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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Schiffen fehlen, in die moderne Ausdrucksweise übersetzt, von acht Schlacht¬
schiffen ersten Ranges zwei, von den zwanzig Korvetten (den jetzigen Kreuzern)
zehn; die jetzigen Panzerschiffe zweiten und dritten Ranges haben nur geringen
Gefechtswert, und nur die sieben "Monitors" von 1873 sind an Zahl durch
den jetzigen Bestand ähnlicher Küstenverteidiger wesentlich übertroffen. An dem
von Caprivi 1883 vorgelegten Flottenplane tadelt er die Absonderung besondrer
Schulschiffe und das Übergewicht des TorpedobootwesenS, zu dessen Gunsten
der Bau von Schlachtschiffen eine Zeit lang ganz zurückgetreten sei. Mit dein
vierten Abschnitt geht er auf die gegenwärtige Flotte und ihre Aufgaben (die
Schlachtflotte, Seekrieg und Küstenverteidignng, die Kreuzer, Friedensdienst der
Kriegsflotte, Deutschlands Seemacht, Deutschlands Zukunft) über. Die einzelnen
Schiffstypen werden genau geschildert und durch Abbildungen wie durch sehr
instruktive "Deckpläne" erläutert. Beinahe ein Gefühl der Beklemmung erregt
der letzte Abschnitt. Denn aus den übersichtlichen Tabellen sehen wir, daß die
deutsche Marine seit der Gründung des Reichs im Vergleich auch uur mit
den Seemächten zweiten Ranges nicht nur keine Fortschritte gemacht, sondern
sogar bedeutend zurückgegangen ist. Wir stehen jetzt in Bezug auf Hochscepanzer
mit Japan an sechster Stelle, für Panzer zweiter und dritter Klasse mit Öster¬
reich an dritter, nnr für die kleinsten Panzer Rußland gleich. Unser Bestand
an Panzerkreuzern steht sogar erst an achter Stelle, der an kleineren ge¬
schützten Kreuzern an fünfter (mit nenn teils fertigen, teils im Bau begriffnen
Schiffen), Panzerkreuzer haben wir überhaupt noch nicht, nur einer ist jetzt
im Ban, während das "arme" Italien neben zwölf mächtigen Hochseepanzern,
von den Kolonien noch ganz abgesehen, ersten Ranges fünf, Spanien zehn,
Japan vier Panzerkreuzer hat. Wie wenig diese Flotte den höchst realen Be¬
dürfnissen insbesondre des deutschen Handels genügt, zeigt ein Blick auf unsre
Handelsflotte. In fünfundzwanzig Jahren, 1871 bis 1895, ist diese von
1 146000 auf 3390000 Tonnen Gehalt gewachsen, hat sich also fast verdrei¬
facht und steht jetzt in Europa nur der englischen nach, während die franzö¬
sische, die 1871 noch an Tonnenzahl über der deutschen stand (1488000), nur
um etwa ein Viertel dieser Zahl gewachsen ist. Daher soll heute ein moderner
Kreuzer in Frankreich und Italien acht, in Rußland siebzehn, in Österreich achtund-
zwanzig, in England vierundvierzig, in Deutschland aber siebenundachtzig Handels¬
dampfer schützen! Welche ungeheuern Interessen stehen dabei ans dem Spiele!
