Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Ernst, mit dem alle Ehrensachen im Heere behandelt werden, hat viel¬ Die Ehrengerichte haben nämlich nicht allein den Zweck, gegen Offiziere, die . Auf den vorliegenden Fall übertragen, stellt sich die Sache folgendermaßen de3 5^ Gelegenheit der Besprechung dieser vermeintliche" Vorrechte Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Ernst, mit dem alle Ehrensachen im Heere behandelt werden, hat viel¬ Die Ehrengerichte haben nämlich nicht allein den Zweck, gegen Offiziere, die . Auf den vorliegenden Fall übertragen, stellt sich die Sache folgendermaßen de3 5^ Gelegenheit der Besprechung dieser vermeintliche« Vorrechte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0397" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223981"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1193"> Der Ernst, mit dem alle Ehrensachen im Heere behandelt werden, hat viel¬<lb/> fach zu der Annahme geführt, daß es für Offiziere einen ganz besondern Ehren¬<lb/> kodex gebe, und die Thatsache von dem Bestehen der Ehrengerichte, deren Urteile<lb/> ja in interessanten Fällen von Zeit zu Zeit an die Öffentlichkeit dringen, ist ganz<lb/> dazu angethan, diesen Wahn zu nähren. In Wahrheit giebt es aber kein derartiges<lb/> Buch; es lassen sich eben keine Gesetzesparaphen über die Ehre schreiben, ebenso<lb/> wenig man — schon Lessing wußte das — den Begriff „Ehre" definiren kann.<lb/> In einer Kabinetsordre, die die Einleitung zu den Verordnungen über die Ehren¬<lb/> gerichte bildet und, nebenbei bemerkt, den spätern Reichskanzler Caprivi zum Ver¬<lb/> fasser hat, werden darum auch nur allgemeine Grundsätze ausgesprochen, die Art<lb/> der Behandlung aber bleibt in jedem einzelnen Falle den Richtern überlassen. Diese<lb/> Grundsätze sind als Maßstab der Beurteilung allein maßgebend, und aus ihrer<lb/> Betrachtung wird sich ergebe«, daß der Leutnant von Brüsewitz zu seiner Gewalt-<lb/> that nicht nnr nicht verpflichtet war, souderu — auch deu hier gar nicht einmal<lb/> Erliegenden Fall einer vorangegangnen Beleidigung vorausgesetzt — nicht die<lb/> geringste Veranlassung hatte, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1194"> Die Ehrengerichte haben nämlich nicht allein den Zweck, gegen Offiziere, die<lb/> es an dem richtigen Ehrgefühl in irgend welcher Weise haben fehlen lassen, be¬<lb/> lehrend oder strafend einzuschreiten, sondern sie sollen auch dazu dienen, solchen<lb/> Offizieren, deren Ehre ohne Grund angegriffen worden ist, Genugthuung zu ver¬<lb/> schaffen, salls diese selbst nicht in der Lage sind, es zu thun. Liegt ein solcher<lb/> vor, so muß der Ehrenrat zuerst untersuchen, ob der beleidigte Offizier nicht<lb/> ^lelleicht auf irgend eine Weise die erlittene Beleidigung' selbst verschuldet hat, mag<lb/> °>es nun durch eigne Provokation oder dnrch Verkehr in nicht standesgemäßer Ge¬<lb/> sellschaft geschehen sein. Ist das nicht der Fall, so wird geprüft, ob sich der Be¬<lb/> eidigle bei der Beleidigung sowohl wie später bei der Bemühung, Sühne zu er¬<lb/> äugen, tadellos benommen, also deu weitern Verkehr unverzüglich abgebrochen und<lb/> K l ^."^ Forderung des Beleidigers Genugthuung zu schaffen gesucht hat. Ist<lb/> lese Forderung abgelehnt worden, so bleibt dem Offizier kein Weg zu selbständigem<lb/> ^ schreiten mehr frei; es muß dann der Schutz durch das Ehrengericht eintreten,<lb/> - h- das Ehrengericht tritt zusammen und stellt durch seinen Spruch die verletzte<lb/> «wndesehre wieder her.</p><lb/> <p xml:id="ID_1195"> . Auf den vorliegenden Fall übertragen, stellt sich die Sache folgendermaßen<lb/> Wenn sich der Leutnant von Brüsewitz durch die Berührung des Herrn Siep-<lb/> wnnn so beleidigt fühlte — eine fast unglaubliche Voraussetzung —, daß er dafür<lb/> ^nie Genugthuung fordern zu müssen glaubte, so durfte er unter keinen Umständen<lb/> Persönlichen Verkehr mit seinem Beleidiger noch fortsetzen. Er mußte ihm<lb/> leuieu Kartellträger schicken, und wenn die Forderung abgelehnt wurde, so konnte<lb/> ^ eine Sühne für die ihm widerfahrne Beleidigung nur durch den Spruch des<lb/> ^ständigen Ehrengerichtes finden. Von der Waffe darf der Offizier, wie jeder<lb/> udre Soldat, nnr im Fall der Notwehr Gebrauch machen; davon konnte also hier<lb/> keine Rede sein. Dieser Punkt aus der Verordnung über den Waffengebrauch<lb/> ^' Truppen ist übrigens allgemein bekannt oder sollte es sein, und mau kann ein-<lb/> >ebenen, daß es gegen besseres Wissen geschehen ist, wenn es einzelne Blätter als<lb/> Recht des Offiziers hinstellen, daß er in solchen Fällen die Waffe zu ziehen<lb/> ^"ugt sei, und darum vor jedem Verkehr mit ihm warnen, da man sonst seines<lb/> Gebens nicht sicher sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1196" next="#ID_1197"> de3 5^ Gelegenheit der Besprechung dieser vermeintliche« Vorrechte<lb/> dies "ex '^'6 "und die Dnellfrage wieder auf die Tagesordnung zu scheu. Was<lb/> >e Frage betrifft, soll hier nnr kurz auf eiuen Punkt hingewiesen werden, über</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0397]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Ernst, mit dem alle Ehrensachen im Heere behandelt werden, hat viel¬
fach zu der Annahme geführt, daß es für Offiziere einen ganz besondern Ehren¬
kodex gebe, und die Thatsache von dem Bestehen der Ehrengerichte, deren Urteile
ja in interessanten Fällen von Zeit zu Zeit an die Öffentlichkeit dringen, ist ganz
dazu angethan, diesen Wahn zu nähren. In Wahrheit giebt es aber kein derartiges
Buch; es lassen sich eben keine Gesetzesparaphen über die Ehre schreiben, ebenso
wenig man — schon Lessing wußte das — den Begriff „Ehre" definiren kann.
