; deswegen bemühen sie sich jetzt schon,
die Schuld der wahrscheinlichen Enttäuschung auf die Ausführung zu schieben, zu¬
nächst auf die Zusammensetzung der Börsenkommission. Es war in der Herren¬
haussitzung am 17. Dezember spaßig anzusehen, wie sich die Herren anstrengten,
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