Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Muse geworden, in der Berührung mit ihr und im Kampfe um ihren Besitz Hier wehte schärfere Luft, und der Ernst der Zeitverhältnisse, des ganzen Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen Muse geworden, in der Berührung mit ihr und im Kampfe um ihren Besitz Hier wehte schärfere Luft, und der Ernst der Zeitverhältnisse, des ganzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223916"/> <fw type="header" place="top"> Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013"> Muse geworden, in der Berührung mit ihr und im Kampfe um ihren Besitz<lb/> hatte sich seine poetische Begabung zu ihrer möglichen Blüte entfaltet." Die<lb/> Feste der Maikäfergesellschaft, mit den bescheidensten äußern Mitteln geschaffen,<lb/> aber von einem Schimmer des edelsten geistigen Genusses verklärt, die Nhein-<lb/> fahrten, die der kleine Kreis unternahm, erstehen in Beyschlags Schilderungen<lb/> in farbigem Glänze. Da „wurde rheinabwärts auf der rechten Stromseite<lb/> nach Vergheim spaziert, wo eine von frischem Waldgrün überwölbte heimliche<lb/> Rheinbucht begann, und im Kahn langsam das krystallne Gewässer, auf dem<lb/> die Seerosen schwammen, hinabgefahren in tiefer, tiefer Stille, die mir das<lb/> Plätschern der Ruder und der Gesaug der Nachtigallen unterbrach. Zuletzt<lb/> aber, dem Jnselchen Pfaffenmütz gegenüber, gings hinaus in den offnen Rhein<lb/> mit seiner mächtigen, strömenden Flut. Nun landeten wir an irgend einem<lb/> hübschen Waldplätzchcu, entfernt von jedem Menschenlaut, setzten uns auf den<lb/> grünen Nasen und füllten die Becher, indes Johanna uns ein helltönendes<lb/> Lied sang oder aus dem Stegreif ein Märchen erzählte." Ein Lied Beyschlags<lb/> „Du Tiefe, du zaubrische Tiefe, was lockst du den irrenden Sinn" in seinem<lb/> gleichfalls erst am Lebensabend gesammelten „Vlütenstrauß" verkörpert die<lb/> Erinnerung an solche Stunden poetisch. Begreiflich genug, daß dem Studenten<lb/> das Scheiden aus diesem Stück lebendiger Poesie schwer wurde, als es galt,<lb/> die Bonner Universität mit der Berliner zu vertauschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Hier wehte schärfere Luft, und der Ernst der Zeitverhältnisse, des ganzen<lb/> Daseins, auch des eignen künftigen Berufs drang entschieden auf Beyschlag<lb/> ein. Der Gefahr, „von ernstern Lebenszielen abzukommen und am Ende gar<lb/> die theologische Bestimmung mit dem Traum einer Dichterlaufbayü zu ver¬<lb/> tauschen," hatte sich der Student schon in Bonn und mitten im Maien¬<lb/> traum der Maiküfersymposieu enthoben gefühlt; da ihm „die Frage nach<lb/> dem Wahren und Guten unverrückbar wichtiger war, als die nach dem<lb/> Schönen," und er auf sie nur von der Theologie befriedigende Antwort hoffte,<lb/> so war schon jetzt die Wahl zwischen Theologie und Philologie getroffen.<lb/> Den Kampf der Zeit, den grimmen Zwiespalt zwischen Philosophie und<lb/> christlicher Gläubigkeit hatte der ernste und strebende junge Theolog natürlich<lb/> auch in sich durchzukämpfen, in Berlin fehlte es ihm nicht an Anregungen<lb/> und Verbindungen, die ihm persönlich die volle Gewalt des großen Gegen¬<lb/> satzes fühlbar machten. Schon die erste entfernte Bekanntschaft mit Strauß<lb/> und der Tübinger Evangelienkritik hatte ihm gezeigt, „auf wie schwachen<lb/> Füßen, wissenschaftlich genommen, die cmerzvgne christliche Weltanschauung<lb/> stand," seine Freunde Jakob Bnrckhcirdt und Torstrick teilten die Meinung von<lb/> der unaufhaltsamen Selbstauflösung des Christentums, auch der interessante<lb/> und früh verstorbne Ernst Ackermann bedrängte ihn mit pantheistischer Welt¬<lb/> anschauung, sodaß sich Beyschlags „christliche Überzeugung im stärksten Wellen¬<lb/> schlag befand," von Bonn her schrieb Kinkel Briefe, die eine Abkehr vom</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0332]