In einer Kabinetsordre, die die Einleitung zu den Verordnungen über die Ehren¬
gerichte bildet und, nebenbei bemerkt, den spätern Reichskanzler Caprivi zum Ver¬
fasser hat, werden darum auch nur allgemeine Grundsätze ausgesprochen, die Art
der Behandlung aber bleibt in jedem einzelnen Falle den Richtern überlassen. Diese
Grundsätze sind als Maßstab der Beurteilung allein maßgebend, und aus ihrer
Betrachtung wird sich ergebe«, daß der Leutnant von Brüsewitz zu seiner Gewalt-
that nicht nnr nicht verpflichtet war, souderu — auch deu hier gar nicht einmal
Erliegenden Fall einer vorangegangnen Beleidigung vorausgesetzt — nicht die
geringste Veranlassung hatte, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.
Die Ehrengerichte haben nämlich nicht allein den Zweck, gegen Offiziere, die
es an dem richtigen Ehrgefühl in irgend welcher Weise haben fehlen lassen, be¬
lehrend oder strafend einzuschreiten, sondern sie sollen auch dazu dienen, solchen
Offizieren, deren Ehre ohne Grund angegriffen worden ist, Genugthuung zu ver¬
schaffen, salls diese selbst nicht in der Lage sind, es zu thun. Liegt ein solcher
vor, so muß der Ehrenrat zuerst untersuchen, ob der beleidigte Offizier nicht
^lelleicht auf irgend eine Weise die erlittene Beleidigung' selbst verschuldet hat, mag
°>es nun durch eigne Provokation oder dnrch Verkehr in nicht standesgemäßer Ge¬
sellschaft geschehen sein. Ist das nicht der Fall, so wird geprüft, ob sich der Be¬
eidigle bei der Beleidigung sowohl wie später bei der Bemühung, Sühne zu er¬
äugen, tadellos benommen, also deu weitern Verkehr unverzüglich abgebrochen und
K l ^."^ Forderung des Beleidigers Genugthuung zu schaffen gesucht hat. Ist
lese Forderung abgelehnt worden, so bleibt dem Offizier kein Weg zu selbständigem
^ schreiten mehr frei; es muß dann der Schutz durch das Ehrengericht eintreten,
- h- das Ehrengericht tritt zusammen und stellt durch seinen Spruch die verletzte
«wndesehre wieder her.
. Auf den vorliegenden Fall übertragen, stellt sich die Sache folgendermaßen
Wenn sich der Leutnant von Brüsewitz durch die Berührung des Herrn Siep-
wnnn so beleidigt fühlte — eine fast unglaubliche Voraussetzung —, daß er dafür
^nie Genugthuung fordern zu müssen glaubte, so durfte er unter keinen Umständen
Persönlichen Verkehr mit seinem Beleidiger noch fortsetzen. Er mußte ihm
leuieu Kartellträger schicken, und wenn die Forderung abgelehnt wurde, so konnte
^ eine Sühne für die ihm widerfahrne Beleidigung nur durch den Spruch des
^ständigen Ehrengerichtes finden. Von der Waffe darf der Offizier, wie jeder
udre Soldat, nnr im Fall der Notwehr Gebrauch machen; davon konnte also hier
keine Rede sein. Dieser Punkt aus der Verordnung über den Waffengebrauch
^' Truppen ist übrigens allgemein bekannt oder sollte es sein, und mau kann ein-
>ebenen, daß es gegen besseres Wissen geschehen ist, wenn es einzelne Blätter als
Recht des Offiziers hinstellen, daß er in solchen Fällen die Waffe zu ziehen
^"ugt sei, und darum vor jedem Verkehr mit ihm warnen, da man sonst seines
Gebens nicht sicher sei.
de3 5^ Gelegenheit der Besprechung dieser vermeintliche« Vorrechte
dies "ex '^'6 "und die Dnellfrage wieder auf die Tagesordnung zu scheu. Was
>e Frage betrifft, soll hier nnr kurz auf eiuen Punkt hingewiesen werden, über
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |