Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag wohl dies Nußland noch dem Grafen Caprivi angeboten habe, daß wesentlich Hat er dadurch nun das Interesse des Dreibundes geschädigt, die deutsche Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag wohl dies Nußland noch dem Grafen Caprivi angeboten habe, daß wesentlich Hat er dadurch nun das Interesse des Dreibundes geschädigt, die deutsche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223842"/> <fw type="header" place="top"> Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag</fw><lb/> <p xml:id="ID_810" prev="#ID_809"> wohl dies Nußland noch dem Grafen Caprivi angeboten habe, daß wesentlich<lb/> dadurch, also durch die Haltung Deutschlands, das nunmehr isolirte Rußland<lb/> zu dem jetzt bestehenden Einvernehmen mit Frankreich gedrängt worden sei.<lb/> Ein Vorwarf in der That von erdrückender Schwere, denn er belastet die,<lb/> gegen die er gerichtet ist, mit der Schuld an dem Verlust der tonangebenden<lb/> Stellung für Deutschland, jener Stellung, die es zwei Jahrzehnte behauptet<lb/> hatte, mit der Schuld, das Erbe Kaiser Wilhelms I. und seines großen<lb/> Kanzlers zu einem guten Teile unbedacht aufgegeben zu haben. Und was<lb/> sagt man dagegen nu der Stelle, die so empfindlich getroffen ist? Weist<lb/> man nicht den Vorwurf mit Entrüstung zurück? Ja, wenn man das könnte!<lb/> Aber man kann es nicht, und so verschanzt man sich hinter dem Gegenvorwurf,<lb/> daß Fürst Bismark durch eine tadelnswerte Indiskretion ein wichtiges Staats¬<lb/> geheimnis verraten und dadurch die deutsche Politik den Mächten des Drei¬<lb/> bundes gegenüber kompromittirt habe. Nun, was „verraten" werden kann, das<lb/> ist auch vorhanden; an der von Bismarck behaupteten Thatsache besteht also<lb/> nicht der mindeste Zweifel.</p><lb/> <p xml:id="ID_811" next="#ID_812"> Hat er dadurch nun das Interesse des Dreibundes geschädigt, die deutsche<lb/> Politik, wohlgemerkt nicht etwa die seines Nachfolgers, sondern seine und<lb/> Kaiser Wilhelms I. Politik, in ein zweideutiges Licht gesetzt? Ein sonderbarer<lb/> Vorwurf! Für so unklug, so verblendet von seinem, ohne jeden Grund voraus¬<lb/> gesetzten Hasse gegen seinen Nachfolger sollte man doch den Fürsten von<lb/> vornherein nicht halten, so wenig er andrerseits Veranlassung haben mag, ihm<lb/> freundschaftliche Gefühle zu widmen. Wir haben hier nur in bestimmter Form<lb/> den Ausdruck der Politik, die er immer und mit voller Offenheit als die durch<lb/> die Umstände gebotne bezeichnet und, solange er im Amte war, mit glänzendem<lb/> Erfolg durchgeführt hat, nämlich zwei Sehnen an seinem Bogen, zwei Eisen<lb/> im Feuer zu haben. Zur Zeit des Dreikaiserbündnisfes war dies das Doppel¬<lb/> verhältnis zu Österreich und Rußland, nur daß damals unsre Beziehungen zu<lb/> Rußland die engern waren; zur Zeit des Dreibundes stützte sich Deutschland<lb/> namentlich auf Österreich und Italien, suchte aber bis 1890 wenigstens ein<lb/> leidliches Verhältnis mit Rußland zu behaupten. Das soll nun zweideutige,<lb/> unredliche Politik gewesen sein! Und doch wurde das Interesse der Verbündeten<lb/> schlechterdings nicht verletzt, sondern gefordert, weil der Friede besser gesichert<lb/> wurde. Das Bündnis vom 7. Oktober 1879 verpflichtete Deutschland und<lb/> Osterreich bekciuutlich keineswegs zur Waffenhilfe für alle Fälle, sondern nur<lb/> dann, wenn eine von den beiden Mächten durch Rußland angegriffen würde,<lb/> oder wenn beim Angriff durch eine dritte Macht diese von Nußland irgendwie<lb/> demonstrativ unterstützt würde. Dieses Bündnis wurde dann 1883 durch den<lb/> Veitritt Italiens dahin erweitert, daß ein französischer Angriff auf Deutschland<lb/> oder Italien die Waffenhilfe der andern Macht bedingte und Österreich gegen<lb/> Italien deckte. Nach dem Neutralitätsvertrage von 1884 aber war Deutschland</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag
wohl dies Nußland noch dem Grafen Caprivi angeboten habe, daß wesentlich
dadurch, also durch die Haltung Deutschlands, das nunmehr isolirte Rußland
zu dem jetzt bestehenden Einvernehmen mit Frankreich gedrängt worden sei.
