Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.lveihnachtsbiicher svnderlichkeit, sie gewinnt gescheiterten Existenzen und verkümmerten Naturen noch Die Erzählungen lassen ebenso den dauernden Zug in der Entwicklung unsers Die Elemente der Gemeinsamkeit zwischen diesem Dichter, der seine Wurzeln lveihnachtsbiicher svnderlichkeit, sie gewinnt gescheiterten Existenzen und verkümmerten Naturen noch Die Erzählungen lassen ebenso den dauernden Zug in der Entwicklung unsers Die Elemente der Gemeinsamkeit zwischen diesem Dichter, der seine Wurzeln <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0579" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224163"/> <fw type="header" place="top"> lveihnachtsbiicher</fw><lb/> <p xml:id="ID_1720" prev="#ID_1719"> svnderlichkeit, sie gewinnt gescheiterten Existenzen und verkümmerten Naturen noch<lb/> etwas liebenswertes, einen hellen Schimmer und Nachglanz ab, aber sie weigert sich<lb/> in der eiteln Selbstbespiegelung, im Erhabenheitsdünkel und der egoistisch brutalen<lb/> Lebensanschnnung der Gegenwart irgend welche Poesie zu sehen" — so kann<lb/> damit nicht gemeint sein, daß sich Naabcs Blick und Herzensvorliebe auf eine schöne<lb/> Philisterei beschränke. Im Gegenteil, sonniger, überquellender, herzgewinnender<lb/> hat kaum ein andrer Dichter Lebenshoffnung, Thatenlust und Frohgcftthl der un-<lb/> gebrochnen Jugend dargestellt, als gerade Wilhelm Raabe. Und nie ist seine Teil¬<lb/> nahme voller, warmer und vou Setigera Schimmer umhaucht, als wenn Wider<lb/> Weltlauf und Gewohnheit die jubelnde Fahrt ins Weite einmal rasch zu glücklichem<lb/> Ziele gelangt. Tiber unser Erzähler weiß anch, daß die Dichtung dem Leben mir<lb/> gerecht wird, wenn sie sich nicht auf die wenigen hellschimmernden Existenzen ein¬<lb/> schränkt, und daß die dem Menschen auferlegten Geschicke nnr ertragen werden<lb/> können mit Hilfe der selbstvergessener, ureigner Liebe, die in „Des Reiches Krone"<lb/> die schöne Mechthild zu dem Verlornen Geliebten in die grauenhafte Welt¬<lb/> abgeschiedenheit der Leprosen, der Sondersiechen, treibt. „Die Erde ist für uns<lb/> beide untergegangen, aber wir beide, du und ich, sind doch gerettet." Es ist nicht<lb/> der kleinste Vorzug Raabes, daß bei ihm Entschlüsse, Empfindungen und Mitleids¬<lb/> thaten mitten zwischen andern Lebensbildern erscheinen, die, wenn sie in einer<lb/> russischen Erzählung Tolstois auftauchen, mit großem Hallo als neue erlösende<lb/> Offenbarungen verkündet werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1721"> Die Erzählungen lassen ebenso den dauernden Zug in der Entwicklung unsers<lb/> Dichters, als die spielenden Abweichungen von diesem Zuge deutlich wahrnehmen,<lb/> sie bringen vielleicht Einzelheiten dieser Entwicklung nicht zur Anschauung, aber<lb/> sie lassen »us hinreichend tief in die Innerlichkeit und die künstlerischen Antriebe<lb/> Raabes hineinsehen. Der naheliegende Vergleich Naabes mit einem englischen<lb/> Schriftsteller wie Sterne, der sich gleich ihm nie in gebnndner Rede bewegte, aber<lb/> doch seinem Wesen nach nicht bloß schöner Geist, sondern echter Dichter war, scheint<lb/> angesichts der Erzählungen ferner zu liegen, als bei Betrachtung der größern<lb/> Werke Naabes. Dennoch kehren die Vorzüge, die Goethe an Sterne gerühmt hat,<lb/> namentlich die Eigenheiten, die „irrtümlich nach anßen, wahrhaft nach innen und,<lb/> recht betrachtet, psychologisch höchst wichtig sind," der Verstand, die Vernunft und<lb/> das Wohlwollen, die auch aus dem nllerwuuderlichsten noch hervorblicken, uns an¬<lb/> sehen und fesseln, „den Menschen nach einer gewissen Seite hintreiben und in<lb/> einem folgerechten Gleise erhalte»," auch in den kleinen Erzählungen Randes wieder,<lb/> obwohl die Phantasie des Dichters in der Folge dieser Erzählungen eine viel<lb/> größere Breite der Welt umspannt und sich erst später zu der Sternescheu Be-<lb/> schrnnkuug auf das Gebiet der Gegenwart, des unmittelbaren Erlebnisses bequemt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1722" next="#ID_1723"> Die Elemente der Gemeinsamkeit zwischen diesem Dichter, der seine Wurzeln<lb/> tief in den Volksboden streckt, und einem volkstümlichen Erzähler wie dem badischen<lb/> Pfarrer Heinrich Hansjakob sind schon angedeutet worden. Bei näherer Prüfung<lb/> treten die Gegensätze zwischen beiden noch schärfer heraus. Die norddeutsche Natur<lb/> >" Raabe ist durch die Art seiner Bildung und durch die bewegliche Empfäng¬<lb/> lichkeit seiner Phantasie, seiner überquellenden Teilnahme an allem Mensch¬<lb/> lichen vielfach überwunden; Hansjakob dagegen kann seine spezifisch süddeutsche<lb/> Natur und seine Stammesabncignug gegen preußisches und überhaupt nord¬<lb/> deutsches Wesen nirgends verleugnen. Während Raabe ganz Dichter und der Ein¬<lb/> seitigkeit politischer oder religiöser Tendenz abgeneigt ist, ist Hansjakob ein bewußter<lb/> Tendenzschriftsteller, der seinen Zusammenhang mit der Loelysia militans, seine</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0579]