Willibald Beyschlags Lebenserinnerungen
Muse geworden, in der Berührung mit ihr und im Kampfe um ihren Besitz
hatte sich seine poetische Begabung zu ihrer möglichen Blüte entfaltet." Die
Feste der Maikäfergesellschaft, mit den bescheidensten äußern Mitteln geschaffen,
aber von einem Schimmer des edelsten geistigen Genusses verklärt, die Nhein-
fahrten, die der kleine Kreis unternahm, erstehen in Beyschlags Schilderungen
in farbigem Glänze. Da „wurde rheinabwärts auf der rechten Stromseite
nach Vergheim spaziert, wo eine von frischem Waldgrün überwölbte heimliche
Rheinbucht begann, und im Kahn langsam das krystallne Gewässer, auf dem
die Seerosen schwammen, hinabgefahren in tiefer, tiefer Stille, die mir das
Plätschern der Ruder und der Gesaug der Nachtigallen unterbrach. Zuletzt
aber, dem Jnselchen Pfaffenmütz gegenüber, gings hinaus in den offnen Rhein
mit seiner mächtigen, strömenden Flut. Nun landeten wir an irgend einem
hübschen Waldplätzchcu, entfernt von jedem Menschenlaut, setzten uns auf den
grünen Nasen und füllten die Becher, indes Johanna uns ein helltönendes
Lied sang oder aus dem Stegreif ein Märchen erzählte." Ein Lied Beyschlags
„Du Tiefe, du zaubrische Tiefe, was lockst du den irrenden Sinn" in seinem
gleichfalls erst am Lebensabend gesammelten „Vlütenstrauß" verkörpert die
Erinnerung an solche Stunden poetisch. Begreiflich genug, daß dem Studenten
das Scheiden aus diesem Stück lebendiger Poesie schwer wurde, als es galt,
die Bonner Universität mit der Berliner zu vertauschen.
Hier wehte schärfere Luft, und der Ernst der Zeitverhältnisse, des ganzen
Daseins, auch des eignen künftigen Berufs drang entschieden auf Beyschlag
ein. Der Gefahr, „von ernstern Lebenszielen abzukommen und am Ende gar
die theologische Bestimmung mit dem Traum einer Dichterlaufbayü zu ver¬
tauschen," hatte sich der Student schon in Bonn und mitten im Maien¬
traum der Maiküfersymposieu enthoben gefühlt; da ihm „die Frage nach
dem Wahren und Guten unverrückbar wichtiger war, als die nach dem
Schönen," und er auf sie nur von der Theologie befriedigende Antwort hoffte,
so war schon jetzt die Wahl zwischen Theologie und Philologie getroffen.
Den Kampf der Zeit, den grimmen Zwiespalt zwischen Philosophie und
christlicher Gläubigkeit hatte der ernste und strebende junge Theolog natürlich
auch in sich durchzukämpfen, in Berlin fehlte es ihm nicht an Anregungen
und Verbindungen, die ihm persönlich die volle Gewalt des großen Gegen¬
satzes fühlbar machten. Schon die erste entfernte Bekanntschaft mit Strauß
und der Tübinger Evangelienkritik hatte ihm gezeigt, „auf wie schwachen
Füßen, wissenschaftlich genommen, die cmerzvgne christliche Weltanschauung
stand," seine Freunde Jakob Bnrckhcirdt und Torstrick teilten die Meinung von
der unaufhaltsamen Selbstauflösung des Christentums, auch der interessante
und früh verstorbne Ernst Ackermann bedrängte ihn mit pantheistischer Welt¬
anschauung, sodaß sich Beyschlags „christliche Überzeugung im stärksten Wellen¬
schlag befand," von Bonn her schrieb Kinkel Briefe, die eine Abkehr vom
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