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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der deutsch-französische Litterarvertrcig

überall das obengenannte Maß von 2 : 5 nicht nur innegehalten, sondern
sehr oft nicht einmal erreicht ist. Ferner habe ich gesunden, daß überall
bei diesen Abdrücken der Forderung des Vertrags genügt ist, daß die Aus¬
gaben ausdrücklich für den Schulgebrauch bestimmt und eingerichtet seien;
Dambach hat als Kennzeichen einer Schulaufgabe einige "Kriterien" (S. 14 en. 5)
angeführt, auf die der Vertrag selbst nicht eingeht; er sagt: "Es wird hierbei
Rücksicht zu nehmen sein ans den ganzen Inhalt des Buches, auf den Titel,
auf die etwa beigefügten Anmerkungen, auf Vokabularien, auf die vorgenom¬
menen Auslassungen einzelner Stellen, die für die Schüler nicht geeignet
sind usw. Es ist selbstverständlich, daß sich der Nachdruck nicht unter dem
Scheine einer Schulaufgabe verstecken darf." Alle unsre Ausgaben tragen
jene Kriterien und bezwecken andrerseits niemals die Verschleierung eines un¬
erlaubten Nachdrucks.

Wir sehen also, daß die ganze reiche Litteratur unsrer Schulaufgaben von
französischen modernen Schriftstellern und damit der große Aufschwung, den der
Unterricht im Französischen dnrch die Lektüre zusammenhängender größerer Werke
gewonnen hat, auf der Dambachischen Interpretation von Artikel 4 des deutsch-
französischen Litterarvertrags beruht, und daß beide, die Litteratur und ihre
segensreiche Wirkung für unsre Jugend, verschwinden müssen, wenn diese
Interpretation aufhört, für die deutsche Rechtsprechung maßgebend zu sein.

Es wird unsre Lesern nnn interessiren, zu erfahren, daß die französischen
Verlagsbuchhäudler in der letzten Zeit wie auf Verabredung die Behauptung
aufgestellt haben, unsre Schulaufgaben verstießen gegen die Bestimmungen des
Litterarvertrags, und daß sie an die deutschen Verleger mit der Forderung
herangetreten sind, die Ausgaben zu vernichten. Das Verhalten der deutschen
Verleger gegen diese Forderung ist verschieden gewesen. Einige sind, um einen
langwierigen und lästigen Prozeß zu vermeiden, ans Unterhandlungen einge¬
gangen und haben sich mit den Franzosen abgefunden; leider ist mir ein Fall
bekannt geworden, wo dem französischen Buchhändler sehr große, und wie es mir
scheint, sehr unnütze Geldopfer gebracht worden sind. Andre haben die Forderung
der Franzosen glatt zurückgewiesen und sich auf ihr gutes, lange geübtes Recht
berufen. Die Folge davon werden Prozesse sein, und ein solcher Prozeß, den
der Pariser Calman Lsvy gegen eine Dresdner Firma angestrengt hat, ist in
der vorigen Woche vor dem Leipziger Landgericht begonnen worden. Die Klage
richtet sich gegen vier Ausgaben von prosaischen Werken. Diese haben mir vor¬
gelegen, und .soweit ich beurteilen kann, entsprechen sie den Forderungen des
Dambachischen Kommentars.

Dieser Prozeß ist natürlich nur ein erster Vorstoß, den einer für alle
macht; sein Ausgang wird entscheidend sein für Sein oder Nichtsein der deutschen
Schulaufgaben französischer Schriftsteller, und es liegt ans der Hand, daß der
deutschen Schule unermeßlicher Schaden zugefügt wird, wenn sich das Gericht


Der deutsch-französische Litterarvertrcig

überall das obengenannte Maß von 2 : 5 nicht nur innegehalten, sondern
sehr oft nicht einmal erreicht ist. Ferner habe ich gesunden, daß überall
bei diesen Abdrücken der Forderung des Vertrags genügt ist, daß die Aus¬
gaben ausdrücklich für den Schulgebrauch bestimmt und eingerichtet seien;
Dambach hat als Kennzeichen einer Schulaufgabe einige „Kriterien" (S. 14 en. 5)
angeführt, auf die der Vertrag selbst nicht eingeht; er sagt: „Es wird hierbei
Rücksicht zu nehmen sein ans den ganzen Inhalt des Buches, auf den Titel,
auf die etwa beigefügten Anmerkungen, auf Vokabularien, auf die vorgenom¬
menen Auslassungen einzelner Stellen, die für die Schüler nicht geeignet
sind usw. Es ist selbstverständlich, daß sich der Nachdruck nicht unter dem
Scheine einer Schulaufgabe verstecken darf." Alle unsre Ausgaben tragen
jene Kriterien und bezwecken andrerseits niemals die Verschleierung eines un¬
erlaubten Nachdrucks.

Wir sehen also, daß die ganze reiche Litteratur unsrer Schulaufgaben von
französischen modernen Schriftstellern und damit der große Aufschwung, den der
Unterricht im Französischen dnrch die Lektüre zusammenhängender größerer Werke
gewonnen hat, auf der Dambachischen Interpretation von Artikel 4 des deutsch-
französischen Litterarvertrags beruht, und daß beide, die Litteratur und ihre
segensreiche Wirkung für unsre Jugend, verschwinden müssen, wenn diese
Interpretation aufhört, für die deutsche Rechtsprechung maßgebend zu sein.

Es wird unsre Lesern nnn interessiren, zu erfahren, daß die französischen
Verlagsbuchhäudler in der letzten Zeit wie auf Verabredung die Behauptung
aufgestellt haben, unsre Schulaufgaben verstießen gegen die Bestimmungen des
Litterarvertrags, und daß sie an die deutschen Verleger mit der Forderung
herangetreten sind, die Ausgaben zu vernichten. Das Verhalten der deutschen
Verleger gegen diese Forderung ist verschieden gewesen. Einige sind, um einen
langwierigen und lästigen Prozeß zu vermeiden, ans Unterhandlungen einge¬
gangen und haben sich mit den Franzosen abgefunden; leider ist mir ein Fall
bekannt geworden, wo dem französischen Buchhändler sehr große, und wie es mir
scheint, sehr unnütze Geldopfer gebracht worden sind. Andre haben die Forderung
der Franzosen glatt zurückgewiesen und sich auf ihr gutes, lange geübtes Recht
berufen. Die Folge davon werden Prozesse sein, und ein solcher Prozeß, den
der Pariser Calman Lsvy gegen eine Dresdner Firma angestrengt hat, ist in
der vorigen Woche vor dem Leipziger Landgericht begonnen worden. Die Klage
richtet sich gegen vier Ausgaben von prosaischen Werken. Diese haben mir vor¬
gelegen, und .soweit ich beurteilen kann, entsprechen sie den Forderungen des
Dambachischen Kommentars.

Dieser Prozeß ist natürlich nur ein erster Vorstoß, den einer für alle
macht; sein Ausgang wird entscheidend sein für Sein oder Nichtsein der deutschen
Schulaufgaben französischer Schriftsteller, und es liegt ans der Hand, daß der
deutschen Schule unermeßlicher Schaden zugefügt wird, wenn sich das Gericht


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[0638] Der deutsch-französische Litterarvertrcig überall das obengenannte Maß von 2 : 5 nicht nur innegehalten, sondern sehr oft nicht einmal erreicht ist. Ferner habe ich gesunden, daß überall bei diesen Abdrücken der Forderung des Vertrags genügt ist, daß die Aus¬ gaben ausdrücklich für den Schulgebrauch bestimmt und eingerichtet seien; Dambach hat als Kennzeichen einer Schulaufgabe einige „Kriterien" (S. 14 en. 5) angeführt, auf die der Vertrag selbst nicht eingeht; er sagt: „Es wird hierbei Rücksicht zu nehmen sein ans den ganzen Inhalt des Buches, auf den Titel, auf die etwa beigefügten Anmerkungen, auf Vokabularien, auf die vorgenom¬ menen Auslassungen einzelner Stellen, die für die Schüler nicht geeignet sind usw. Es ist selbstverständlich, daß sich der Nachdruck nicht unter dem Scheine einer Schulaufgabe verstecken darf." Alle unsre Ausgaben tragen jene Kriterien und bezwecken andrerseits niemals die Verschleierung eines un¬ erlaubten Nachdrucks. Wir sehen also, daß die ganze reiche Litteratur unsrer Schulaufgaben von französischen modernen Schriftstellern und damit der große Aufschwung, den der Unterricht im Französischen dnrch die Lektüre zusammenhängender größerer Werke gewonnen hat, auf der Dambachischen Interpretation von Artikel 4 des deutsch- französischen Litterarvertrags beruht, und daß beide, die Litteratur und ihre segensreiche Wirkung für unsre Jugend, verschwinden müssen, wenn diese Interpretation aufhört, für die deutsche Rechtsprechung maßgebend zu sein. Es wird unsre Lesern nnn interessiren, zu erfahren, daß die französischen Verlagsbuchhäudler in der letzten Zeit wie auf Verabredung die Behauptung aufgestellt haben, unsre Schulaufgaben verstießen gegen die Bestimmungen des Litterarvertrags, und daß sie an die deutschen Verleger mit der Forderung herangetreten sind, die Ausgaben zu vernichten. Das Verhalten der deutschen Verleger gegen diese Forderung ist verschieden gewesen. Einige sind, um einen langwierigen und lästigen Prozeß zu vermeiden, ans Unterhandlungen einge¬ gangen und haben sich mit den Franzosen abgefunden; leider ist mir ein Fall bekannt geworden, wo dem französischen Buchhändler sehr große, und wie es mir scheint, sehr unnütze Geldopfer gebracht worden sind. Andre haben die Forderung der Franzosen glatt zurückgewiesen und sich auf ihr gutes, lange geübtes Recht berufen. Die Folge davon werden Prozesse sein, und ein solcher Prozeß, den der Pariser Calman Lsvy gegen eine Dresdner Firma angestrengt hat, ist in der vorigen Woche vor dem Leipziger Landgericht begonnen worden. Die Klage richtet sich gegen vier Ausgaben von prosaischen Werken. Diese haben mir vor¬ gelegen, und .soweit ich beurteilen kann, entsprechen sie den Forderungen des Dambachischen Kommentars. Dieser Prozeß ist natürlich nur ein erster Vorstoß, den einer für alle macht; sein Ausgang wird entscheidend sein für Sein oder Nichtsein der deutschen Schulaufgaben französischer Schriftsteller, und es liegt ans der Hand, daß der deutschen Schule unermeßlicher Schaden zugefügt wird, wenn sich das Gericht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/638>, abgerufen am 08.01.2025.