lveihnachtsbiicher
svnderlichkeit, sie gewinnt gescheiterten Existenzen und verkümmerten Naturen noch
etwas liebenswertes, einen hellen Schimmer und Nachglanz ab, aber sie weigert sich
in der eiteln Selbstbespiegelung, im Erhabenheitsdünkel und der egoistisch brutalen
Lebensanschnnung der Gegenwart irgend welche Poesie zu sehen" — so kann
damit nicht gemeint sein, daß sich Naabcs Blick und Herzensvorliebe auf eine schöne
Philisterei beschränke. Im Gegenteil, sonniger, überquellender, herzgewinnender
hat kaum ein andrer Dichter Lebenshoffnung, Thatenlust und Frohgcftthl der un-
gebrochnen Jugend dargestellt, als gerade Wilhelm Raabe. Und nie ist seine Teil¬
nahme voller, warmer und vou Setigera Schimmer umhaucht, als wenn Wider
Weltlauf und Gewohnheit die jubelnde Fahrt ins Weite einmal rasch zu glücklichem
Ziele gelangt. Tiber unser Erzähler weiß anch, daß die Dichtung dem Leben mir
gerecht wird, wenn sie sich nicht auf die wenigen hellschimmernden Existenzen ein¬
schränkt, und daß die dem Menschen auferlegten Geschicke nnr ertragen werden
können mit Hilfe der selbstvergessener, ureigner Liebe, die in „Des Reiches Krone"
die schöne Mechthild zu dem Verlornen Geliebten in die grauenhafte Welt¬
abgeschiedenheit der Leprosen, der Sondersiechen, treibt. „Die Erde ist für uns
beide untergegangen, aber wir beide, du und ich, sind doch gerettet." Es ist nicht
der kleinste Vorzug Raabes, daß bei ihm Entschlüsse, Empfindungen und Mitleids¬
thaten mitten zwischen andern Lebensbildern erscheinen, die, wenn sie in einer
russischen Erzählung Tolstois auftauchen, mit großem Hallo als neue erlösende
Offenbarungen verkündet werden.
Die Erzählungen lassen ebenso den dauernden Zug in der Entwicklung unsers
Dichters, als die spielenden Abweichungen von diesem Zuge deutlich wahrnehmen,
sie bringen vielleicht Einzelheiten dieser Entwicklung nicht zur Anschauung, aber
sie lassen »us hinreichend tief in die Innerlichkeit und die künstlerischen Antriebe
Raabes hineinsehen. Der naheliegende Vergleich Naabes mit einem englischen
Schriftsteller wie Sterne, der sich gleich ihm nie in gebnndner Rede bewegte, aber
doch seinem Wesen nach nicht bloß schöner Geist, sondern echter Dichter war, scheint
angesichts der Erzählungen ferner zu liegen, als bei Betrachtung der größern
Werke Naabes. Dennoch kehren die Vorzüge, die Goethe an Sterne gerühmt hat,
namentlich die Eigenheiten, die „irrtümlich nach anßen, wahrhaft nach innen und,
recht betrachtet, psychologisch höchst wichtig sind," der Verstand, die Vernunft und
das Wohlwollen, die auch aus dem nllerwuuderlichsten noch hervorblicken, uns an¬
sehen und fesseln, „den Menschen nach einer gewissen Seite hintreiben und in
einem folgerechten Gleise erhalte»," auch in den kleinen Erzählungen Randes wieder,
obwohl die Phantasie des Dichters in der Folge dieser Erzählungen eine viel
größere Breite der Welt umspannt und sich erst später zu der Sternescheu Be-
schrnnkuug auf das Gebiet der Gegenwart, des unmittelbaren Erlebnisses bequemt hat.
Die Elemente der Gemeinsamkeit zwischen diesem Dichter, der seine Wurzeln
tief in den Volksboden streckt, und einem volkstümlichen Erzähler wie dem badischen
Pfarrer Heinrich Hansjakob sind schon angedeutet worden. Bei näherer Prüfung
treten die Gegensätze zwischen beiden noch schärfer heraus. Die norddeutsche Natur
>" Raabe ist durch die Art seiner Bildung und durch die bewegliche Empfäng¬
lichkeit seiner Phantasie, seiner überquellenden Teilnahme an allem Mensch¬
lichen vielfach überwunden; Hansjakob dagegen kann seine spezifisch süddeutsche
Natur und seine Stammesabncignug gegen preußisches und überhaupt nord¬
deutsches Wesen nirgends verleugnen. Während Raabe ganz Dichter und der Ein¬
seitigkeit politischer oder religiöser Tendenz abgeneigt ist, ist Hansjakob ein bewußter
Tendenzschriftsteller, der seinen Zusammenhang mit der Loelysia militans, seine
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