Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner "Erhebung" im Kreisblatte und knüpfte Nach einigen Tagen erschien eine Entgegnung im Kreisblatte. Der Verfasser Der Herr Pastor ärgerte sich natürlich über diese Entgegnung gewaltig. Vor Er antwortete in scharfer, aber würdiger Weise. Ans Düngerberechuungen Aber Herr Kräuter ließ sich uicht werfen; er antwortete jetzt noch bösartiger Skizzen aus unserm heutigen Volksleben Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner „Erhebung" im Kreisblatte und knüpfte Nach einigen Tagen erschien eine Entgegnung im Kreisblatte. Der Verfasser Der Herr Pastor ärgerte sich natürlich über diese Entgegnung gewaltig. Vor Er antwortete in scharfer, aber würdiger Weise. Ans Düngerberechuungen Aber Herr Kräuter ließ sich uicht werfen; er antwortete jetzt noch bösartiger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223829"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_744"> Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner „Erhebung" im Kreisblatte und knüpfte<lb/> daran die Aufforderung, die ländlichen Gutsbesitzer möchten ihre Arbeiter besser stellen,<lb/> sie möchten für freundliche und luftige Wohnungen sorgen, auf das geistige Wohl<lb/> ihrer Arbeiter Bedacht nehmen und alles daransetzen, die Arbeiter zu befriedigen.<lb/> Weniger als so und so viel Lohn dürfe kein Arbeiter haben, denn der Lebens¬<lb/> unterhalt koste so und so viel, die sonstigen Bedürfnisse so und so viel, Wohnung so<lb/> und so viel, Erziehung der Kinder so und so viel. Dies alles müsse vorweg als<lb/> Produktionskosten vom Ertrag abgezogen werden; was dann übrig bliebe, könne<lb/> als Gewinn angesehen werden, und das sei immer noch mehr als genug.</p><lb/> <p xml:id="ID_745"> Nach einigen Tagen erschien eine Entgegnung im Kreisblatte. Der Verfasser<lb/> war Herr Kräuter, eine im Kreise wohlbekannte, aber wegen seiner scharfen Zunge<lb/> und seiner Allwissenheit wenig beliebte Person, ein Manu, der stark in Politik<lb/> machte und sich mit Vorliebe einen Bauern nannte. Dieser warf die Frage auf,<lb/> woher der Herr Pastor den Auftrag nehme, als Reformator in landwirtschaftlichen<lb/> Dingen aufzutreten; was denn der Herr Pastor mit weltlichen Dingen zu thun habe.<lb/> Der Herr Pastor möge Seelsorge treiben, aber die Finger von Erwerbsfragen lassen,<lb/> die ihn ganz und gar nichts angingen. Die Landwirte wüßten allein, was sie zu<lb/> thun hätten, und bedürften der Belehrung dilettirender Pastoren nicht. Alle auf¬<lb/> gestellte» Zahlen und Berechnungen seien falsch. Von der Belastung der Land¬<lb/> wirtschaft durch die sozialen Gesetze scheine der Herr Pastor keine Ahnung zu<lb/> habe», ebensowenig von den Unkosten der Ackerbestellung. Ob der Herr Pastor wohl<lb/> wisse, wie hoch dem Landwirt eine Führe Dünger zu stehen komme, und was die<lb/> Herstellung vou einem Morgen Roggen koste? Es sei unverantwortlich, die Be¬<lb/> gehrlichkeit der Arbeiterschaft dnrch solche Aufsätze, wie sie der Herr Pastor zu<lb/> schreiben beliebe, zu reizen. Ein Zeichen brüderlicher Liebe sei es jedenfalls nicht,<lb/> den Besitzern ihren sauer verdienten Gewinn wegzunehmen und solchen Leuten in<lb/> den Schoß werfen zu wollen, die ihn in Schnaps vertrauten. Dies erinnre an<lb/> das Verfahren des Schutzheiligen der Schuster, der den Gerbern Felle stahl, um<lb/> deu Armen Schuhe daraus zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_746"> Der Herr Pastor ärgerte sich natürlich über diese Entgegnung gewaltig. Vor<lb/> allem über Leberecht Lamm, deu er bisher für wohlgesinnt gehalten hatte. Wie<lb/> konnte dieser Lamm eine solche Entgegnung aufnehmen! Nicht weniger ärgerte er sich<lb/> über deu Ton der Entgegnung, er fühlte sich dadurch in seiner Pastoralen Würde<lb/> verletzt. Daß er die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen dürfe, war ihni selbst¬<lb/> verständlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_747"> Er antwortete in scharfer, aber würdiger Weise. Ans Düngerberechuungen<lb/> und Kostenanschläge ließ er sich wohlweislich nicht ein, dagegen legte er die Grund-<lb/> züge einer Bodenreform dar. Die sozialen Schwierigkeiten könnten nicht durch<lb/> kleine Mittel beseitigt werden, sondern nur durch eine gerechtere Verteilung von<lb/> Grund und Boden. Dieser Grund und Boden müßte als Kollektiveigentum in die<lb/> Verwaltung des Staates übergehen. Ob das Herrn Kräuter und seinen Gesin¬<lb/> nungsgenossen gefalle, darauf komme es nicht um, sondern nur darauf, daß einer<lb/> schreienden sozialen Not abgeholfen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_748" next="#ID_749"> Aber Herr Kräuter ließ sich uicht werfen; er antwortete jetzt noch bösartiger<lb/> "is das erstemal, ja er stimmte ein wahres Triumphgeschrei an. Jetzt sehe man<lb/> doch, was diese christlichen Herren im Schilde führten, und worauf ihr soziales<lb/> Christentum hinauslaufe. Um eiuer hirnverbrannten Idee willen gingen sie darauf<lb/> "us, ihre eignen Gemeindeglieder vou Haus und Hof zu bringen. Das möchten<lb/> sich die Herren Gutsbesitzer wohl gesagt sein lassen. Bebel wolle zwar auch nichts</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben
Er veröffentlichte die Ergebnisse seiner „Erhebung" im Kreisblatte und knüpfte
daran die Aufforderung, die ländlichen Gutsbesitzer möchten ihre Arbeiter besser stellen,
sie möchten für freundliche und luftige Wohnungen sorgen, auf das geistige Wohl
ihrer Arbeiter Bedacht nehmen und alles daransetzen, die Arbeiter zu befriedigen.
