Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag das alte Verhältnis zu Rußland wiederherzustellen, ein Meisterstück der Staats¬ Nun kann man ja hören: das alles hat uns doch gar nichts geholfen; Wenn nun die Einwürfe und Vorwürfe gegen Bismarcks Politik seit 1879 Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag das alte Verhältnis zu Rußland wiederherzustellen, ein Meisterstück der Staats¬ Nun kann man ja hören: das alles hat uns doch gar nichts geholfen; Wenn nun die Einwürfe und Vorwürfe gegen Bismarcks Politik seit 1879 <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223844"/> <fw type="header" place="top"> Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag</fw><lb/> <p xml:id="ID_814" prev="#ID_813"> das alte Verhältnis zu Rußland wiederherzustellen, ein Meisterstück der Staats¬<lb/> kunst, wie nur er es zu leisten vermochte.</p><lb/> <p xml:id="ID_815"> Nun kann man ja hören: das alles hat uns doch gar nichts geholfen;<lb/> gerade in jenen sechs Jahren war unser Verhältnis zu Nußland im ganzen<lb/> schlecht, und Bismarck selber hat es verschlechtert, indem er die unsichern rus-<lb/> sicheu Werte von der Beleihung an der Berliner Börse ausschloß. Gewiß<lb/> that er das, aber er hat stets deu Satz verfochten, daß politische und wirt¬<lb/> schaftliche Freundschaft nicht notwendig zusammengehen müßten, wie sie ja<lb/> auch in dem frühern sehr engen Verhältnisse zwischen Preußen und Nußland<lb/> jahrzehntelang keineswegs zusammengegangen sind, und er ist niemals ein<lb/> Freund des Grundsatzes gewesen, daß wir unsre Bundesgenossen auf unsre<lb/> Kosten wirtschaftlich stärken müßten. Gewiß war 1887 eine bedenkliche Span¬<lb/> nung eingetreten, um so bedenklicher, als Boulanger (Minister vom Januar 1886<lb/> bis Ende Mai 1887) in Frankreich zum Kriege hetzte, aber nur, weil es<lb/> bübischer Fälschungen gelungen war, den Fürsten Bismarck beim Zaren der<lb/> Doppelzüngigkeit zu verdächtige!?, und eine kurze Unterredung beider am<lb/> 18. November 1887 genügte, das Mißtrauen des Kaisers zu entwaffnen.<lb/> Und darauf eben kam es an, der zum Kriege drängenden panslawistischen<lb/> Strömung einen Damm entgegenzusetzen. Das that Fürst Bismarck, indem<lb/> er den Zaren von seiner Ehrlichkeit überzeugte, und indem er zugleich Deutsch¬<lb/> lands Wehrkraft wachsam erhöhte. Es ist ihm also unter den größten Schwierig¬<lb/> keiten gelungen, jenes Verhältnis zu behaupten und Frankreich von Nußland<lb/> getrennt zu halten, bis zu seinem Sturze. Wir wissen jetzt erst ganz voll¬<lb/> ständig zu würdigen, warum er seinen Rücktritt in diesem Augenblicke für be¬<lb/> denklich hielt, deun der deutsch-russische Neutralitätsvertrag lief ab, und erst<lb/> im Herbst 1889 hatte ihm Alexander III. gesagt: „Ihnen traue ich, aber sind<lb/> Sie sicher, daß Sie im Amte bleiben?" Fürst Bismarck hat damals mit<lb/> einem zuversichtlichen Ja geantwortet, der Zar aber hat wohl schon geahnt<lb/> oder gewußt, daß die Stellung des Kanzlers erschüttert sei. Welchen Eindruck<lb/> es dann aus einen stolzen, argwöhnischen Charakter wie Alexander III. machen<lb/> mußte, daß seine trotzdem dargebotene Hand von Caprivi zurückgewiesen wurde,<lb/> begreift jeder; in Kronstäbe und Toulon traten die Folgen zu Tage, und sie<lb/> führten den Sohn schließlich nach Paris. Der russische Handelsvertrag und<lb/> die Wiederzulassung der russischen Werte haben an dieser russischen Politik nicht<lb/> das mindeste geändert, wirtschaftliche und politische Freundschaft deckten sich<lb/> so wenig wie früher, nur daß die politische Entfremdung viel schwerer wiegt<lb/> als die wirtschaftliche.</p><lb/> <p xml:id="ID_816" next="#ID_817"> Wenn nun die Einwürfe und Vorwürfe gegen Bismarcks Politik seit 1879<lb/> und insbesondre gegen den Neutrnlitätsvertrag von 1884 in sich zusammen¬<lb/> fallen, so bleibt noch der Vorwurf übrig, er habe mit der Enthüllung des<lb/> Neutralitätsvertrages eine schwere Indiskretion begangen und die Interessen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag
das alte Verhältnis zu Rußland wiederherzustellen, ein Meisterstück der Staats¬
kunst, wie nur er es zu leisten vermochte.