Ein Vorwarf in der That von erdrückender Schwere, denn er belastet die,
gegen die er gerichtet ist, mit der Schuld an dem Verlust der tonangebenden
Stellung für Deutschland, jener Stellung, die es zwei Jahrzehnte behauptet
hatte, mit der Schuld, das Erbe Kaiser Wilhelms I. und seines großen
Kanzlers zu einem guten Teile unbedacht aufgegeben zu haben. Und was
sagt man dagegen nu der Stelle, die so empfindlich getroffen ist? Weist
man nicht den Vorwurf mit Entrüstung zurück? Ja, wenn man das könnte!
Aber man kann es nicht, und so verschanzt man sich hinter dem Gegenvorwurf,
daß Fürst Bismark durch eine tadelnswerte Indiskretion ein wichtiges Staats¬
geheimnis verraten und dadurch die deutsche Politik den Mächten des Drei¬
bundes gegenüber kompromittirt habe. Nun, was „verraten" werden kann, das
ist auch vorhanden; an der von Bismarck behaupteten Thatsache besteht also
nicht der mindeste Zweifel.
Hat er dadurch nun das Interesse des Dreibundes geschädigt, die deutsche
Politik, wohlgemerkt nicht etwa die seines Nachfolgers, sondern seine und
Kaiser Wilhelms I. Politik, in ein zweideutiges Licht gesetzt? Ein sonderbarer
Vorwurf! Für so unklug, so verblendet von seinem, ohne jeden Grund voraus¬
gesetzten Hasse gegen seinen Nachfolger sollte man doch den Fürsten von
vornherein nicht halten, so wenig er andrerseits Veranlassung haben mag, ihm
freundschaftliche Gefühle zu widmen. Wir haben hier nur in bestimmter Form
den Ausdruck der Politik, die er immer und mit voller Offenheit als die durch
die Umstände gebotne bezeichnet und, solange er im Amte war, mit glänzendem
Erfolg durchgeführt hat, nämlich zwei Sehnen an seinem Bogen, zwei Eisen
im Feuer zu haben. Zur Zeit des Dreikaiserbündnisfes war dies das Doppel¬
verhältnis zu Österreich und Rußland, nur daß damals unsre Beziehungen zu
Rußland die engern waren; zur Zeit des Dreibundes stützte sich Deutschland
namentlich auf Österreich und Italien, suchte aber bis 1890 wenigstens ein
leidliches Verhältnis mit Rußland zu behaupten. Das soll nun zweideutige,
unredliche Politik gewesen sein! Und doch wurde das Interesse der Verbündeten
schlechterdings nicht verletzt, sondern gefordert, weil der Friede besser gesichert
wurde. Das Bündnis vom 7. Oktober 1879 verpflichtete Deutschland und
Osterreich bekciuutlich keineswegs zur Waffenhilfe für alle Fälle, sondern nur
dann, wenn eine von den beiden Mächten durch Rußland angegriffen würde,
oder wenn beim Angriff durch eine dritte Macht diese von Nußland irgendwie
demonstrativ unterstützt würde. Dieses Bündnis wurde dann 1883 durch den
Veitritt Italiens dahin erweitert, daß ein französischer Angriff auf Deutschland
oder Italien die Waffenhilfe der andern Macht bedingte und Österreich gegen
Italien deckte. Nach dem Neutralitätsvertrage von 1884 aber war Deutschland
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |