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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

versehen sind und mit ausreichenden Fachkenntnissen besondre Eigenschaften für
diese Stellen verbinden; vielleicht ließe sich auch die Sichtung durch eine
schwieriger gehaltn" Fachprüfnng vornehmen. Es scheint das um so not¬
wendiger, als die jetzt heranwachsende junge Beamtenschaft unter den heutigen
Verhältnissen die Eisenbahnsekretärprüfung schon mit zweiundzwanzig bis dreiund¬
zwanzig Jahren ablegt und, da es ihnen an einem erstrebenswerten Berufsziele
fehlt, die Befriedigung ihres Dranges nach Vervollkommnung auf andern Ge¬
bieten sucht. Gerade unter den tüchtigsten Leuten macht man die Beobachtung,
daß sie Liebhabereien aller Art sportmüßig zu betreiben anfangen und den Dienst
nur als melkende Kuh betrachten. Diese Kräfte könnten sehr wohl für den
Staat, insbesondre für die Verwaltung nutzbar gemacht werden.

Das hier entworfne Bild ist nur in Umrissen gezeichnet. Es genügt aber,
auf dieser Grundlage den Studiengang in seinen Einzelheiten so zu gestalten,
daß mit der Zeit tüchtige Eisenbahnfachleute herangebildet werden.

Etwaigen Einwendungen gegen die Durchführbarkeit einer solchen Reform
stellen wir die guten Erfahrungen entgegen, die mit ähnlichen Organisationen
in der Post- und Bergverwaltung, besonders aber im Heer und in der Marine
gemacht worden sind. Die beiden letztern verlangen noch nicht einmal zum
Eintritt das Reifezeugnis, und doch wird anerkanntermaßen hervorragendes
geleistet, indem Theorie und Praxis in planmäßiger Abwechslung die Schule
bilden.

Immer unabweisbarer tritt aber auch die Forderung an die Staatsver¬
waltung heran, den Söhnen des gebildeten Mittelstandes Gelegenheit zu bieten,
ihre Kräfte in praktischen Beamtenstellungen zu bethätigen. Ohne die Erfüllung
dieser Forderung wird der Andrang zum juristischen Studium nicht nur nicht
abnehmen, sondern sich verstärken, schon jetzt wenden sich Söhne von Subaltern¬
beamten, schon der gesellschaftlichen Stellung wegen, die den Vätern versagt
wird, diesem Studium zu. Auf die Dauer wird der heutige Zustand unhalt¬
bar, wo dem intelligentern mittlern Beamtenstande mit verschwindenden Aus¬
nahmen die Möglichkeit genommen ist, zu leitenden Stellungen empor¬
zusteigen, auch wenn ausreichende allgemeine Bildung und Fachkenntnisse vor¬
handen sind. Möge man sich bei der Lösung dieser Frage die Worte Noschers
vor Augen halten: "So lange noch zwischen Reich und Arm ein breiter Mittel¬
stand liegt, werden die beiden Extreme selbst moralisch vom Zusammenstoß
abgehalten. Nichts bewahrt sichrer vor dem Neide gegen die Höhern und vor
der Verachtung gegen die Niedern als eine unabgebrochne Stufenleiter der
bürgerlichen Gesellschaft."




Die Juristen in der Verwaltung der Staatseisenbahnen

versehen sind und mit ausreichenden Fachkenntnissen besondre Eigenschaften für
diese Stellen verbinden; vielleicht ließe sich auch die Sichtung durch eine
schwieriger gehaltn« Fachprüfnng vornehmen. Es scheint das um so not¬
wendiger, als die jetzt heranwachsende junge Beamtenschaft unter den heutigen
Verhältnissen die Eisenbahnsekretärprüfung schon mit zweiundzwanzig bis dreiund¬
zwanzig Jahren ablegt und, da es ihnen an einem erstrebenswerten Berufsziele
fehlt, die Befriedigung ihres Dranges nach Vervollkommnung auf andern Ge¬
bieten sucht. Gerade unter den tüchtigsten Leuten macht man die Beobachtung,
daß sie Liebhabereien aller Art sportmüßig zu betreiben anfangen und den Dienst
nur als melkende Kuh betrachten. Diese Kräfte könnten sehr wohl für den
Staat, insbesondre für die Verwaltung nutzbar gemacht werden.

Das hier entworfne Bild ist nur in Umrissen gezeichnet. Es genügt aber,
auf dieser Grundlage den Studiengang in seinen Einzelheiten so zu gestalten,
daß mit der Zeit tüchtige Eisenbahnfachleute herangebildet werden.

Etwaigen Einwendungen gegen die Durchführbarkeit einer solchen Reform
stellen wir die guten Erfahrungen entgegen, die mit ähnlichen Organisationen
in der Post- und Bergverwaltung, besonders aber im Heer und in der Marine
gemacht worden sind. Die beiden letztern verlangen noch nicht einmal zum
Eintritt das Reifezeugnis, und doch wird anerkanntermaßen hervorragendes
geleistet, indem Theorie und Praxis in planmäßiger Abwechslung die Schule
bilden.

Immer unabweisbarer tritt aber auch die Forderung an die Staatsver¬
waltung heran, den Söhnen des gebildeten Mittelstandes Gelegenheit zu bieten,
ihre Kräfte in praktischen Beamtenstellungen zu bethätigen. Ohne die Erfüllung
dieser Forderung wird der Andrang zum juristischen Studium nicht nur nicht
abnehmen, sondern sich verstärken, schon jetzt wenden sich Söhne von Subaltern¬
beamten, schon der gesellschaftlichen Stellung wegen, die den Vätern versagt
wird, diesem Studium zu. Auf die Dauer wird der heutige Zustand unhalt¬
bar, wo dem intelligentern mittlern Beamtenstande mit verschwindenden Aus¬
nahmen die Möglichkeit genommen ist, zu leitenden Stellungen empor¬
zusteigen, auch wenn ausreichende allgemeine Bildung und Fachkenntnisse vor¬
handen sind. Möge man sich bei der Lösung dieser Frage die Worte Noschers
vor Augen halten: „So lange noch zwischen Reich und Arm ein breiter Mittel¬
stand liegt, werden die beiden Extreme selbst moralisch vom Zusammenstoß
abgehalten. Nichts bewahrt sichrer vor dem Neide gegen die Höhern und vor
der Verachtung gegen die Niedern als eine unabgebrochne Stufenleiter der
bürgerlichen Gesellschaft."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/272>, abgerufen am 06.01.2025.