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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Eröffnung des Donaukanals

Es war ein großes Siegesfest, das am 27. September der Kaiser von
Österreich, die Könige von Rumänien und Serbien und die Vertreter fast
sämtlicher europäischen Mächte in dem kleinen deutsch-ungarischen Städtchen
Orsowa feierten, ein Fest von ebenso hoher politischer und wirtschaftlicher
Bedeutung. Wir Deutschen konnten mit besondrer Freude dabei sein, denn
es galt gleichzeitig einem Siege des deutschen Unternehmungsgeistes: die Aus¬
führung des von den ungarischen Ingenieuren Wallende und Hoßpvtzky ent-
worfnen Plans übernahm am 23. Mai 1890 die auf bautechnischem Gebiete
rühmlichst bekannte Braunschweiger Firma Hugo Luther. Sie stellte sich an
die Spitze einer deutschen Genossenschaft -- das einzige ungarische Mitglied
trat bald aus -- und verpflichtete sich, bis Ende 1895 durch die Klippenreihe
einen Schisfweg von genügender Breite und Tiefe zu sprengen und ihn durch
Dämme gegen Zerstörung und Versandung zu schützen.

Daß die Eröffnung des Eisernen Thores eine wirtschaftliche Notwendig¬
keit war, hatten die Mächte Europas längst eingesehen. Darum wurde auch
auf den Kongressen in Paris (1856), in London (1871) und in Berlin (1878)
darüber verhandelt. Das Osmanenreich sah in jenen Stromschnellen und
Klippen des eingeengten Donaubettes eine Schutzwehr sowohl gegen bewaffnete
Angriffe, wie gegen das Eindringen der Kultur des Abendlandes. Solange
daher der Halbmond noch über jener Strecke der Donau wehte und die Türkei
die Oberherrin von Serbien und Rumänien war, wußte sie den Plänen zur
Beseitigung der Verkehrshindernisse nach- orientalischer Weise durch Ver-
fchleppungspolitik Widerstand zu leisten. Der Berliner Kongreß beauftragte
mit der Entfernung dieser Hemmnisse Österreich-Ungarn. Zehn Jahre später
(1888) übernahm Ungarn allein die schwierige Aufgabe der Durchführung.
Graf Stephan Szechenyi hat das Verdienst, immer wieder auf die Bedeutung
dieses Werkes hingewiesen zu haben. Der ungarische Handelsminister Baroß
nahm den Plan thatkräftig in die Hand und schaffte die erforderlichen Geldmittel.

Am 19. September 1890 begann das Werk. Der Minister Baroß er¬
öffnete es durch Anzünden der ersten Mine. Anfangs schritt es nur langsam,
später aber rüstig vorwärts. Ungefähr zehntausend Arbeiter, die von sechzig
Ingenieuren geleitet wurden, haben dnrch Maschinen aller Art, die vielfach zu
diesem Zwecke besonders gebaut werdeu mußten, gegen zwei Millionen Kubik¬
meter Felsgestein weggesprengt und einen zweitansendzwcihuudert Meter laugen,
achtzig Meter breiten und drei Meter tiefen Fahrweg in der Flußsohle gebahnt,
sodaß die Schiffe des Schwarzen Meeres auch bei größerm Tiefgänge bis
Orsowa gelangen können.

Daß die Eröffnung des Eisernen Thores einen neuen wichtigen Schritt
in der Entwicklung und Erschließung des europäischen Ostens und des Orients
überhaupt bildet, steht außer Frage. Deu größten Vorteil davon wird natürlich
Österreich-Ungarn haben; ist doch die Donau der natürliche Handelsweg, durch


Die Eröffnung des Donaukanals

Es war ein großes Siegesfest, das am 27. September der Kaiser von
Österreich, die Könige von Rumänien und Serbien und die Vertreter fast
sämtlicher europäischen Mächte in dem kleinen deutsch-ungarischen Städtchen
Orsowa feierten, ein Fest von ebenso hoher politischer und wirtschaftlicher
Bedeutung. Wir Deutschen konnten mit besondrer Freude dabei sein, denn
es galt gleichzeitig einem Siege des deutschen Unternehmungsgeistes: die Aus¬
führung des von den ungarischen Ingenieuren Wallende und Hoßpvtzky ent-
worfnen Plans übernahm am 23. Mai 1890 die auf bautechnischem Gebiete
rühmlichst bekannte Braunschweiger Firma Hugo Luther. Sie stellte sich an
die Spitze einer deutschen Genossenschaft — das einzige ungarische Mitglied
trat bald aus — und verpflichtete sich, bis Ende 1895 durch die Klippenreihe
einen Schisfweg von genügender Breite und Tiefe zu sprengen und ihn durch
Dämme gegen Zerstörung und Versandung zu schützen.

