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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Aompetenzermeiterung der Amtsgerichte

zu reden, "für die ersten Jahre, wo noch keine großen Ansprüche gestellt
werden, vollständig genügen"; daß seine Einnahmen diese Stufe nicht wesentlich
überschreiten, dafür wird die Konkurrenz aller der jungen Juristen sorgen, die,
wenn sie nicht jahrelang auf ihre erste Anstellung als Richter warten wollen,
kaum eine andre Wahl haben, als Amtsgerichtsanwalt zu werden. Der Amts-
gerichtsanwalt wäre in aller Form Rechtens ein Anwalt zweiter Klasse. Er
wäre, nicht wie jetzt bloß durch die Wahl seines Wohnortes, sondern durch
seine Eigenschaft als "minderwertiger" Anwalt von jeder Thätigkeit am Kolle¬
gialgericht ausgeschlossen, ohne darum vor der Konkurrenz der Landgerichts¬
anwälte in seiner Thätigkeit am Amtsgericht geschützt zu sein. Das nicht sehr
verlockende Los, sich der Konkurrenz des Referendars von gestern, der noch
lange nicht Richter werden kann, ausgesetzt zu sehen, träfe in Zukunft nur den
Amtsgerichtsanwalt; gleichzeitig kann er es erleben, daß sein früherer Schreiber
als Vertreter der Gegenpartei dieselbe Thätigkeit ausübt wie er selbst, wenn
es nicht dem Amtsrichter gefällt, es zu untersagen. Von diesen Anwälten
zweiter Klasse wird nach Ablauf der drei Jahre nur ein geringer Teil Lust
zeigen, beim Amtsgericht zu bleiben. Geht aber ein großer Teil von ihnen
nach drei Jahren doch an das Landgericht, so ist die Wirksamkeit der von
Herrn T empfohlnen Maßregel gleich Null. Aber damit nicht genug. Durch
diesen Abzug würde die Zahl der Amtsgerichtsanwälte nicht vermindert werden;
denn bei der heutigen Überfüllung der juristischen Laufbahn und bei dem immer
größer werdenden Zeitraum, der bis zur ersten Anstellung der Richter ver¬
streicht, würde jede auf solche Weise frei gewordne Anwaltstelle beim Amts¬
gericht sofort wieder besetzt werden. An den Landgerichten aber würde derselbe
Zuzug junger Kräfte stattfinden wie früher, er würde sich uur um drei Jahre
verzögern. Die Landgerichte würden aber dann kaum die Hälfte ihrer jetzigen
Praxis bieten. Der Landgerichtsanwalt wäre daher genötigt, seine Praxis auf
die Amtsgerichte zu erstrecken, die mit ihrer erweiterten Zuständigkeit doppelten
Anreiz hierzu böten. Die unausbleibliche Folge wäre, daß die Thätigkeit der
Landgerichtsanwälte noch mehr als, jetzt zersplittert werden würde, und daß
Terminkollisionen mit ihrer Verschleppung der Prozesse noch mehr an der
Tagesordnung sein würden als jetzt.

Will man etwa versuchen, diesen Übelstünden dadurch zu begegnen, daß
man die Landgerichtsanwälte auf das Landgericht ebenso wie die Amtsgerichts¬
anwälte auf das Amtsgericht beschränkt? Dann würden sich allerdings die
Landgerichtsanwälte einer ruhigen, vornehmen Praxis erfreuen, aber -- davon
lebe" könnten sie nicht. Die Amtsgerichte aber würde man gerade in dem
Augenblick, wo man ihre Zuständigkeit erweitert, darauf verweisen, sich aus¬
schließlich mit Anwälten zweiter Klasse zu begnügen.

Die von Herrn X vorgeschlagne Teilung des Anwaltstandes in zwei Klassen
macht also die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Und die Sache ist jetzt


Die Aompetenzermeiterung der Amtsgerichte

zu reden, „für die ersten Jahre, wo noch keine großen Ansprüche gestellt
werden, vollständig genügen"; daß seine Einnahmen diese Stufe nicht wesentlich
überschreiten, dafür wird die Konkurrenz aller der jungen Juristen sorgen, die,
wenn sie nicht jahrelang auf ihre erste Anstellung als Richter warten wollen,
kaum eine andre Wahl haben, als Amtsgerichtsanwalt zu werden. Der Amts-
gerichtsanwalt wäre in aller Form Rechtens ein Anwalt zweiter Klasse. Er
wäre, nicht wie jetzt bloß durch die Wahl seines Wohnortes, sondern durch
seine Eigenschaft als „minderwertiger" Anwalt von jeder Thätigkeit am Kolle¬
gialgericht ausgeschlossen, ohne darum vor der Konkurrenz der Landgerichts¬
anwälte in seiner Thätigkeit am Amtsgericht geschützt zu sein. Das nicht sehr
verlockende Los, sich der Konkurrenz des Referendars von gestern, der noch
lange nicht Richter werden kann, ausgesetzt zu sehen, träfe in Zukunft nur den
Amtsgerichtsanwalt; gleichzeitig kann er es erleben, daß sein früherer Schreiber
als Vertreter der Gegenpartei dieselbe Thätigkeit ausübt wie er selbst, wenn
es nicht dem Amtsrichter gefällt, es zu untersagen. Von diesen Anwälten
zweiter Klasse wird nach Ablauf der drei Jahre nur ein geringer Teil Lust
zeigen, beim Amtsgericht zu bleiben. Geht aber ein großer Teil von ihnen
nach drei Jahren doch an das Landgericht, so ist die Wirksamkeit der von
Herrn T empfohlnen Maßregel gleich Null. Aber damit nicht genug. Durch
diesen Abzug würde die Zahl der Amtsgerichtsanwälte nicht vermindert werden;
denn bei der heutigen Überfüllung der juristischen Laufbahn und bei dem immer
größer werdenden Zeitraum, der bis zur ersten Anstellung der Richter ver¬
streicht, würde jede auf solche Weise frei gewordne Anwaltstelle beim Amts¬
gericht sofort wieder besetzt werden. An den Landgerichten aber würde derselbe
Zuzug junger Kräfte stattfinden wie früher, er würde sich uur um drei Jahre
verzögern. Die Landgerichte würden aber dann kaum die Hälfte ihrer jetzigen
Praxis bieten. Der Landgerichtsanwalt wäre daher genötigt, seine Praxis auf
die Amtsgerichte zu erstrecken, die mit ihrer erweiterten Zuständigkeit doppelten
Anreiz hierzu böten. Die unausbleibliche Folge wäre, daß die Thätigkeit der
Landgerichtsanwälte noch mehr als, jetzt zersplittert werden würde, und daß
Terminkollisionen mit ihrer Verschleppung der Prozesse noch mehr an der
Tagesordnung sein würden als jetzt.

Will man etwa versuchen, diesen Übelstünden dadurch zu begegnen, daß
man die Landgerichtsanwälte auf das Landgericht ebenso wie die Amtsgerichts¬
anwälte auf das Amtsgericht beschränkt? Dann würden sich allerdings die
Landgerichtsanwälte einer ruhigen, vornehmen Praxis erfreuen, aber — davon
lebe» könnten sie nicht. Die Amtsgerichte aber würde man gerade in dem
Augenblick, wo man ihre Zuständigkeit erweitert, darauf verweisen, sich aus¬
schließlich mit Anwälten zweiter Klasse zu begnügen.

Die von Herrn X vorgeschlagne Teilung des Anwaltstandes in zwei Klassen
macht also die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Und die Sache ist jetzt


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[0550] Die Aompetenzermeiterung der Amtsgerichte zu reden, „für die ersten Jahre, wo noch keine großen Ansprüche gestellt werden, vollständig genügen"; daß seine Einnahmen diese Stufe nicht wesentlich überschreiten, dafür wird die Konkurrenz aller der jungen Juristen sorgen, die, wenn sie nicht jahrelang auf ihre erste Anstellung als Richter warten wollen, kaum eine andre Wahl haben, als Amtsgerichtsanwalt zu werden. Der Amts- gerichtsanwalt wäre in aller Form Rechtens ein Anwalt zweiter Klasse. Er wäre, nicht wie jetzt bloß durch die Wahl seines Wohnortes, sondern durch seine Eigenschaft als „minderwertiger" Anwalt von jeder Thätigkeit am Kolle¬ gialgericht ausgeschlossen, ohne darum vor der Konkurrenz der Landgerichts¬ anwälte in seiner Thätigkeit am Amtsgericht geschützt zu sein. Das nicht sehr verlockende Los, sich der Konkurrenz des Referendars von gestern, der noch lange nicht Richter werden kann, ausgesetzt zu sehen, träfe in Zukunft nur den Amtsgerichtsanwalt; gleichzeitig kann er es erleben, daß sein früherer Schreiber als Vertreter der Gegenpartei dieselbe Thätigkeit ausübt wie er selbst, wenn es nicht dem Amtsrichter gefällt, es zu untersagen. Von diesen Anwälten zweiter Klasse wird nach Ablauf der drei Jahre nur ein geringer Teil Lust zeigen, beim Amtsgericht zu bleiben. Geht aber ein großer Teil von ihnen nach drei Jahren doch an das Landgericht, so ist die Wirksamkeit der von Herrn T empfohlnen Maßregel gleich Null. Aber damit nicht genug. Durch diesen Abzug würde die Zahl der Amtsgerichtsanwälte nicht vermindert werden; denn bei der heutigen Überfüllung der juristischen Laufbahn und bei dem immer größer werdenden Zeitraum, der bis zur ersten Anstellung der Richter ver¬ streicht, würde jede auf solche Weise frei gewordne Anwaltstelle beim Amts¬ gericht sofort wieder besetzt werden. An den Landgerichten aber würde derselbe Zuzug junger Kräfte stattfinden wie früher, er würde sich uur um drei Jahre verzögern. Die Landgerichte würden aber dann kaum die Hälfte ihrer jetzigen Praxis bieten. Der Landgerichtsanwalt wäre daher genötigt, seine Praxis auf die Amtsgerichte zu erstrecken, die mit ihrer erweiterten Zuständigkeit doppelten Anreiz hierzu böten. Die unausbleibliche Folge wäre, daß die Thätigkeit der Landgerichtsanwälte noch mehr als, jetzt zersplittert werden würde, und daß Terminkollisionen mit ihrer Verschleppung der Prozesse noch mehr an der Tagesordnung sein würden als jetzt. Will man etwa versuchen, diesen Übelstünden dadurch zu begegnen, daß man die Landgerichtsanwälte auf das Landgericht ebenso wie die Amtsgerichts¬ anwälte auf das Amtsgericht beschränkt? Dann würden sich allerdings die Landgerichtsanwälte einer ruhigen, vornehmen Praxis erfreuen, aber — davon lebe» könnten sie nicht. Die Amtsgerichte aber würde man gerade in dem Augenblick, wo man ihre Zuständigkeit erweitert, darauf verweisen, sich aus¬ schließlich mit Anwälten zweiter Klasse zu begnügen. Die von Herrn X vorgeschlagne Teilung des Anwaltstandes in zwei Klassen macht also die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Und die Sache ist jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/550>, abgerufen am 06.01.2025.