Weniger als so und so viel Lohn dürfe kein Arbeiter haben, denn der Lebens¬
unterhalt koste so und so viel, die sonstigen Bedürfnisse so und so viel, Wohnung so
und so viel, Erziehung der Kinder so und so viel. Dies alles müsse vorweg als
Produktionskosten vom Ertrag abgezogen werden; was dann übrig bliebe, könne
als Gewinn angesehen werden, und das sei immer noch mehr als genug.
Nach einigen Tagen erschien eine Entgegnung im Kreisblatte. Der Verfasser
war Herr Kräuter, eine im Kreise wohlbekannte, aber wegen seiner scharfen Zunge
und seiner Allwissenheit wenig beliebte Person, ein Manu, der stark in Politik
machte und sich mit Vorliebe einen Bauern nannte. Dieser warf die Frage auf,
woher der Herr Pastor den Auftrag nehme, als Reformator in landwirtschaftlichen
Dingen aufzutreten; was denn der Herr Pastor mit weltlichen Dingen zu thun habe.
Der Herr Pastor möge Seelsorge treiben, aber die Finger von Erwerbsfragen lassen,
die ihn ganz und gar nichts angingen. Die Landwirte wüßten allein, was sie zu
thun hätten, und bedürften der Belehrung dilettirender Pastoren nicht. Alle auf¬
gestellte» Zahlen und Berechnungen seien falsch. Von der Belastung der Land¬
wirtschaft durch die sozialen Gesetze scheine der Herr Pastor keine Ahnung zu
habe», ebensowenig von den Unkosten der Ackerbestellung. Ob der Herr Pastor wohl
wisse, wie hoch dem Landwirt eine Führe Dünger zu stehen komme, und was die
Herstellung vou einem Morgen Roggen koste? Es sei unverantwortlich, die Be¬
gehrlichkeit der Arbeiterschaft dnrch solche Aufsätze, wie sie der Herr Pastor zu
schreiben beliebe, zu reizen. Ein Zeichen brüderlicher Liebe sei es jedenfalls nicht,
den Besitzern ihren sauer verdienten Gewinn wegzunehmen und solchen Leuten in
den Schoß werfen zu wollen, die ihn in Schnaps vertrauten. Dies erinnre an
das Verfahren des Schutzheiligen der Schuster, der den Gerbern Felle stahl, um
deu Armen Schuhe daraus zu machen.
Der Herr Pastor ärgerte sich natürlich über diese Entgegnung gewaltig. Vor
allem über Leberecht Lamm, deu er bisher für wohlgesinnt gehalten hatte. Wie
konnte dieser Lamm eine solche Entgegnung aufnehmen! Nicht weniger ärgerte er sich
über deu Ton der Entgegnung, er fühlte sich dadurch in seiner Pastoralen Würde
verletzt. Daß er die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen dürfe, war ihni selbst¬
verständlich.
Er antwortete in scharfer, aber würdiger Weise. Ans Düngerberechuungen
und Kostenanschläge ließ er sich wohlweislich nicht ein, dagegen legte er die Grund-
züge einer Bodenreform dar. Die sozialen Schwierigkeiten könnten nicht durch
kleine Mittel beseitigt werden, sondern nur durch eine gerechtere Verteilung von
Grund und Boden. Dieser Grund und Boden müßte als Kollektiveigentum in die
Verwaltung des Staates übergehen. Ob das Herrn Kräuter und seinen Gesin¬
nungsgenossen gefalle, darauf komme es nicht um, sondern nur darauf, daß einer
schreienden sozialen Not abgeholfen werde.
Aber Herr Kräuter ließ sich uicht werfen; er antwortete jetzt noch bösartiger
"is das erstemal, ja er stimmte ein wahres Triumphgeschrei an. Jetzt sehe man
doch, was diese christlichen Herren im Schilde führten, und worauf ihr soziales
Christentum hinauslaufe. Um eiuer hirnverbrannten Idee willen gingen sie darauf
"us, ihre eignen Gemeindeglieder vou Haus und Hof zu bringen. Das möchten
sich die Herren Gutsbesitzer wohl gesagt sein lassen. Bebel wolle zwar auch nichts
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