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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Die ganze ungeheure Verkehrtheit, die in Preußen bestehende Parität dahin
auszudeuten, daß die katholische Propaganda jahraus jahrein mit allen Macht¬
mitteln ihrer Kirche, allein persönlichen Einfluß der Häupter ihrer Hierarchie
deu Protestantismus untergraben und vernichten dürfe, jede Abwehr aber und
jede Aussprache protestantischen Bewußtseins als Angriff auf die Parität au¬
gesehen und strafrechtlich geahndet werden müsse, trat in diesem Prozesse zuerst
zu Tage und hat sich seitdem hundertfältig wiederholt. Beyschlag wurde in
der zweiten Instanz freigesprochen. Dennoch berührt es eigentümlich, nach
einem Menschenalter von vergangnen Dingen zu vernehmen und sich dann zu
erinnern, daß eben diese Dinge vollkommen gegenwärtige sind. War auch
Beyschlag damals noch jung, sodaß er selbst sagt: "Wenn ich an jene scharfen
Trierer Kämpfe zurückdenke, so preise ich das schöne Glück der Jugend, die
auch schweres nicht allzuschwer nimmt; dazu das Glück der Arbeit, die auch
dem schweren ein gutes Gegengewicht bietet. Jene ganzen vier Monate hin¬
durch, in denen das Schwert der Anklage und Verurteilung über meinem
Haupte hing, war ich anderweit so stark in Anspruch genommen, daß mir die
häßliche Prozeßsache die meiste Zeit ganz aus dem Gemüte entschwunden war,"
so drängte sich ihm doch mehr und mehr die Erkenntnis auf, daß es gelte,
um das Bestehen der eignen Kirche wider Rom zu ringen und zugleich einem
großen Kampfe innerhalb der eignen Kirche nicht länger auszuweichen. Damals
wurde ihm zur Überzeugung, daß es ein Entweder-Oder gebe: "Entweder
eines freien Rechts der evangelischen Kirche, sich aus ihren ewigen Grundlagen
fortznentwickelu, oder aber ihrer Verpflichtung zur Rückkehr in eine überlebte
Vergangenheitsform, eine Rückkehr, die nur auf zwangsgesetzliche Weise durch¬
zuführen war und ueben der Herstellung des alten nur dein Erbfeind die
Thore öffnenden Zwiespalts den Verzicht auf jede Verständigung mit Wissen¬
schaft und Bildung des Jahrhunderts umschloß."

Weil dem so war, weil Beyschlag mit dieser Erkenntnis aus den Jünglings¬
jahren in die Mannesjahre eintrat, können wir die letzten Erzählungen seines
selbstbiographischen Buches, die Schilderungen der letzten Trierer Jahre, der
Berufung als Hofprediger des Priuzregenten Friedrich von Baden nach Karls¬
ruhe, des Scheidens aus Preußen, können anch die zum Teil tiefergreifende"
Episoden dieser Lebensjahre, den frühen Verlust seines teuern Bruders, des
Pfarrers Franz Beyschlag, die Gastpredigt in Bonn und manches verwandte
nicht als den eigentlichen Abschluß dieses bedeutenden Lebensbildes ansehen.
Nachdem Beyschlag deu Weg gezeigt und erhellt hat, den er nach seines Herzens
Glauben fortan zu gehen hatte, erwächst ihm daraus eine gewisse Verpflichtung,
auch uns andre an diesem Wege teilnehmen zu lassen. Es werden gerade in
dem zweiten Teile des Buches so viele große und schwere Fragen angeregt,
es drängt sich unabweisbar der Wunsch ans, gerade über die Stellung eines
Erprobten zu diesen Fragen ausführliches zu erfahren, über Eindrücke und


Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen

Die ganze ungeheure Verkehrtheit, die in Preußen bestehende Parität dahin
auszudeuten, daß die katholische Propaganda jahraus jahrein mit allen Macht¬
mitteln ihrer Kirche, allein persönlichen Einfluß der Häupter ihrer Hierarchie
deu Protestantismus untergraben und vernichten dürfe, jede Abwehr aber und
jede Aussprache protestantischen Bewußtseins als Angriff auf die Parität au¬
gesehen und strafrechtlich geahndet werden müsse, trat in diesem Prozesse zuerst
zu Tage und hat sich seitdem hundertfältig wiederholt. Beyschlag wurde in
der zweiten Instanz freigesprochen. Dennoch berührt es eigentümlich, nach
einem Menschenalter von vergangnen Dingen zu vernehmen und sich dann zu
erinnern, daß eben diese Dinge vollkommen gegenwärtige sind. War auch
Beyschlag damals noch jung, sodaß er selbst sagt: „Wenn ich an jene scharfen
Trierer Kämpfe zurückdenke, so preise ich das schöne Glück der Jugend, die
auch schweres nicht allzuschwer nimmt; dazu das Glück der Arbeit, die auch
dem schweren ein gutes Gegengewicht bietet. Jene ganzen vier Monate hin¬
durch, in denen das Schwert der Anklage und Verurteilung über meinem
Haupte hing, war ich anderweit so stark in Anspruch genommen, daß mir die
häßliche Prozeßsache die meiste Zeit ganz aus dem Gemüte entschwunden war,"
so drängte sich ihm doch mehr und mehr die Erkenntnis auf, daß es gelte,
um das Bestehen der eignen Kirche wider Rom zu ringen und zugleich einem
großen Kampfe innerhalb der eignen Kirche nicht länger auszuweichen. Damals
wurde ihm zur Überzeugung, daß es ein Entweder-Oder gebe: „Entweder
eines freien Rechts der evangelischen Kirche, sich aus ihren ewigen Grundlagen
fortznentwickelu, oder aber ihrer Verpflichtung zur Rückkehr in eine überlebte
Vergangenheitsform, eine Rückkehr, die nur auf zwangsgesetzliche Weise durch¬
zuführen war und ueben der Herstellung des alten nur dein Erbfeind die
Thore öffnenden Zwiespalts den Verzicht auf jede Verständigung mit Wissen¬
schaft und Bildung des Jahrhunderts umschloß."