Daß die Eröffnung des Eisernen Thores eine wirtschaftliche Notwendig¬
keit war, hatten die Mächte Europas längst eingesehen. Darum wurde auch
auf den Kongressen in Paris (1856), in London (1871) und in Berlin (1878)
darüber verhandelt. Das Osmanenreich sah in jenen Stromschnellen und
Klippen des eingeengten Donaubettes eine Schutzwehr sowohl gegen bewaffnete
Angriffe, wie gegen das Eindringen der Kultur des Abendlandes. Solange
daher der Halbmond noch über jener Strecke der Donau wehte und die Türkei
die Oberherrin von Serbien und Rumänien war, wußte sie den Plänen zur
Beseitigung der Verkehrshindernisse nach- orientalischer Weise durch Ver-
fchleppungspolitik Widerstand zu leisten. Der Berliner Kongreß beauftragte
mit der Entfernung dieser Hemmnisse Österreich-Ungarn. Zehn Jahre später
(1888) übernahm Ungarn allein die schwierige Aufgabe der Durchführung.
Graf Stephan Szechenyi hat das Verdienst, immer wieder auf die Bedeutung
dieses Werkes hingewiesen zu haben. Der ungarische Handelsminister Baroß
nahm den Plan thatkräftig in die Hand und schaffte die erforderlichen Geldmittel.

Am 19. September 1890 begann das Werk. Der Minister Baroß er¬
öffnete es durch Anzünden der ersten Mine. Anfangs schritt es nur langsam,
später aber rüstig vorwärts. Ungefähr zehntausend Arbeiter, die von sechzig
Ingenieuren geleitet wurden, haben dnrch Maschinen aller Art, die vielfach zu
diesem Zwecke besonders gebaut werdeu mußten, gegen zwei Millionen Kubik¬
meter Felsgestein weggesprengt und einen zweitansendzwcihuudert Meter laugen,
achtzig Meter breiten und drei Meter tiefen Fahrweg in der Flußsohle gebahnt,
sodaß die Schiffe des Schwarzen Meeres auch bei größerm Tiefgänge bis
Orsowa gelangen können.

Daß die Eröffnung des Eisernen Thores einen neuen wichtigen Schritt
in der Entwicklung und Erschließung des europäischen Ostens und des Orients
überhaupt bildet, steht außer Frage. Deu größten Vorteil davon wird natürlich
Österreich-Ungarn haben; ist doch die Donau der natürliche Handelsweg, durch


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[0262] Die Eröffnung des Donaukanals Es war ein großes Siegesfest, das am 27. September der Kaiser von Österreich, die Könige von Rumänien und Serbien und die Vertreter fast sämtlicher europäischen Mächte in dem kleinen deutsch-ungarischen Städtchen Orsowa feierten, ein Fest von ebenso hoher politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Wir Deutschen konnten mit besondrer Freude dabei sein, denn es galt gleichzeitig einem Siege des deutschen Unternehmungsgeistes: die Aus¬ führung des von den ungarischen Ingenieuren Wallende und Hoßpvtzky ent- worfnen Plans übernahm am 23. Mai 1890 die auf bautechnischem Gebiete rühmlichst bekannte Braunschweiger Firma Hugo Luther. Sie stellte sich an die Spitze einer deutschen Genossenschaft — das einzige ungarische Mitglied trat bald aus — und verpflichtete sich, bis Ende 1895 durch die Klippenreihe einen Schisfweg von genügender Breite und Tiefe zu sprengen und ihn durch Dämme gegen Zerstörung und Versandung zu schützen. Daß die Eröffnung des Eisernen Thores eine wirtschaftliche Notwendig¬ keit war, hatten die Mächte Europas längst eingesehen. Darum wurde auch auf den Kongressen in Paris (1856), in London (1871) und in Berlin (1878) darüber verhandelt. Das Osmanenreich sah in jenen Stromschnellen und Klippen des eingeengten Donaubettes eine Schutzwehr sowohl gegen bewaffnete Angriffe, wie gegen das Eindringen der Kultur des Abendlandes. Solange daher der Halbmond noch über jener Strecke der Donau wehte und die Türkei die Oberherrin von Serbien und Rumänien war, wußte sie den Plänen zur Beseitigung der Verkehrshindernisse nach- orientalischer Weise durch Ver- fchleppungspolitik Widerstand zu leisten. Der Berliner Kongreß beauftragte mit der Entfernung dieser Hemmnisse Österreich-Ungarn. Zehn Jahre später (1888) übernahm Ungarn allein die schwierige Aufgabe der Durchführung. Graf Stephan Szechenyi hat das Verdienst, immer wieder auf die Bedeutung dieses Werkes hingewiesen zu haben. Der ungarische Handelsminister Baroß nahm den Plan thatkräftig in die Hand und schaffte die erforderlichen Geldmittel. Am 19. September 1890 begann das Werk. Der Minister Baroß er¬ öffnete es durch Anzünden der ersten Mine. Anfangs schritt es nur langsam, später aber rüstig vorwärts. Ungefähr zehntausend Arbeiter, die von sechzig Ingenieuren geleitet wurden, haben dnrch Maschinen aller Art, die vielfach zu diesem Zwecke besonders gebaut werdeu mußten, gegen zwei Millionen Kubik¬ meter Felsgestein weggesprengt und einen zweitansendzwcihuudert Meter laugen, achtzig Meter breiten und drei Meter tiefen Fahrweg in der Flußsohle gebahnt, sodaß die Schiffe des Schwarzen Meeres auch bei größerm Tiefgänge bis Orsowa gelangen können. Daß die Eröffnung des Eisernen Thores einen neuen wichtigen Schritt in der Entwicklung und Erschließung des europäischen Ostens und des Orients überhaupt bildet, steht außer Frage. Deu größten Vorteil davon wird natürlich Österreich-Ungarn haben; ist doch die Donau der natürliche Handelsweg, durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/262>, abgerufen am 06.01.2025.