Nun kann man ja hören: das alles hat uns doch gar nichts geholfen;
gerade in jenen sechs Jahren war unser Verhältnis zu Nußland im ganzen
schlecht, und Bismarck selber hat es verschlechtert, indem er die unsichern rus-
sicheu Werte von der Beleihung an der Berliner Börse ausschloß. Gewiß
that er das, aber er hat stets deu Satz verfochten, daß politische und wirt¬
schaftliche Freundschaft nicht notwendig zusammengehen müßten, wie sie ja
auch in dem frühern sehr engen Verhältnisse zwischen Preußen und Nußland
jahrzehntelang keineswegs zusammengegangen sind, und er ist niemals ein
Freund des Grundsatzes gewesen, daß wir unsre Bundesgenossen auf unsre
Kosten wirtschaftlich stärken müßten. Gewiß war 1887 eine bedenkliche Span¬
nung eingetreten, um so bedenklicher, als Boulanger (Minister vom Januar 1886
bis Ende Mai 1887) in Frankreich zum Kriege hetzte, aber nur, weil es
bübischer Fälschungen gelungen war, den Fürsten Bismarck beim Zaren der
Doppelzüngigkeit zu verdächtige!?, und eine kurze Unterredung beider am
18. November 1887 genügte, das Mißtrauen des Kaisers zu entwaffnen.
Und darauf eben kam es an, der zum Kriege drängenden panslawistischen
Strömung einen Damm entgegenzusetzen. Das that Fürst Bismarck, indem
er den Zaren von seiner Ehrlichkeit überzeugte, und indem er zugleich Deutsch¬
lands Wehrkraft wachsam erhöhte. Es ist ihm also unter den größten Schwierig¬
keiten gelungen, jenes Verhältnis zu behaupten und Frankreich von Nußland
getrennt zu halten, bis zu seinem Sturze. Wir wissen jetzt erst ganz voll¬
ständig zu würdigen, warum er seinen Rücktritt in diesem Augenblicke für be¬
denklich hielt, deun der deutsch-russische Neutralitätsvertrag lief ab, und erst
im Herbst 1889 hatte ihm Alexander III. gesagt: „Ihnen traue ich, aber sind
Sie sicher, daß Sie im Amte bleiben?" Fürst Bismarck hat damals mit
einem zuversichtlichen Ja geantwortet, der Zar aber hat wohl schon geahnt
oder gewußt, daß die Stellung des Kanzlers erschüttert sei. Welchen Eindruck
es dann aus einen stolzen, argwöhnischen Charakter wie Alexander III. machen
mußte, daß seine trotzdem dargebotene Hand von Caprivi zurückgewiesen wurde,
begreift jeder; in Kronstäbe und Toulon traten die Folgen zu Tage, und sie
führten den Sohn schließlich nach Paris. Der russische Handelsvertrag und
die Wiederzulassung der russischen Werte haben an dieser russischen Politik nicht
das mindeste geändert, wirtschaftliche und politische Freundschaft deckten sich
so wenig wie früher, nur daß die politische Entfremdung viel schwerer wiegt
als die wirtschaftliche.
Wenn nun die Einwürfe und Vorwürfe gegen Bismarcks Politik seit 1879
und insbesondre gegen den Neutrnlitätsvertrag von 1884 in sich zusammen¬
fallen, so bleibt noch der Vorwurf übrig, er habe mit der Enthüllung des
Neutralitätsvertrages eine schwere Indiskretion begangen und die Interessen
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