Weil dem so war, weil Beyschlag mit dieser Erkenntnis aus den Jünglings¬
jahren in die Mannesjahre eintrat, können wir die letzten Erzählungen seines
selbstbiographischen Buches, die Schilderungen der letzten Trierer Jahre, der
Berufung als Hofprediger des Priuzregenten Friedrich von Baden nach Karls¬
ruhe, des Scheidens aus Preußen, können anch die zum Teil tiefergreifende»
Episoden dieser Lebensjahre, den frühen Verlust seines teuern Bruders, des
Pfarrers Franz Beyschlag, die Gastpredigt in Bonn und manches verwandte
nicht als den eigentlichen Abschluß dieses bedeutenden Lebensbildes ansehen.
Nachdem Beyschlag deu Weg gezeigt und erhellt hat, den er nach seines Herzens
Glauben fortan zu gehen hatte, erwächst ihm daraus eine gewisse Verpflichtung,
auch uns andre an diesem Wege teilnehmen zu lassen. Es werden gerade in
dem zweiten Teile des Buches so viele große und schwere Fragen angeregt,
es drängt sich unabweisbar der Wunsch ans, gerade über die Stellung eines
Erprobten zu diesen Fragen ausführliches zu erfahren, über Eindrücke und


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[0338] Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Die ganze ungeheure Verkehrtheit, die in Preußen bestehende Parität dahin auszudeuten, daß die katholische Propaganda jahraus jahrein mit allen Macht¬ mitteln ihrer Kirche, allein persönlichen Einfluß der Häupter ihrer Hierarchie deu Protestantismus untergraben und vernichten dürfe, jede Abwehr aber und jede Aussprache protestantischen Bewußtseins als Angriff auf die Parität au¬ gesehen und strafrechtlich geahndet werden müsse, trat in diesem Prozesse zuerst zu Tage und hat sich seitdem hundertfältig wiederholt. Beyschlag wurde in der zweiten Instanz freigesprochen. Dennoch berührt es eigentümlich, nach einem Menschenalter von vergangnen Dingen zu vernehmen und sich dann zu erinnern, daß eben diese Dinge vollkommen gegenwärtige sind. War auch Beyschlag damals noch jung, sodaß er selbst sagt: „Wenn ich an jene scharfen Trierer Kämpfe zurückdenke, so preise ich das schöne Glück der Jugend, die auch schweres nicht allzuschwer nimmt; dazu das Glück der Arbeit, die auch dem schweren ein gutes Gegengewicht bietet. Jene ganzen vier Monate hin¬ durch, in denen das Schwert der Anklage und Verurteilung über meinem Haupte hing, war ich anderweit so stark in Anspruch genommen, daß mir die häßliche Prozeßsache die meiste Zeit ganz aus dem Gemüte entschwunden war," so drängte sich ihm doch mehr und mehr die Erkenntnis auf, daß es gelte, um das Bestehen der eignen Kirche wider Rom zu ringen und zugleich einem großen Kampfe innerhalb der eignen Kirche nicht länger auszuweichen. Damals wurde ihm zur Überzeugung, daß es ein Entweder-Oder gebe: „Entweder eines freien Rechts der evangelischen Kirche, sich aus ihren ewigen Grundlagen fortznentwickelu, oder aber ihrer Verpflichtung zur Rückkehr in eine überlebte Vergangenheitsform, eine Rückkehr, die nur auf zwangsgesetzliche Weise durch¬ zuführen war und ueben der Herstellung des alten nur dein Erbfeind die Thore öffnenden Zwiespalts den Verzicht auf jede Verständigung mit Wissen¬ schaft und Bildung des Jahrhunderts umschloß." Weil dem so war, weil Beyschlag mit dieser Erkenntnis aus den Jünglings¬ jahren in die Mannesjahre eintrat, können wir die letzten Erzählungen seines selbstbiographischen Buches, die Schilderungen der letzten Trierer Jahre, der Berufung als Hofprediger des Priuzregenten Friedrich von Baden nach Karls¬ ruhe, des Scheidens aus Preußen, können anch die zum Teil tiefergreifende» Episoden dieser Lebensjahre, den frühen Verlust seines teuern Bruders, des Pfarrers Franz Beyschlag, die Gastpredigt in Bonn und manches verwandte nicht als den eigentlichen Abschluß dieses bedeutenden Lebensbildes ansehen. Nachdem Beyschlag deu Weg gezeigt und erhellt hat, den er nach seines Herzens Glauben fortan zu gehen hatte, erwächst ihm daraus eine gewisse Verpflichtung, auch uns andre an diesem Wege teilnehmen zu lassen. Es werden gerade in dem zweiten Teile des Buches so viele große und schwere Fragen angeregt, es drängt sich unabweisbar der Wunsch ans, gerade über die Stellung eines Erprobten zu diesen Fragen ausführliches zu erfahren, über Eindrücke und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/338>, abgerufen am 06.01.2025.