Übertrifft doch jetzt schon der außereuropäische Handel Deutschlands bei weitem
seinen europäischen zu Laud und See. Und solchen Zahlen gegenüber faselt man
von "uferlosen" Flottenplünen! Hoffentlich tragen die ebenso sachkundigen wie
von warm patriotischer Empfindung durchdrungnen Ausführungen von Wisli-
cenns dazu bei, die Überzeugung von der Notwendigkeit einer starken Kriegs¬
flotte zur Beherrschung der See in immer weitere Kreise zu tragen. Wer nnr
eine Küsteuverteidigungsflotte will, der handelt so, wie wenn man an den Land-


Schiffen fehlen, in die moderne Ausdrucksweise übersetzt, von acht Schlacht¬
schiffen ersten Ranges zwei, von den zwanzig Korvetten (den jetzigen Kreuzern)
zehn; die jetzigen Panzerschiffe zweiten und dritten Ranges haben nur geringen
Gefechtswert, und nur die sieben „Monitors" von 1873 sind an Zahl durch
den jetzigen Bestand ähnlicher Küstenverteidiger wesentlich übertroffen. An dem
von Caprivi 1883 vorgelegten Flottenplane tadelt er die Absonderung besondrer
Schulschiffe und das Übergewicht des TorpedobootwesenS, zu dessen Gunsten
der Bau von Schlachtschiffen eine Zeit lang ganz zurückgetreten sei. Mit dein
vierten Abschnitt geht er auf die gegenwärtige Flotte und ihre Aufgaben (die
Schlachtflotte, Seekrieg und Küstenverteidignng, die Kreuzer, Friedensdienst der
Kriegsflotte, Deutschlands Seemacht, Deutschlands Zukunft) über. Die einzelnen
Schiffstypen werden genau geschildert und durch Abbildungen wie durch sehr
instruktive „Deckpläne" erläutert. Beinahe ein Gefühl der Beklemmung erregt
der letzte Abschnitt. Denn aus den übersichtlichen Tabellen sehen wir, daß die
deutsche Marine seit der Gründung des Reichs im Vergleich auch uur mit
den Seemächten zweiten Ranges nicht nur keine Fortschritte gemacht, sondern
sogar bedeutend zurückgegangen ist. Wir stehen jetzt in Bezug auf Hochscepanzer
mit Japan an sechster Stelle, für Panzer zweiter und dritter Klasse mit Öster¬
reich an dritter, nnr für die kleinsten Panzer Rußland gleich. Unser Bestand
an Panzerkreuzern steht sogar erst an achter Stelle, der an kleineren ge¬
schützten Kreuzern an fünfter (mit nenn teils fertigen, teils im Bau begriffnen
Schiffen), Panzerkreuzer haben wir überhaupt noch nicht, nur einer ist jetzt
im Ban, während das „arme" Italien neben zwölf mächtigen Hochseepanzern,
von den Kolonien noch ganz abgesehen, ersten Ranges fünf, Spanien zehn,
Japan vier Panzerkreuzer hat. Wie wenig diese Flotte den höchst realen Be¬
dürfnissen insbesondre des deutschen Handels genügt, zeigt ein Blick auf unsre
Handelsflotte. In fünfundzwanzig Jahren, 1871 bis 1895, ist diese von
1 146000 auf 3390000 Tonnen Gehalt gewachsen, hat sich also fast verdrei¬
facht und steht jetzt in Europa nur der englischen nach, während die franzö¬
sische, die 1871 noch an Tonnenzahl über der deutschen stand (1488000), nur
um etwa ein Viertel dieser Zahl gewachsen ist. Daher soll heute ein moderner
Kreuzer in Frankreich und Italien acht, in Rußland siebzehn, in Österreich achtund-
zwanzig, in England vierundvierzig, in Deutschland aber siebenundachtzig Handels¬
dampfer schützen! Welche ungeheuern Interessen stehen dabei ans dem Spiele!
Übertrifft doch jetzt schon der außereuropäische Handel Deutschlands bei weitem
seinen europäischen zu Laud und See. Und solchen Zahlen gegenüber faselt man
von „uferlosen" Flottenplünen! Hoffentlich tragen die ebenso sachkundigen wie
von warm patriotischer Empfindung durchdrungnen Ausführungen von Wisli-
cenns dazu bei, die Überzeugung von der Notwendigkeit einer starken Kriegs¬
flotte zur Beherrschung der See in immer weitere Kreise zu tragen. Wer nnr
eine Küsteuverteidigungsflotte will, der handelt so, wie wenn man an den Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/548>, abgerufen am 06.01.2025.